piwik no script img

Hier rein und da raus

Das niedersächsische Innenministerium plant, dem Osnabrücker Remarque-Haus für Flüchtlinge eine Landesstelle für Abschiebungen anzugliedern. Das sorgt für Empörung

Von Harff-Peter Schönherr

Fritz Brickwedde liebt markige Sprüche. Einer der markigsten, den sich der Vorsitzende der Stadtratsfraktion der Osnabrücker CDU in letzter Zeit erlaubt hat: „Der Rechtsstaat muss gegenüber jedermann durchgesetzt werden. Das aber ist in Osnabrück nicht der Fall.“

Brickweddes Thema bei diesem verbalen rechten Haken: Abschiebungen. Oder, wie der 71-Jährige lieber euphemistisch sagt: „Heimführungen“. Zu wenige seien in Osnabrück behördlich versucht worden, zu viele durch Abtauchen oder „Unterstützer“ verhindert worden. „Abschiebungen“ – gerade in Osnabrück, der „Friedensstadt“, die so demonstrativ stolz ist auf ihre Willkommenskultur, ist das ein Wort, an dem sich die Gemüter rasch entzünden.

Der jüngste Funke: Der Plan von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD), Osnabrück zum Sitz einer neuen zentralen Landesstelle für Abschiebungen zu machen. Dabei visiert Pistorius als Standort ausgerechnet das Erich-Maria-Remarque-Haus an, in dem die Diakonie aktuell 383 Flüchtlinge betreut.

Es sei eine „Realsatire“, sagt Heidi Reichinnek, von der Ratsfraktion der Linken, dass die Zentrale, „die wie nichts anderes für den unmenschlichen Umgang mit geflüchteten Menschen steht“, künftig den Namen Remarques trage. „Ausgerechnet Remarque, der als Humanist immer für die Rechte von Geflüchteten eingetreten ist.“ Reichinnek findet das zynisch: „Herzlichen Glückwunsch, Remarque rotiert im Grab!“

Die Junge Union Osnabrück, Brickweddes rührigste Hilfstruppe, sieht das natürlich anders. Die Kritik führe „ins Leere“, sagt Christopher Peiler, ihr Vorsitzender. „Eine zentrale Einrichtung für Abschiebungen hat nichts mit Unmenschlichkeit zu tun, sondern ist ein Akt der Rechtsstaatlichkeit und dringend notwendig.“

Ortswahl mit Symbolkraft

Sara Höweler, Geschäftsführerin des Osnabrücker Flüchtlingszentrums „Exil“, das viele Gäste des Remarque-Hauses betreut, sieht die Pläne des Innenministeriums dagegen „mit Verwunderung“. Eine solche Einrichtung ausgerechnet dort? „Das beißt sich“, findet sie. „Mag sein, dass die Arbeit des Zentrums das Leben der Gäste nicht direkt beeinflusst, aber eine solche Ortswahl hat natürlich eine Symbolwirkung.“ Sie trage dazu bei, ein unzutreffendes Menschenbild zu verfestigen: „Als kämen die Geflüchteten ohne guten Fluchtgrund oder würden die Mitarbeit verweigern.“

Das Remarque-Haus im ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus am Natruper Holz, 2014 als „Flüchtlingshaus Osnabrück“ eingerichtet, seit 2016 als Erstaufnahmeeinrichtung des Landes selbstständig, tritt an, „im Geiste des Namensgebers“ einen Beitrag zu Toleranz und Völkerverständigung zu leisten. Sozialarbeiter sind hier tätig, es gibt eine Krankenstation, eine Kindertagesstätte, Sportangebote, eine Kleiderkammer, eine Lernwerkstatt.

Und nun kommt also eine Landesstelle für Abschiebungen dazu, in einem eigenen Flur im Verwaltungstrakt, ab Mitte 2019 – vielleicht. „Die Planungen sind noch nicht abgeschlossen“, gibt Hannah Hintze von der Pressestelle der Landesaufnahmebehörde (LAB) zu bedenken. 50 neue Stellen seien für die Behörde im Gespräch, „24 davon könnten auf Osnabrück entfallen“. Von den Abläufen des Flüchtlingshauses sei deren Arbeit „völlig losgelöst“. Was sie konkret tun werden? Hintze, vage: „Das könnte von der Duldungserteilung bis zur Passersatzbeschaffung gehen.“

Heiko Panzer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Osnabrücker Stadtrats-SPD, fürchtet trotzdem „eine Vermischung von Interessenlagen“. Man dürfe „offen darüber nachdenken, ob ein Haus, das den Namen Remarque trägt und Geflüchtete umsorgt und berät, gleichzeitig ein Abschiebezentrum sein kann“.

Kritik an Zentralisierung

Auch die Osnabrücker Grünen sind skeptisch. Jonas Graeber, ihr Sprecher, sagt: „Die Zentralisierung der Abschiebungsverwaltung ist purer Aktionismus.“ Man solle nicht „dem populistischen Kurs von Seehofer und Co. hinterherlaufen“. „Es dürfen keine zentralen Abschiebestellen geschaffen werden“, warnt auch Gerrit Schulte, Osnabrücker Caritasrats-Vorsitzender. Die Zuständigkeit müsse bei der Kommune bleiben, die sei „näher dran“. Eine Zentralisierung sieht er als „radikale Verschärfung der niedersächsischen Abschiebepolitik“.

Wie es jetzt weitergeht? Friedemann Pannen, theologischer Geschäftsführer der Diakonie Osnabrück, mag nicht spekulieren: „Das ist ein laufender Prozess.“ Die LAB habe zugesagt, die neue Landesstelle habe auf die Arbeit des Remarque-Hauses keine Auswirkung. „Ob das so ist, muss man abwarten.“

Auf der Linie Remarques

Ist der Pistorius-Plan ein Zeugnis der „Verschiebung des Diskurses nach rechts“, wie Reichinnek vermutet? „Wir sind an einen Punkt gekommen, wo es im Grunde nur noch drum zu gehen scheint, wer am meisten gegen Geflüchtete tut“, sagt der Grüne Graeber.

Ob der Exilant Remarque sich wirklich im Grab umdreht, ist fraglich. Thomas Schneider, Leiter des Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums, relativiert: „Remarque hat sich für einen humanistischen, rechtsstaatlichen Umgang mit Migranten eingesetzt. Eine Willkommenskultur wie die unsere gab es zu seiner Zeit ja noch nicht.“ Mit einem rechtsfreien Raum habe man es bei einer zentralen Abschiebestelle aber nicht zu tun. „Was hier geschieht, liegt also auf der Linie von Remarque.“

Bleibt abzuwarten, ob sich der Osnabrücker Stadtrat mit der neuen Landesstelle befasst. Die Grünen haben einen Dringlichkeitsantrag gestellt. Ob er am Dienstag auf die Tagesordnung kommt, ist aber unklar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen