: Konflikt nach Syrien verlagert
In der Türkei zieht Präsident Recep Tayyip Erdoğan quer durchs Land und hält täglich Reden. Auch wenn es nur Kommunalwahlen sind: Wer künftig die Metropolen regiert, ist von entscheidender Bedeutung. Dabei spricht Erdoğan regelmäßig auch den Kampf gegen kurdische Terroristen an. Doch anders als bei früheren Wahlkämpfen sind damit jetzt syrische Kurden gemeint. Glaubt man dem türkischen Präsidenten, sind die YPG-Kämpfer in Syrien derzeit das größte Sicherheitsproblem des Landes.
Warum? Die politische Dachorganisation der YPG ist ein Ableger der türkisch-kurdischen PKK. Sollte es den syrischen Kurden gelingen, auf ihrer Seite der Grenze eine autonome Region einzurichten, entstünde aus Sicht der türkischen Regierung jenseits der Grenze ein „PKK-Staat“, was unbedingt verhindert werden müsse. Notfalls auch durch einen erneuten militärischen Einmarsch in Syrien.
Hinter dieser „Bedrohung“ sind die Auseinandersetzungen mit der PKK innerhalb der Türkei, im Südosten des Landes, aus dem öffentlichen Bewusstsein nahezu verschwunden. Sicher, es gibt noch Schießereien zwischen PKK-Militanten und der Armee, gelegentlich bombardiert die türkische Luftwaffe auch PKK-Posten im Nordirak. Doch das alles scheint im Vergleich zur syrischen Bedrohung Routine, wie ein Hintergrundgeräusch, das man kaum noch wahrnimmt.
Denn auch die PKK konzentriert ihre Aktivitäten auf Syrien. Türkisch-kurdische Routiniers des Guerillakampfs verstärken die Reihen der syrische-kurdischen YPG, die Schriften von PKK-Gründer Abdullah Öcalan sind Pflichtlektüre in den Ideologieschulungen der YPG. Die PKK hat nach ihrer Niederlage im sogenannten Städtekampf im Winter 2015/16, als sie in mehr als zehn Städten versucht hatte, durch eine Großoffensive autonome, für die Polizei und das Militär nicht mehr zugängliche Zonen einzurichten, ihre Angriffe innerhalb der Türkei nahezu eingestellt. Die zerstörten Innenstädte von Diyarbakır, Nusaybin, Cizre und anderen Orten vor Augen, ist die Bevölkerung nicht mehr gewillt, militärische Abenteuer der PKK zu unterstützen. Anders in Syrien. Hier hat die YPG im Windschatten des Kampfs gegen den IS mit Unterstützung der PKK enorme Geländegewinne gemacht, die sie nun behalten will.
Auch wenn sich der Fokus derzeit vom türkischen Südosten auf den Norden Syriens verlagert hat, sowohl die PKK wie auch die türkische Führung setzen voll auf die militärische Karte. Friedensgespräche, wie sie vor fünf Jahren geführt wurden, sind in weite Ferne gerückt.
Deshalb ist der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan, der in den Friedensgesprächen damals eine entscheidende Rolle spielte, für die türkische Führung im Moment auch unwichtig. Der Hungerstreik gegen die Isolation Öcalans spielt in der türkischen Öffentlichkeit keine Rolle. Die meisten Menschen wissen gar nichts davon. Wolf Wittenfeld
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