: Timoschenko will es noch einmal wissen
Die umstrittene frühere Regierungschefin kandidiert für das Präsidentenamt
Aus Kiew Bernhard Clasen
Julia Timoschenko, die frühere Premierministerin der Ukraine, ist am Dienstag von ihrer Partei Vaterland zur Kandidatin für die am 31. März angesetzte Präsidentschaftswahl aufgestellt worden. Timoschenko liegt derzeit in Umfragen mit ungefähr 20 Prozent Zustimmung an der Spitze der Kandidaten und damit auch vor Amtsinhaber Petro Poroschenko.
Das Datum des Parteitages von Vaterland war sorgfältig gewählt. Genau einhundert Jahre nach der Vereinigung der Westukrainischen Volksrepublik und der Ukrainischen Volksrepublik hatte die Partei zu einem „Einheitsforum“, wie sie den Nominierungsparteitag nannte, aufgerufen. Ein Meer von gelb-blauen ukrainischen Nationalfähnchen wehte durch den Kiewer Sportpalast, der bis auf den letzten Platz besetzt war.
Wie ein roter Faden zog sich der Ruf nach Einheit durch alle Redebeiträge. Und die einzige Person, die diese Einheit umsetzen könne, sei Julia. Ausführlich und überschwenglich wurde all denen gedankt, die auf Julia Timoschenkos Lebensweg loyal zu ihr gestanden haben.
Der Patriarch Filaret Denyssenko sprach von einer großen Prüfung, die das Land derzeit wegen der russischen Aggression zu bestehen habe. Doch man habe die Wahrheit auf seiner Seite. „Und wer die Wahrheit auf seiner Seite hat, hat Gott auf seiner Seite“, rief er den Delegierten zu. Die neue Kirche sei ein Garant für die ukrainische Einheit. Gemeinsam mit den Delegierten sprach er stehend das Vaterunser.
Noch deutlicher sprach sich Leonid Krawtschuk, der erste Präsident der unabhängigen Ukraine, für Timoschenko aus. Auch der ehemalige Gouverneur von Odessa, Michael Saakashvili, und der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wünschten Timoschenko in Videobeiträgen viel Erfolg.
Bei so viel Einheitsrhetorik wurden die Tagesordnung, das offene Wahlverfahren und die Nominierung der Kandidatin Julia Timoschenko einstimmig durchgewinkt.
In ihrer sehr persönlich gehaltenen Rede dankte sie den Demonstranten, die ihr während ihrer Haft 2012 und 2013 mit Aktionen vor dem Gefängnis beigestanden hatten. Besonders bedankte sie sich bei ihrer Tochter Ewgenija, die in der damaligen Zeit europaweit eine Solidaritätskampagne für ihre Mutter organisiert hatte. Und dem Ehemann, mit dem sie seit 39 Jahren verheiratet ist. Offen sprach Timoschenko auch von eigenen Fehlern, die sie in der Vergangenheit gemacht habe. Doch eines werde sie nie tun, versprach sie: Menschen oder gar den Staat verraten.
Die Emotionalität der Redebeiträge verdrängte gleichzeitig die Inhalte auf den zweiten Platz. Lediglich in kurzen Videobeiträgen und ausgelegten Broschüren wurde die Kandidatin politisch. So will Timoschenko den Militäretat von derzeit zwei auf drei Prozent des Bruttosozialprodukts erhöhen, das Land weiter in Richtung Nato bewegen, Hass, Angst und Unverständnis der Menschen diesseits und jenseits der Waffenstillstandslinie abbauen und mit einer neuen Verfassung Oligarchen und die Korruption bekämpfen.
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