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Die Anziehung der Ausgezogenen

Die Berliner liebten oder verachteten sie: Celly de Rheidt war in den zwanziger Jahren ein Star im Nachtleben. Sie wurde als Nackttänzerin berühmt und hatte eine eigene Ballettgruppe, in der auch Anita Berber tanzte

Konnte sich perfekt in Pose werfen: Nackttänzerin Celly de Rheidt um 1923 (Mitte) Foto: arkivi/akg images

Von Bettina Müller

Celly de Rheidt ist eine großzügige Frau, die selbst ihr letztes Hemd hergibt. Sie braucht es sowieso nicht, denn meistens tanzt de Rheidt fast nackt. Allenfalls ist sie dabei mit einem dürftigen transparenten Schleier oder einem knappen Schurz ausgestattet, vielleicht sogar mit einem Höschen. 1919 wird sie mit ihrem Celly-de-Rheidt-Ballett, in dem auch Anita Berber tanzt, die Sensation im Berliner Nachtleben.

Doch nicht nur Begeisterung über die „Schönheitstänze“ macht sich breit, sondern vor allem Entrüstung und Besorgnis um die „deutsche Sittlichkeit“. Forderungen nach einem „Kampf gegen die Nudität“ werden laut, Sittenwächter runzeln verzweifelt die Stirn. Ist es nicht genug, dass Frauen doch tatsächlich seit kurzer Zeit wählen dürfen? Müssen sie jetzt auch noch ihre Korsetts sprengen? Jedenfalls lupfen Tänzerinnen seit dem 9. November 1918, als Zensurbeschränkungen aufgehoben werden, ihre verschämten Schleier, geben den vollen Blick auf ihren Körper frei und tanzen dann auch noch wild dazu.

Die Zuschauer, zumeist Nachtschwärmer auf der Suche nach Sensationen, sind jedenfalls begeistert. Und auch Celly de Rheidt lässt sich von medialer Schelte keineswegs beirren und tanzt: So füllt sich zuverlässig die Abendkasse, die ihr Ehemann, der ­ausgemusterte Leutnant Alfred ­Seveloh, mit einem Leuchten in den Augen leert.

Die Meinungen über die Nackttänzerin divergieren, entweder liebt man oder man verachtet sie. Einige wollen dennoch einen künstlerischen Anspruch ihrer Tänze erkennen, wie etwa Hanna Berger (selbst Tänzerin) in einem Zeitschriftenartikel schrieb: „Der Körper, der im wahrsten Sinne des Wortes entfesselt wird, bewegt sich ungehemmt in große räumlicher Entbundenheit.“ Das ist moderne Tanzkunst mit Tendenz zum Expressionismus, der von Künstlern wie zum Beispiel Josef Fenneker auch für die Werbeplakate der Tanzveranstaltungen in Varie­tés und Kabaretts aufgegriffen wird.

„Zu viel Speck auf den Rippen“

Diese Form des für viele allzu freien Tanzes trifft jedoch oft auf Unverständnis. Manche Kritiker werden daher schnell beleidigend. Celly de Rheidt habe „zu viel Speck auf den Rippen“, sei nicht besonders schön und eigentlich auch zu alt, somit dürfe sie auch nicht tanzen, so wie sie eben tanzt, urteilt Stefan Großmann im Tage-Buch gnadenlos. Und auch Herwarth Walden resümiert in seinem Buch „Der Sturm“ kurz und knapp: „Jedenfalls kann sie nicht tanzen.“ Ganz Gemeine verwenden gelegentlich das Wort „Hopserei“.

Das Publikum entscheidet jedoch Abend für Abend, ob es für die „hopsende“ Hüllenlose zum Geldbeutel greifen will oder eben nicht. „Frau Celly tanzt, laßt sie doch ruhig tanzen, wo alle Welt sich heut im Tanze wiegt“, dichtet 1921 ein verständnisvoller Josef Wiener-Braunsberg in der ULK, der satirischen Beilage des Berliner Tageblatts, über die umstrittene Künstlerin.

Im Jahr 1922 wird ihr mal wieder der Prozess gemacht, mal wieder sind zu viele Hüllen gefallen. Celly de Rheidt erwirkt eine „Inaugenscheinnahme“ ihrer Tanzdarbietungen. Es handelte sich dabei um eine Art Außentermin der Achten Strafkammer des Berliner Landgerichts, der im Theatersaal des ehemaligen ­Landwehroffizierkasinos am Bahnhof Zoologischer Garten stattfand. Laut Berliner Volkszeitung vom 13. Januar 1922 rücken hohe Würdenträger zum Ortstermin an – unter anderem Landgerichtspräsident und Generalstaatsanwalt sowie zahlreiche Persönlichkeiten aus der Kunst- und literarischen Welt –, um für das Hohe, aber nicht das Jüngste Gericht, zu beschließen: Kunst oder Kommerz? Freispruch oder Strafe?

