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Nicht eine einzige Kartoffelschälmaschine

Brandenburgs Landwirte – Bio- ebenso wie konventionelle Bauern – könnten Berlin mit Lebensmitteln beliefern. Das scheitert bislang an der unterentwickelten Infrastruktur

Fröhliches Ferkelfangen auf dem Ökoschwei­ne­hof Backschwein (Fläming) Foto: Julian Röder/Ostkreuz

Von Manfred Ronzheimer

Eine Grüne Woche ohne Brandenburg? „Unvorstellbar!“ Für Brandenburgs Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger (SPD) ist die weltgrößte Agrarschau unter dem Berliner Funkturm ein jährlicher Pflichttermin im Januar, den er gerne wahrnimmt. In der Halle 21a präsentiert sich die Mark von ihrer geschmackvollen Seite: von Spreegurken, Teltower Rübchen bis Sanddornlikör ist für jeden etwas dabei. Viele der 79 Ausstellerstände locken zudem die Hauptstädter in ihre Naherholungsgebiete. „Für ein Flächenland wie Brandenburg ist die weltgrößte Verbrauchermesse insgesamt eine gute Gelegenheit, um auf die Vielfalt der ländlichen Region hinzuweisen und für Agrarprodukte die Werbetrommel zu rühren“, sagt der Agrarminister.

Am Montag dieser Woche war Brandenburg-Tag auf der Grünen Woche, weshalb Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) die Aussteller besuchte. „Brandenburg hat eine starke Landwirtschaft – sowohl konventionell wie auch im wachsenden Biomarkt“, stellte der Regierungschef fest. Sie sei wichtiger Arbeitgeber, Versorger und „Anker im ländlichen Raum“. Woidke, der sich im Herbst zur Wiederwahl stellt, schnitt auch kritische Punkte an. „Es gibt noch viel zu tun“, so der Politiker. „Wertschöpfungsketten müssen geschlossen, Verbraucher informiert und gewonnen werden.“ Die Verbraucher wollten wissen, woher ihre Wurst oder ihr Käse kommen.

„Das wachsende Interesse an regionalen Produkten, die steigende Nachfrage müssen wir noch besser zur Vermarktung unserer Erzeugnisse nutzen“, formulierte Woidke einen politischen Selbstauftrag. Die Infrastruktur ist zu unterentwickelt, um den Lebensmittelmarkt Berlin aus der Agrarregion Brandenburg zu beliefern. Es gibt im gesamten Bundesland keinen Schlachthof, in dem Schweine und anderes Vieh für die Metzgereien und das Wursthandwerk zerlegt werden können.

Als die Akteure der Berliner Ernährungswende im letzten Herbst die Schulverpflegung probeweise auf „maximal regional“ umstellen wollten, stellte sich heraus, dass es im Ackerland Brandenburg keine einzige Kartoffelschälmaschine gibt, was für Kantinenbelieferung aber ein Muss ist.

Was soll geschehen? „Um bessere Zugänge insbesondere zum Berliner Markt zu schaffen, werden wir eine Verbreitungs- und Vermarktungsstrategie entwickeln“, hat sich die Landesregierung in Potsdam vorgenommen. Das Zitat ist allerdings vier Jahre als und stammt aus dem Koalitionsvertrag des Regierungsbündnisses von SPD und Linkspartei. Eine Strategie liegt bis heute nicht vor.

Brandenburg und die Grüne Woche

Die Grüne Woche in den Messehallen am Funkturm dauert noch bis Sonntag, den 27. Januar. 1.700 Aussteller aus mehr als 60 Ländern präsentieren dort Lebensmittel. Partnerland ist in diesem Jahr Finnland. Die Messe zieht jährlich um die 400.000 Besucher*innen an. Sie steht auch dem allgemeinen Publikum jederzeit offen, Eintrittspreise liegen zwischen 5 (Schülerticket am Sonntag) und 42 Euro (Dauerkarte). Eine normale Tageskarte kostet 15 Euro.

Brandenburg präsentiert sich in einer eigenen Halle (21a). Dort wechseln sich im Laufe der zehn Messetage 180 Aussteller ab. Aber auch in anderen Hallen sind Brandenburger Betriebe und Bauernhöfe mit ihren Produkten vertreten. Das Bundesland nutzt die Messe zudem nicht nur zur Präsentation seiner landwirtschaftlichen Produkte, sondern auch für Werbung um Tourist*innen wie etwa Besucher*innen der Landesgartenschau in Wittstock an der Dosse, die im April dieses Jahres beginnt, oder zu Wanderungen auf den Spuren des Schriftstellers Theodor Fontane, dessen 200. Geburtstag 2019 vor allem in seiner Brandenburger Geburtsstadt Neuruppin gefeiert wird.

