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Juristin über Referentenentwurf zu 219a„Orwell'sche Abstrusitäten“

Der Gesetzentwurf der Regierung zur Reform des Paragrafen 219a löse die bestehenden Probleme nicht, sagt Maria Wersig vom Juristinnenbund.

Mai 2018: Das Thüringer Frauen*kampftagsbündnis protestiert gegen Paragraf 219a Foto: dpa
Dinah Riese
Interview von Dinah Riese

taz: Frau Wersig, das Bundesjustizministerium hat einen Vorschlag zur Reform des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch vorgelegt. Was halten Sie davon?

Maria Wersig: Wir vom Juristinnenbund sind damit nicht zufrieden. Die verfassungsrechtlichen Probleme, die aus der Kriminalisierung der Ärztinnen und Ärzte entstehen, werden damit nicht gelöst.

Wieso nicht? Ärzt*innen sollen doch künftig darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.

Sie dürfen künftig straflos darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Aber schon für die Information, welche Methoden angewandt werden, muss auf Listen neutraler Stellen verlinkt werden. Erst dort steht dann, ob jemand einen medikamentösen Abbruch anbietet oder einen operativen.

Wie sieht es denn aus mit der Webseite der angeklagten Kasseler Ärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus? Dort steht: „Schwangerschaftsabbruch, operativ oder medikamentös mit Mifegyne“.

Das wäre wohl weiterhin strafbar, wegen allem, was nach dem Komma kommt. Zwar ist Rechtsanwendung auch ein kreativer Umgang mit Sprache, der Wille des Gesetzgebers ist aber sehr deutlich. Man sollte sich auf diesen Kompromiss nicht in der Hoffnung einlassen, dass das neue Gesetz wohlwollend den Ärztinnen und Ärzten gegenüber ausgelegt wird.

Ist die Regelung denn so problematisch?

Das ist in mehrerer Hinsicht ein Problem. Zum einen ist es ein Widerspruch in sich: Ein und dieselbe Information ist auf der Webseite einer neutralen Stelle legal, auf der Webseite einer Ärztin aber eine Straftat. Dass die Information über eine legal durchgeführte Dienstleistung im Strafrecht reguliert wird, ist einmalig. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Wenn es rechtlich möglich ist, Abbrüche durchzuführen, dürfen Ärztinnen und Ärzte darüber auch informieren. Und auch in der Praxis wird diese Regelung Probleme nach sich ziehen.

Bild: Hoffotografen
Im Interview: Maria Wersig

40 Jahre alt, ist Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Sie ist Professorin an der FH Dortmund.

Zum Beispiel?

Ärztinnen und Ärzte müssen weiter sehr vorsichtig sein. Ein falsches Wort auf der Webseite, und sie stehen wieder mit einem Bein in der Strafbarkeit. Warum? Wir reden hier doch über sachliche Information. Das Ganze erinnert schon sehr an Orwell’sche Abstrusitäten.

Und was schlagen Sie in Ihrer Stellungnahme vor?

Wir plädieren weiterhin ­dafür, Paragraf 219a zu streichen. Wenn man den gesellschaftlichen Diskurs über Schwangerschaftsabbrüche ­regulieren will, dann geht das auch im Ordnungswidrigkeitenrecht. Dort könnte man etwa grob anstößige Werbung oder Werbung für rechtswidrige Abbrüche mit Geldbußen belegen. Wenn man aber über die Grenzen des öffentlichen Diskurses spricht, gibt es aus unserer Sicht noch ganz andere Probleme.

Und zwar?

Bei der Debatte geht es immer wieder auch um einen „gesellschaftlichen Klimaschutz“. Wer so argumentiert, darf auch zu etwas anderem nicht schweigen: Sogenannte Lebensschützer vergleichen öffentlich Abtreibungen mit dem Holocaust. Diese Relativierung und Instrumentalisierung nimmt zu, im Netz, auf Postkarten und so weiter. Das ist geeignet, den gesellschaftlichen Frieden zu stören, und wir schlagen vor, auch das als Ordnungswidrigkeit zu ahnden.

Gibt es dafür nicht schon Gesetze?

Es gibt den Paragrafen 130 Strafgesetzbuch, Volksverhetzung. Dort ist unter anderem die Holocaustleugnung geregelt. Aber diese Menschen leugnen den Holocaust ja nicht. Sie sagen: Er war rechtswidrig, aber straffrei, und genau so ist es heute mit den Abtreibungen. Oder sie sprechen vom „neuen Holocaust“.

