: Die Absturzangst bannen
Die SPD versucht mit ihrem Sozialstaatspapier eine Revision von Hartz IV. Ältere Arbeitslose könnten davon profitieren
Von Barbara Dribbusch Berlin
Sie gilt als historischer „Verrat“ der SPD an der arbeitenden Mittelschicht: die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005, die zu millionenfachem Stimmenverlust der Sozialdemokraten führte. Nun wagt die Partei eine Revision, mit einem 17-seitigen Papier „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit“, das der SPD-Vorstand am Sonntag beschließen soll. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, hatte SPD-Chefin Andrea Nahles im vergangenen Herbst versprochen. Doch was davon wird in dem Papier umgesetzt?
Die wichtigsten Änderungen sind der verlängerte Bezug von Arbeitslosengeld I und der Vermögens- und Wohnungsschutz für die ersten zwei Jahre in Hartz IV, das laut SPD-Papier in „Bürgergeld“ umgetauft werden soll. Bisher wird Arbeitslosengeld I abhängig von Beschäftigungsdauer und Lebensalter gezahlt, bei 58-Jährigen bis zu einer Dauer von 24 Monaten. Danach rutschen die Erwerbslosen in den Hartz-IV-Bezug, der eine Bedürftigkeitsprüfung verlangt. Wer Vermögen besitzt, muss das Ersparte bis auf einen Freibetrag aufbrauchen, bevor er oder sie Hartz IV in Höhe der Sozialhilfe bekommt.
Das neue SPD-Papier hält diesem Schreckensbild nun etwas entgegen: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I soll auf bis zu 33 Monate verlängert werden, hinzu kommen Weiterbildungszeiten. „Eine maximale Bezugsdauer von 36 Monaten“ soll möglich sein. Wenn das Arbeitslosengeld I ausläuft und man Hartz IV beantragen muss, dann will die SPD laut Papier „für zwei Jahre Vermögen und die Wohnungsgröße nicht überprüfen“.
Die Regelungen würden dazu führen, dass etwa ein 58-jähriger frisch Entlassener künftig drei Jahre lang erst Arbeitslosengeld I und Weiterbildungsgeld (ALG Q), danach dann zwei Jahre „Bürgergeld“ bekäme, ohne dass er sein Vermögen für den eigenen Lebensunterhalt verbrauchen müsste. Nach fünf Jahren Bezugszeit, mit 63 Jahren, wäre ein vorgezogener Rentenbezug mit Abschlägen möglich. Der Absturz in eine Sozialleistung mit Bedürftigkeitsprüfung würde so vermieden.
Damit Arbeitgeber die längere Bezugsdauer nicht dazu benutzen, ihre Beschäftigten auf Kosten der Sozialkassen in den frühen Ruhestand zu schicken, sollen Abfindungen auf die Sozialleistungen angerechnet werden, heißt es in dem SPD-Papier.
„Speziellen Bedarfen und Härten“ von Hartz-IV-EmpfängerInnen solle das Jobcenter laut dem Papier künftig eher begegnen, etwa wenn „plötzlich die Waschmaschine kaputt geht und gleichzeitig die alte Winterjacke aufgetragen ist“. Wenn damit gemeint ist, dass man erst eine aufgetragene alte Winterjacke vorweisen muss, um das Geld für die Reparatur einer Waschmaschine zu bekommen, wäre dies schon merkwürdig. Wenn die Passage aber bedeutet, dass die früheren „einmaligen Leistungen“ für Notsituationen teilweise wieder eingeführt werden, entspräche dies einer Forderung der Wohlfahrtsverbände. Bisher nehmen Hartz-IV-BezieherInnen oft Kredite beim Jobcenter auf, um die Reparatur eines Haushaltsgeräts bezahlen zu können. Die Kredite werden dann mühsam vom Regelsatz abgestottert.
Das SPD-Papier schlägt auch eine „Kindergrundsicherung“ vor. Das Existenzminimum für ein Kind wird dabei mit 408 Euro im Monat angesetzt. Ob Familien im Hartz-IV-Bezug damit mehr Geld für ihre Kinder bekämen, ist unklar. Denn bisher werden für diese Kinder Regelsätze plus Anteile an den Wohnkosten gewährt, die man je nach Standpunkt bis zur Höhe des Existenzminimums aufrechnen könnte.
Zur Finanzierbarkeit der Vorschläge steht in dem SPD-Papier nichts. Aber die SPD-Vorstöße, auch der für eine Grundrente, könnten sich für die Partei rechnen: Im aktuellen Politbarometer des ZDF stieg die SPD in der Wählergunstum 2 Prozentpunkte auf 16 Prozent.
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