Finn Holitzka über Fahren ohne Ticket: Pleite nach Plötzensee
Wer in Rom nicht mit Fahrschein unterwegs ist, macht „den Portugiesen“. „Fare il Portoghese“ ist italienischer Slang für das autonome Fahren ohne Ticket. Seine Ursprünge hat der Begriff nicht im Nationalismus eines Salvini, sondern im 18. Jahrhundert, als wohlhabende portugiesische Botschafter das Kulturleben der Hauptstadt sponserten. Wer die portugiesische Staatsangehörigkeit hatte – oder vorgaukelte – durfte aus Dankbarkeit über die Großzügigkeit der Gönner kostenfrei ins Theater.
In Deutschland reden wir beim Freifahren nicht von vermeintlich Wohlhabenden, sondern von den Ärmsten: „Schwarzfahren“ kommt mutmaßlich vom Jiddischen „shvarts“, also „arm“. In Deutschland bezeichnet es eine Straftat – die vor allem die Mittellosen trifft.
Die Grünen wollen das ändern. Seit Frühjahr letzten Jahres bimmelt der Vorschlag über die Ringbahn der politischen Arena, das Fahren ohne Ticket zu entkriminalisieren. Die „Beförderungserschleichung“ wäre dann keine Straftat mehr, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit.
Das ist keineswegs Pedanterie: Bei Anzeige nach mehrfachen Ertapptwerden drohen Geldbuße oder monatelange Ersatzfreiheitsstrafe. Zelle für Zahlungsunfähige: Das ist nicht nur hart, sondern unverhältnismäßig. Und trifft besonders Langzeitarbeitslose, Obdachlose oder Drogenabhängige, deren Terrain auf der Suche nach Zuwendungen häufig Waggons sind. Wer indes erst mal vorbestraft ist, hat es auch im Anschluss schwer, einen Beruf zu ergreifen.
Auch gesellschaftlich ist es närrisch, Tausende arme Bahnfahrer*innen einzusperren: Ein Hafttag in der Berliner JVA Plötzensee kostet jeweils 150 Euro. Auf 200 Millionen bundesweit läppert sich das nach WDR-Recherchen. Teuer erkaufte Genugtuung einer Wohlstandsgesellschaft, die ihre Schwächsten im Sinne vermeintlicher Gerechtigkeit gängelt – siehe Strengstauflagen bei Hartz IV. Sozial und ökologisch wäre es, den ÖPNV durch Subventionen erschwinglicher zu machen. Oder gleich kostenfrei. Ein reicher portugiesischer Sponsor dafür ist jedoch nicht in Sicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen