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Rüstzeug für Musikerkarrieren

Der Veranstalter Ran Huber hat Berliner Konzertgeschichte geschrieben. Und schreibt sie weiter. Seine Agentur „amStart“ bietet seit 20 Jahren musikalische Alternativen zum Mainstream: divers und abseits der Norm

Von Julia Lorenz

Am Nordbahnhof endete die Welt. Wo heute Betonwüste ist, war früher Brachland. Hier, auf den letzten Metern Ostberlin, stand Mitte der 90er eine alte „Raumerweiterungshalle“ aus DDR-Zeiten, in der Konzerte stattfanden. „Und dort“, sagt Ran Huber und zeigt auf ein Haus, das einen exakt so ausdruckslos anguckt wie alle Gebäude hier, „dort war das Panasonic“. Ein Minimal-Techno-Laden, der schon lang nicht mehr ist. Hundert Meter Straße, zehn Jahre Subkulturgeschichte, so geht das, wenn man mit Ran Huber durch Mitte läuft. Er hat die Hochhäuser aus dem Nachwendematsch schießen, Clubs und Bars kommen und gehen sehen. Und um manche Läden getrauert.

Huber ist einer der verdienstvollsten Konzertveranstalter der Stadt. Seit Ende der 90er organisiert er Gigs der kleinen bis mittelgroßen Sorte, aber auch Lesungen und Festivals wie das jährlich stattfindende „Down by the River“. Anfang März feierte Hubers Konzertreihe „amStart“ ihr 20. Jubiläum – und das ist ziemlich bemerkenswert. Denn Fans der Reihe würden sagen, das Programm sei ein Gegengift zum Männerbandgemauschel der großen Festivals und Veranstalter: immer divers, meist abseits der Norm.

Pessimisten könnten sagen, „amStart“ sei ein Himmelfahrtskommando in einer Stadt, in der unabhängige Konzertlocations im Stadtzentrum rarer werden. Und Ran Huber sagt, „amStart“ sei die Grundlage dafür, dass er frei und unangepasst leben kann. Vielleicht sogar ein Familienersatz. Oder einfach: „Die endlose Verlängerung der Party, die begonnen hat, als ich 14 war.“ Als er nämlich Pop-Fan wurde.

In seiner Jugend im bayerischen Weilheim nahm Huber „Zündfunk“-Sendungen im Radio auf Kassette auf, verliebte sich in Bands von Talk Talk bis Slayer und lernte in der Schule schließlich Markus Acher kennen, mit dem er eine Band gründete: The Notwist, heute eine der berühmtesten deutschen Indiebands. Huber stieg schnell wieder aus, die Wikipedia-Seite listet ihn nicht mal als Gründungsmitglied. Anfang der Nullerjahre sollte er mit seiner Band Sitcom Warriors dann doch noch das Rockstarleben testen.

Zum Studium zog Huber nach Berlin, eröffnete dort Mitte der 90er die Fensterbar in Mitte, die später Rafael Horzon in seinem „Weißen Buch“ beschreiben sollte. Im damaligen Subkultur-Epizentrum Galerie Berlintokyo richtete Huber seinen ersten Konzertabend aus – zunächst schlicht aus Spaß an der Sache. 1999 gründete er „amStart“. Befasst man sich heute in Berlin mit alternativer Musik, kennt man Ran Huber wahrscheinlich flüchtig bis gut.

Denn tatsächlich kommt er zu fast allen seiner Shows, bleibt oft bis zum letzten Besucher. Und er ist überall: Während andere Indie-Konzertreihen oft auf einen Stadtteil oder Laden beschränkt sind, zieht Huber von Club zu Club. In rund 100 Lokalen war er schon zu Gast. Die Webseite von „amStart“ ist auch deshalb eine Chronik der Berliner Off-Kultur-Szene der letzten 20 Jahre. Hubers Archiv listet nicht nur legendäre und (oft zu Unrecht) vergessene Acts, sondern auch verschollene Spielstätten: die Zentrale Randlage, eine ehemalige Kantine am Senefelder- und den KingKongKlub am Rosenthaler Platz. Das Zentral im S-Bahn-Bogen in der Rochstraße. Geschichte ist heute auch das School in Mitte, das Huber für kurze Zeit selbst betrieb.

