: „Stellt das Buch nicht allein ins Regal!“
Susanne Brandt von der Büchereizentrale Schleswig-Holstein über den Umgang mit rechten Titeln
Interview Esther Geißlinger
taz: Frau Brandt, die Debatte um rechte Bücher in öffentlichen Bibliotheken begann mit der Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek, da stehen Titel wie „Finis Germania“, „Die Asyl-Industrie“ oder „Kontrollverlust“ in den Regalen. Finden sich ähnliche Titel in den Büchereien in Schleswig-Holstein?
Susanne Brandt: Das kann ich nicht sagen. Ähnliche Titel stehen sicher in einer oder der anderen Bücherei, da jede ja selbst entscheidet, welche Titel sie anschafft. Wir als Lektorat der Büchereizentrale geben nur Entscheidungshilfen. Dazu sichten wir den Buchmarkt, benennen Stärken oder Schwächen bei einzelnen Titeln und weisen auf Bestseller hin, zu denen die Büchereien mit Nachfragen rechnen müssen.
Die Bibliotheken in Potsdam oder auch Bremen haben argumentiert, alle Werke der Bestseller-Liste kämen sozusagen per Dauerauftrag ins Haus. Auch in Schleswig-Holstein?
In der Regel ja, aber wieder liegt es im Ermessen jeder Bücherei. Man kann jedes Buch zurückgeben. Wie wir im Lektorat ein Buch verorten, machen wir in den Ankündigungen sehr deutlich.
Können Sie schildern, wie das aussieht?
Nehmen wir „Feindliche Übernahme“ von Thilo Sarrazin. Ich kann nicht einfach sagen, mir gefällt das nicht, sondern ich muss argumentieren. In diesem Fall enthält das Buch sachliche Fehler. Dazu gab es einen Faktencheck von der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Das Papier habe ich meiner Empfehlung hinterhergeschickt mit dem Rat, es den Leuten an die Hand zu geben, wenn sie das Buch ausleihen. Für mich beginnen sachliche Bedenken an einem Werk übrigens nicht erst, wenn Behauptungen falsch hergeleitet werden, sondern wenn die Auswahl der Belege einseitig ist. Ein Autor wie Udo Ulfkotte war Spezialist für diese Methode. Diese Sammelwut an bösen Beispielen ist kein echter Fehler, wirkt aber verfälschend. Verräterisch ist auch die Sprache. Vokabular wie „Asylindustrie“ ist für mich ein Angriff auf die Menschenwürde. Solche Worte machen eine Aussage, die man einordnen kann.
Wie steht es mit AutorInnen, die sehr unterschiedliche Werke verfasst haben, etwa Akif Pirinçci? Katzenkrimis ja, „Deutschland von Sinnen“ nein?
Ich weiß von einer Bibliothek, die auch die Katzen rausgeworfen hat, um eine klare Linie zu fahren, andere tun das nicht. Ich kann beide Haltungen verstehen. Die Diskussion kennen wir in Zusammenhang mit Autoren, die während der NS-Zeit publiziert haben. Hans Baumann hat nach 1945 feinsinnige Kinderpoesie geschaffen, aber wohl nie offen die Auseinandersetzung mit seiner damaligen Haltung gesucht. Es gibt keine Top-Lösung, das ist immer eine Einzelentscheidung.
Immer geht es um den hohen Wert der Meinungsfreiheit. Wenn Büchereien bestimmte Werke nicht kaufen, ist das nicht Wasser auf die von neu-rechter Seite gern gedrehte Mühle, dass Meinungen unterdrückt werden?
Grundsätzlich: Fast jedes Sachbuch ist über den regionalen oder auswärtigen Leihverkehr zu bekommen. Bei über 100 Büchereien in Schleswig-Holstein hat es sehr wahrscheinlich eine im System, ansonsten gibt es den bundesweiten Leihverkehr. Wir wollen, dass die Menschen Zugang zu einer enormen Bandbreite an Büchern haben. Aber nicht jede Bücherei muss alles anschaffen, man kann sein Budget auch für andere Werke ausgeben.
Wie sollten Büchereien solche Titel präsentieren, irgendwo eine „rechte Ecke“ einrichten?
Solche Giftschränke gab es in 1970er-Jahren, da standen die Titel mit Sexszenen, in denen die Kinder nicht blättern sollten. Noch früher gab es die Theke, und der Bibliothekar hat entschieden, was er herausgibt. Diese Sachen haben wir mit einem Seufzer der Erleichterung von uns geworfen. Bloß keine Bevormundung mehr! Wir wollen nicht als Geschmacks- und Meinungswächter auftreten.
Aber wie dann?
Stellt das Buch nicht allein ins Regal! Wenn zu einem Thema wie Islam nur ein einziger Titel dasteht, kann das schräg werden. Also könnte die Bücherei ganz darauf verzichten – oder sie entscheidet sich, Geld auszugeben und mehrere Titel zum Thema anzuschaffen. Noch besser ist, Diskussionen zu ermöglichen. Man kann Podiumsrunden mit Autoren verschiedener Richtungen veranstalten. Wichtiger als das Vier-Augen-Gespräch an der Theke ist ein offenes Klima in der Bücherei, das die Integration bejaht und deutlich macht, dass alle Menschen willkommen sind.
Susanne Brandt
geboren 1964 in Hamburg, studierte Bibliothekswesen und
Kulturwissenschaften und ist seit 2011 als Lektorin bei der Büchereizentrale Schleswig-Holstein tätig.
Klingt gut – aber was heißt das für sehr kleine Bibliotheken oder für die Bücherbusse, die in Schleswig-Holstein über Land rollen?
Im Bücherbus läuft es nur über das direkte Gespräch. Da kann ich nur empfehlen, dass man sich wappnet und sachkundige Argumente parat legt. Man merkt ja, ob das Gegenüber offen ist oder provozieren will.
Sehr offensiv nach bestimmten Titeln zu fragen, kann ja auch eine Methode sein, um hohe Nachfrage zu suggerieren. Bieten Sie als Büchereizentrale dazu Schulungen an?
Das haben wir bisher nicht, aber man könnte das durchaus überlegen. Es wird auf jeden Fall in der Branche viel diskutiert. Und eben auch mit den Lesern – von allen Seiten. Einige beschweren sich, dass es bestimmte Titel gibt, andere, dass es sie nicht gibt.
Bisher reden wir über die Menschen, die direkt in die Bibliotheken kommen. Was ist mit der Online-Ausleihe? Wie kann man da einwirken oder in Diskussion kommen?
Es stimmt, da fehlt der Kontext am Regal. Aber auch online kann man sich um Vielfalt bemühen, wobei in der Online-Ausleihe eigene Lizenzrechte regeln, ob ein Buch bereit steht. Grundsätzlich sollten wir bei der Auswahl verstärkt auch Werke und Übersetzungen aus dem arabischen, afrikanischen oder persischen Sprachraum mit berücksichtigen. Es sind in den vergangenen Jahren auch viele AutorInnen und JournalistInnen nach Deutschland gekommen. Diese Menschen brauchen ein Forum, etwa für Lesungen. Das Miteinander zu verstärken, ist Aufgabe der Büchereien.
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