Stefan Reinecke über die Linkspartei nach Wagenknechts Rückzug
: Die Lehre aus dem Scheitern

Einer populären These zufolge klafft im politischen System eine Lücke. Wer einen starken Sozialstaat will und Umverteilung von oben nach unten, aber skeptisch auf Migration und Gleichberechtigungspolitik schaut, wird weder von Rot-Grün noch der AfD noch der Linkspartei vertreten. Dass klang lange einleuchtend. Bis Sahra Wagenknecht im Gründungsaufruf für die Aufstehen-Bewegung, Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz „nur Wohlfühl-Labels“ nannte, die Umverteilung von unten nach oben kaschierten und „ihren Nutznießern ein gutes Gewissen“ bereiteten. Sie zielte auf die zornigen, politisch heimatlosen Bürger, denen Minderheitenrechte eher auf die Nerven gehen, die aber für soziale Gerechtigkeit brennen. Der Misserfolg von Aufstehen und der Rückzug Wagenknechts zeigen: Diese Klientel ist, anders als in Frankreich, eine Fiktion.

Hunderttausende haben für „unteilbar“, für ebenjene verachtete Weltoffenheit, demonstriert, sie protestieren gegen ignorante Klimapolitik oder explodierende Mieten. Die schweigende, politikverdrossene Masse aber, die höhere Mindestlöhne und Reichensteuer will und Schwulenrechte oder Antirassismus für modischen Klimbim hält, existiert nicht oder ist politisch nicht mobilisierbar. Das ist eine Kernbotschaft von Wagenknechts Rückzug. Trotzdem ist die Hoffnung, dass Rot-Rot-Grün ohne Wagenknecht möglich wäre, vorschnell.

Der Rachefeldzug, den Sevim Dağ­de­len und andere nun anzetteln, zeigt, dass jener Teil des linken Flügels, der treu zu Wagenknecht stand, rauchende Ruinen hinterlassen will. Die Wunden sind tief. Dass die Linkspartei nun tauglich für eine Mitte-links-Regierung sei, ist nur eine kühne Hoffnung. Die Partei wäre gut beraten, die komplette Spitze gegen eine frische, von vergangenen Kämpfen unbelastete Führung auszutauschen. Wahrscheinlich ist das nicht. Die Linke ist eine strukurkonservative Organisation, die in Krisenzeiten dazu neigt, den Weg einzuschlagen, der am wenigsten Gefahr zu bergen scheint. Immerhin darin sind sich die Flügel einig.

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