Letzteres steht etwa auf der von Abtreibungsgegnern betriebenen Webseite „Babycaust“.

Ja. Auf solchen Seiten darf übrigens auch künftig stehen, wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt, und auch mit welchen Methoden. Die Betreiber dieser Seite haben ja selber keinen Vermögensvorteil und erfüllen deswegen nach herrschender Meinung nicht den Straftatbestand.

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8 Kommentare

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  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Gebe Ihnen in manchem recht.



    Der 'sogenannte Gesetzgeber' ist seit ein paar Jahrzehnten bei den Wählern die präferierte CDU mit ihrem Anhängsel CSU. Und bemerkenswert ist dann auch das 'C' im Parteinamen und welche Rolle es spielt.



    Im Großen und Ganzen bleibt das Gefühl, daß der Körper einer Frau, die Entscheidungen und Beratungen über das Kinderkriegen, die körperliche und medizinische Hilfe immer noch eine Sache der Männer in der CDU/CSU ist



    Mit freundlicher Unterstützung der Organisation'Katholische Kirche' und Montgomery.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @91672 (Profil gelöscht):

      War für MOWGLI gedacht.

  • Zitat: „Das Ganze erinnert schon sehr an Orwell’sche Abstrusitäten.“

    Das ist vermutlich kein Zufall. Hier geht es nämlich nicht nur (und vermutlich nicht einmal überwiegend) um einen Sachverhalt. Es geht um die Regulierung von Gefühlen.

    Der sogenannte Gesetzgeber möchte offenbar das Gefühl nicht ganz verlieren, die Kontrolle zu besitzen. Wenn schon nicht direkt über den Unterleib deutscher Bürgerinnen, dann doch wenigstens über die Webseiten der Ärzt*innen, denen die Frauen erkennbar mehr vertrauen als jedem Gesetzgeber. Das ist der blanke Hass derer, die Zwang ausüben müssen, auf die, die sich auf Freiwilligkeit berufen können - der Neid verlassener "Liebhaber" quasi.

    Dass das Gefühl, private Entscheidungen wildfremder Leute in Bezug auf ihren Unterleib kontrollieren zu dürfen, überhaupt als erstrebenswert angesehen wird von den Regierenden, ist allerdings ziemlich absurd anno 2019 und in Mitteleuropa. Auf solche Wünsche muss man erst mal kommen, wenn man nicht Papst ist! Wenn die Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, nicht vernünftiger wirken als das Ziele selber, wundert mich das jedenfalls rein gar nicht.

    Übrigens: § 130 (3) StGB stellt demjenigen bis zu fünf Jahren Knast in Aussicht, der „eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung [...] öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“ Wer im Zusammenhang mit Abtreibungen von einem „neuen Holocaust“ fabuliert, tut das definitiv. Die persönliche Entscheidung einer Frau, einen einzelnen, noch nicht lebensfähigen Embryo abzutreiben, hat mit dem staatlich angeordneten Massenmord an Millionen lebender, liebender, hoffender, glaubender, vertrauender Männern, Frauen und Kindern rein gar nichts gemeinsam. Schon deswegen nicht, weil Morde durchaus strafbar waren in der Nazizeit. Die Strafen wurden bloß nicht vollstreckt, weil der Staat selber der Mörder war und die Opfer von ihm nicht als Menschen angesehen wurden.

  • Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft



    (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise

    1.eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder



    2.Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung

    zum letzten Absatz: Letzteres steht etwa auf der von Abtreibungsgegnern betriebenen Webseite „Babycaust“.

    Ja. Auf solchen Seiten darf übrigens auch künftig stehen, wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt, und auch mit welchen Methoden. Die Betreiber dieser Seite haben ja selber keinen Vermögensvorteil und erfüllen deswegen nach herrschender Meinung nicht den Straftatbestand.

    --> ist diskussionswürdig ob dies nicht dem Wortlaut des Gesetzes nach "grob anstößig" und somit strafbar ist

  • Einfach nur danke für diesen Beitrag.

  • Toller Beitrag, vielen Dank!

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Gute Fragen. Gute Antworten. Danke.



    Irgendwie hat man den Eindruck, daß das Kinderkriegen immer noch die Sache von Männern und Parteien ist.

    • @91672 (Profil gelöscht):

      Ist ein sehr schwieriges Thema, bin aber froh, dass das mal in der Öffentichkeit stärker wahrgenommen wird und weiterhin auf den Ausgang gespannt.