Am Ende gesteht man ihr und ihren Tanzjüngerinnen einen „gewissen künstlerischen Wert“ zu.

Doch da ist noch die Sache mit der Klosterfrau, die kann man nicht so einfach durchgehen lassen. Eine Nonne, natürlich de Rheidt, entledigt sich bei einer „Pantomimendarstellung“ in einem Kloster – keinem echten, es handelte sich um eine Kulisse – ihres Nonnengewandes und wirft sich dramatisch und vor allem „in blendender Natürlichkeit“ einer Madonna zu Füßen, weil man sie zu Unrecht der Unkeuschheit verdächtigt hat.

Dieses Sakrileg wird teuer, zudem es neben anderen „Dramentänzen“ wie zum Beispiel dem „Opiumrausch“ oder dem „Danse de Uruguay“ auch noch auf Zelluloid gebannt worden ist und so unkontrolliert verbreitet werden kann. Am 21. Januar 1922 wird Celly de Rheidt zu einer Geldstrafe von 21.000 Mark verurteilt.

Doch ob sie nun nackt tanzt oder nicht, es macht im Grunde keinen Unterschied angesichts der bröckelnden Moral des Großstadtmolochs, und auch der großstädtische Prozess wird so zur Provinzposse. „Daß auch nur ein einziger Mensch etwa deshalb frommer würde, weil sich Celly de Rheidt an diesem Abend nicht die Hosen auszieht, ist nicht anzunehmen.“ Das ist die eigentliche Essenz des angeblichen Skandals, die Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky schon 1920 in seinem „Bußtag“ de­stil­liert hat: „Tut keine Buße! Sondern spuckt der Polizeikirche in die Bouillon, wo, wann und wie oft immer ihr könnt! Amen.“

Begeisterung über die Schönheitstänze macht sich breit, aber auch Besorgnis um die „deutsche Sittlichkeit“

Genau das hat die lebenslustige de Rheidt mit der Bekleidungsphobie praktiziert: Hat den Spagat zwischen Kunst und Kommerz auf der Bühne perfekt beherrscht, bis sich die Novität schließlich irgendwann verläuft, niemand mehr Anstoß daran nimmt und das Publikum schließlich fernbleibt.

Wenig ist über das Vorleben dieser mutigen und cleveren Frau bekannt. Anna Cäcilie Marie kommt am 25. März 1889 als Tochter des Schiffskapitäns Jürgen Diedrich Funk in Altona zur Welt. Seine Ehefrau Mette Maria ist adliger Herkunft, und so wird aus dem Namen der Mutter „von der Reith“ kurzerhand „de Rheidt“. Das klingt flüssiger, und der Conferencier verhaspelt sich nicht bei den Ansagen.

Ihren Vater findet man am 1. Oktober 1904 erhängt in seiner Altonaer Wohnung auf, zehn Jahre später stirbt die Mutter. Im selben Jahr geht Celly de Rheidt am 11. September in Berlin eine Ehe mit dem 1887 in Kiel geborenen Leutnant und Kaufmann Alfred Seweloh ein. Seweloh, Sohn eines Hamburger Korvettenkapitäns, wird ihr Manager, ist jedoch auch als Heiratsvermittler „mit reellen Zielen“ unterwegs. Er eröffnet ein mehr als zwielichtiges Institut, wirbt vielversprechend: „3.000 schöne Frauen suchen einen Partner“, und landet am Ende wegen Kuppelei vor Gericht, wo man ihn zu zwei Jahren Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt.

Die Allianz der beiden wird zur Mes­alliance, ihre Wege trennen sich. 1924 heiratet sie Moritz Rosner, Direktor des Ronacher-Theaters in Wien. Dort haben die Kritiker de Rheidt von jeher etwas verständnisvoller aufgenommen, das böse H-Wort (Hopserei) ist nie gefallen.

1927 versucht Celly ein Comeback und scheitert damit. Ihre Tage als Skandaltänzerin sind längst gezählt, es wird still um die einstige Künstlerin, die man zugleich feierte und verdammte. Am 8. April 1969 stirbt Celly de Rheidt vergessen in ihrer Geburtsstadt Hamburg.

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