In 20 Jahren hat Huber rund 1.700 Acts auf die Bühne gebracht. Künstler wie der Brite Jamie Lidell, den Huber früh entdeckte, haben den internationalen Durchbruch längst geschafft. Andere, unter ihnen Masha Qrella oder Jens Friebe, sind in Berlin HeldInnen. In einer Stadt mit einer so fragmentierten Off-Kultur-Szene ist „amStart“ vielleicht keine feste Heimat, wohl aber ein Wanderforum für unabhängige KünstlerInnen.

Ran Huber ist auf die meisten seiner Veranstaltungen stolz

Wer seit 1999 auf dem Gebiet von Indie, (LoFi-)Pop oder experimenteller elektronischer Musik seine Spuren im Berliner Underground hinterlassen hat, war mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu Gast bei „amStart“: Christiane Rösinger und ihre 2013 verstorbene Lassie-Singers-Mitstreiterin Almut Klotz. Surrogat, die Brachialband von Patrick Wagner, der mit seinem Label Kitty-Yo die Berliner 90er geprägt hatte. Contriva, die heute der „Wohnzimmerszene“ der frühen Nullerjahre zugeschrieben werden. Das Jeans Team, Mitbegründer der Galerie Berlintokyo und Posterboys des wilden, coolen Berlin-Mitte. Cobra Killer. Peaches und Chilly Gonzales. Und auch den heute erfolgreichen Isolation Berlin richtete Huber ihre ersten größeren Auftritte aus.

Huber sagt, er habe es immer als seine Aufgabe gesehen, KünstlerInnen Rüstzeug für ihre Karriere mit auf den Weg zu geben. Er unterstützte sie bei ihrer Entscheidung, MusikerIn zu sein und in Berlin zu bleiben. Ein guter Live-Abend kann einem Underdog vielleicht nicht die Welt, aber gewaltig viel bedeuten – und manchmal auch zusammenbringen, was (noch) nicht zusammengehört. Zuletzt etwa den Punk-Performer Schwund und den Experimentalmusiker Anton Kaun alias Rumpeln, einen alten Bekannten aus Bayern. „Da kamen nun Fans von Schwund und die Crème de la Crème der Weilheimer Szene ins Kreuzberger WestGermany, ein ganz tolles Publikum“, sagt Huber.

Das war für ihn mal wieder eine magische Nacht, ein Konzert, das „nur an diesem Abend und nur mit genau diesen Leuten“ funktionieren konnte. Huber sei auf die meisten seiner Veranstaltungen stolz. „Man sagt ja, eine Live-Veranstaltung sei per se ein sozialer Moment, und das stimmt auch. Aber ich will nicht, dass dieser soziale Moment darauf beschränkt ist, dass 500 Menschen in eine Richtung schauen“, sagt Huber. „Das ist gut und soll auch so sein, aber auch drumherum kann so viel passieren.“ Und deshalb wird man nach Shows, die Huber veranstaltet, nie unfreundlich rausgeworfen wie ihn vielen großen Hallen. Sondern kann bleiben, bisschen tanzen, zu viel rauchen, reden, in voller Absicht die letzte Bahn verpassen.

Ein bis zwei Abende die Woche ist der 50-Jährige auf Konzerten unterwegs, nicht mehr so viel wie früher. Nach aufreibenden Jahren hat er sein Arbeitspensum heute auf humane 40 Stunden pro Woche reduziert. Ein paar seiner Shows werden mit einer Finanzspritze von der Fördereinrichtung Musicboard bezuschusst. Dann kann er HelferInnen bezahlen, sonst macht er, wie seit zwei Jahrzehnten, fast alles allein. Nun wäre der Moment gekommen, in dem man über die Tücken des freien Veranstaltertums und Förderwesens reden könnte; über das Verschwinden von Subkulturorten, die eine Reihe „amStart“ „nötiger denn je“ machen, wie Huber sagt, aber da zeigt er plötzlich auf ein Plakat für seine kommenden Shows, das er mitgebracht hat. „Diese Tatiana Heuman, die musst du dir unbedingt anhören!“, sagt Huber im Tonfall absoluter Dringlichkeit, schwärmt vom Sound seiner neuesten Entdeckung. Und dann ist kurz nichts auf der Welt so wichtig wie eine argentinische Experimentalkünstlerin.

Nächstes Konzert: 15. 3., 21 Uhr, Chris Imler, Urban Spree

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