Kolumne So nicht: Revolution nur mit Fahrkarte!

Billiger, leninistischer: Ein Versuch, den Schulstreikenden von „Fridays for Future“ zu erklären, wie cool es wäre, freitags ohne Ticket zu fahren.

Eine U-Bahn an der Haltestelle "Bundestag"

Kostenloser Öffentlicher Nahverkehr zumindest freitags wär doch schön Foto: Victor Kallenbach /unsplash

Freitagfrüh und eine ultralange Schlange aus jungen Menschen steht vor dem Fahrkartenautomat meines U-Bahnhofs. Eigentlich gibt es hier zwei Automaten, aber wir sind in Berlin und von den beiden ist mindestens einer immer kaputt. So auch heut.

Ich bin spät dran und berechne präziser als jeder Lungenarzt, dass ich mindestens 14,73 Minuten warten muss, bis ich die 1,70 Euro für die Kurzstrecke für drei Stationen loswerde. Einige der sehr jungen Leute, die die Vorhalle des U-Bahnhofs verstopfen, tragen Schilder. Die Schilder framen die Anwesenden eindeutig als schulstreikende Demonstranten und Demonstrantinnen für Klima und Zukunft.

Ich frage eine Gruppe, wo sie hin müssten. „Nur bis zur nächsten Station“, sagt ein junges Mädchen. Nicht ganz uneigennützig empfehle ich, die eine Haltestelle ohne Fahrkarte zu fahren. Sie seien doch so viele, dass sowieso kein Kontroletti mehr ins Abteil passen würde. Die kleine Gruppe Schulstreikende lacht verhalten. Sie wirken sehr schüchtern. Überzeugen kann ich sie offenbar nicht.

„Kennt ihr den Witz mit der Bahnsteigkarte und den Deutschen?“ „Ne“, sagen ein paar. „Er geht so: Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Keiner aus der Gruppe der Schulstreikenden lacht.

Dann sagt einer: „Was ist daran so schlimm?“ Ich kapituliere vorläufig, verrate nicht, dass dieses Bonmot Lenin zugeschrieben wird, der ja selbst auch eine Fahrkarte gelöst hatte, um mit dem Zug von Zürich nach Petrograd zu reisen, um dort Revolution zu machen.

Der Weg ist das Ziel

Ich versuche einen allerletzten Trick. Ich sage, der Weg sei ja auch das Ziel und mit dem bewussten Nichtkaufen eines Tickets könne doch auch ein Zeichen gesetzt werden: Einfach auf ein Schild „Kostenloser öffentlicher Nahverkehr jetzt!“ schreiben. Das wäre doch sicher im Sinne ihres Anliegens, auch in Zukunft ohne künstliche Beatmungsgeräte durch die Gegend laufen zu können.

Die Kindergruppe lacht. Endlich! Eine sagt: „Geile Idee“. Die Gruppe verstreut sich, sucht Pappe und Stifte oder jedenfalls tut sie so. Zwei aus der Gruppe bleiben aber neben mir stehen: „Wissen Sie, es ist so: Unsere Eltern haben gesagt, dass es okay ist, wenn wir nicht in die Schule gehen und zur Demo gehen. Aber wenn wir jetzt auch noch ohne Fahrkarte fahren würden, fänden sie das sicher zu viel.“

„Hm. Ja klar. Na dann“, stottere ich, mir fällt nichts mehr ein. Es sind jetzt aber auch nur noch vier Schulstreikende vor mir in der Schlange. Mir fällt ein, dass ich Kurzstrecke mindestens so überflüssig wie Bahnsteigkarte finde und frage mich, ob ich einfach kein Ticket kaufe und dem Kontroletti sage, ich würde aus Solidarität mit den Schulstreikenden ohne Fahrkarte fahren.

Ich hatte dann keinen Bock auf Stress. Aber kostenloser Bus und Bahn fahren, zumindest freitags, ist doch gar keine so schlechte Idee, oder? Macht wer mit?

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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