Das komplette Brandenburger Veranstaltungsprogramm während der Grünen Woche ist im Internet zu finden unter www.mlul.brandenburg.de. (taz)

Michael Wimmer, Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL), kann nicht verstehen, warum sich die Brandenburger Agrarpolitik nicht zielstrebig auf den Weg macht, „um den nachhaltig lukrativen Berliner Markt vor der eigenen Haustür zu erschließen – den größten Bioabsatzmarkt ganz Europas“.

Immerhin hat sich die Zahl der Biosupermärkte in der Region Berlin-Brandenburg von 4 im Jahr 2000 auf derzeit 126 erhöht. Allein im vergangenen Jahr kamen 8 weitere hinzu. Parallel dazu baut der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel sein Biosortiment immer stärker aus. Jüngster Coup ist die Kooperation zwischen dem Discounter Lidl und der Erzeugermeinschaft „Bioland“. Nach FÖL-Erhebungen lagt der Gesamtumsatz des regionalen Naturkostfachhandels 2018 bei über 530 Millionen Euro, ein Plus von rund 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Trotz dieses Nachfragehochs wächst die ökologische Landwirtschaft in der Mark nur in moderatem Tempo. Im Jahr 2017 wurden 11,7 Prozent der Landwirtschaftsfläche in Brandenburg nach Ökokriterien bewirtschaftet (155.431 Hektar). Die Zahl der Ökohöfe erhöhte sich um 12 auf jetzt 838. „Brandenburg gehört damit zur Spitze der deutschen Bundesländer“, erklärt ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums auf Anfrage der taz. Für 2018 wurden 8.000 Hektar neu im Förderprogramm ökologischer Landbau beantragt. Rund 1.175 Unternehmen in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg fallen unter das europäische Biosiegel.

Für Michael Wimmer müsste die Politik aktiver werden. „Da in den Wendejahren vieles an Knowhow, Kompetenz und Struktur verlorenging“, gibt der Sprecher des Ökolandbaus zu bedenken, „müssen bestimmte Wertschöpfungsketten in der Region komplett neu aufgebaut und entwickelt werden.“ Die Vorteile kämen beiden Bundesländern zugute: „Die Brandenburger Landwirte wären weniger von Schwankungen auf anonymen Märkten abhängig und die Verbraucher in Berlin kämen in den Genuss von mehr Bio made in Brandenburg“, sagt Wimmer.

Ein weiteres Problem der Brandenburger Landwirtschaft: der Fachkräftemangel

Die Darstellung, dass Brandenburg zu wenig im Biobereich fördere, will das zuständige Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft (MLUL) nicht gelten lassen. Aus EU-Agrarmitteln stehen den Ökobauern jährlich 28 Millionen Euro zur Verfügung, gespeist aus dem Kulturlandschaftsprogramm KULAP. „Brandenburg ist gewissermaßen Opfer seines Erfolgs geworden“, erklärt MLUL-Sprecher Jens-Uwe Schade. „Der hohe Bioanteil führt dazu, dass die zur Verfügung stehende Summe unter den Biobetrieben geteilt werden muss.“

Beim Ruf nach einem Vermarktungszentrum müsse auch die Wirtschaft stärker beteiligt werden, bevor Steuermittel fließen. Der Berliner Biogroßhändler „Terra Natur“ stelle mit seinem Neuköllner Zentrum unter Beweis, „dass auch privatwirtschaftliche Lösungen im Biobereich im Großhandelsmaßstab sehr gut funktionieren, wenn das Knowhow und die Logistik stimmen“, merkt Schade an und ergänzt: „Der anhaltende Umsatzboom bei Bioprodukten in der Region zeigt, dass die Branche insgesamt schon sehr stabil ist.“

Ein anderes Problem stellt sich der Brandenburger Landwirtschaft indes immer drängender: der Fachkräftemangel. Eine Studie des Sozialforschungsinstituts Söstra im Auftrag des Brandenburger Arbeitsministeriums kam Ende letzten Jahres zu dem Befund, dass von den derzeit 26.000 Arbeitsplätzen im märkischen Agrarsektor bis 2030 an die 20.000 neu besetzt werden müssen, aus Altersgründen oder bedingt durch Fluktuation. „Das ist ein dramatischer Wert“, betonten die Experten. Nötig seien Änderungen in der Berufsausbildung sowie attraktivere Arbeitsbedingungen auf den Höfen.

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