piwik no script img

Reddit-Beitrag mit unerwarteter WendungTrost statt Roast

Ein russischer Teenager mit Depressionen forderte Reddituser auf, ihn zu beleidigen. Die weigerten sich – und glänzten mit Menschlichkeit.

Jemanden grillen? Eigentlich beliebt bei Reddit, aber bei „MufasaQuePasa“ wars eher ein Honigbad Illustration: imago/UIG

Das Internet kann ein ziemlich rauer Platz sein. Um zu dieser Feststellung zu kommen, reicht oft schon ein einziger Blick in die Kommentarspalten auf Facebook (oder noch schlimmer: YouTube) aus. Unter anderem wegen der physischen Distanz zwischen den Gesprächspartner*innen (Anonymität spielt anders als angenommen keine so große Rolle dabei) herrscht dort ein Umgangston, den man außerhalb des Netzes eher selten antrifft.

Besonders roh geht es normalerweise auch auf dem „r/RoastMe“-Subreddit des Messageboards Reddit zu. Wörtlich übersetzt bedeutet „Roasten“ eigentlich „Braten“ oder „Rösten“. Auf Englisch ist damit im übertragenen Sinne gemeint, dass man eine andere Person auf humorvolle und kreative Art und Weise beleidigt. Aus offensichtlichen Gründen lassen die Meisten das nicht freiwillig über sich ergehen. Bei r/RoastMe allerdings posten Menschen Fotos von sich mit der expliziten Aufforderung, geroastet zu werden.

Die aus 1,1 Millionen Menschen bestehende Community des Subreddits hat aus ihren ausgefallenen Beleidigungen eine regelrechte Kunstform entwickelt. Jedes noch so kleine Detail auf dem Foto oder in der Bildüberschrift wird ausgeschlachtet, um möglichst gnadenlose Kommentare über die abgebildete Person und deren Aussehen hervor zu zaubern. Die Ergebnisse schwanken dabei meist zwischen erheiternd und geschmacklos.

Am Wochenende zeigte sich der sonst so für seine Ruchlosigkeit berüchtigte Subreddit allerdings von einer ganz anderen Seite. Ein User mit dem Namen „MufasaQuePasa“ postete ein Foto von sich mit dem Titel „17 Jahre alter Russe mit schweren Depressionen. Gebt mir einen Grund, alles zu beenden.“. Auf dem Bild hält der bebrillte Jugendliche mit regungslosem Gesichtsausdruck einen Zettel mit der Aufschrift „r/RoastMe“ in die Kamera, der im Subreddit zur Verifizierung dient.

„Der einzige Roast den du brauchst ist eine Therapiesitzung“

Zur Überraschung aller weigerten sich die r/RoastMe-Nutzer*innen ausnahmslos, dem Wunsch des Teenagers nachzukommen. Anstelle von bissigen Kommentare über sein Äußeres und seine Depression erntete er Empathie, Ratschläge und Aufmunterung.

„Junge, der einzige Roast, den du brauchst, sind geröstete Cashews und eine Therapiesitzung“, meinte ein*e Nutzer*in namens „el_MomoGee“. „Ich werde dich nicht roasten, aber ich werde dich in eine Decke wickeln und in einen Burrito verwandeln“, schrieb ein*e weitere*r Nutzer*in namens „evilpinkmonkey“, „und dann werde ich dir Tee geben. Es ist schwierig depressiv zu sein, wenn man ein warmer Burrito ist. Ich habe selbst schon diesen Weg zurückgelegt, und ich will nur, dass du weißt, dass du etwas hast, für das es sich zu leben lohnt. Gute Besserung, Mann.“

Die Beobachtungsgabe der r/RoastMe-Nutzer*innen, die sonst immer dazu verwendet wird, um Menschen möglichst effektiv zu beleidigen, erwies sich für u/MufasaQuePasa als Segen. Vielen fiel nämlich sofort der leere Blick des Jugendlichen auf dem beigefügten Foto auf. „Sohn, ich werde dir nicht mit Wörtern wehtun“, schrieb „AlienInAHumanSuit“, „du trägst die gleichen Augen wie ich und das schmerzt mich. Ich hasse es andere die gleiche Maske tragen zu sehen, die ich selbst aufgesetzt habe.“

Wholesome“ nennt man solche aufrichtigen und auf Gutes abzielenden Inhalte im Netz. Sie bilden einen starken Kontrast zu den dezidiert ironischen und nihilistischen „Dank Memes“, die man üblicherweise mit Reddit und anderen Messageboards wie 4chan verbindet. Allerdings muss beides sich nicht zwingend ausschließen. Immer wieder vermitteln Nutzer*innen durch ironische Memes auch eine authentische Werthaltung.

Screenshot: reddit

MufasaQuePasas Beitrag sammelte innerhalb kürzester Zeit 53.000 Upvotes. Mittlerweile ist er der zweiterfolgreichste Post im ganzen Subbredit – direkt hinter der Reaktion des russischen Teenagers auf seinen ursprünglichen Post, die am Sonntag online ging. „Danke für die Unterstützung! Zu sehen, dass komplett Fremde sich Sorgen um meine Situation machen, hat wirklich mein Herz gewärmt“, schreibt er darin. Anders als beim vorherigen Beitrag lächelt er dieses Mal breit auf dem beigefügten Foto. Und zeigt damit, dass das Internet nicht nur rau, sondern auch fürsorglich sein und das Schöne in den Menschen hervorbringen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • sind wir hier bei bento?

    • @systemrelevant:

      Weil auch mal über was Positives berichtet wird?