„Ich
wäre gerne ein richtig guter Troll“

Cornelia Sollfrank hat in den neunziger Jahren den Cyberfeminismus mitbegründet. Heute spricht sie lieber von „Techno­feminismus“. Den Begriff hält sie für besser geeignet, um die Komplexität der Krise, in der wir uns befinden, zu beschreiben. Ein Gespräch über Utopien, Ökologie und die Macht der sozialen Medien

Netzkünstlerin Cornelia Sollfrank vor den Symbolen ihrer Forschungsgruppe #purplenoise Foto: Amélie Losier

Interview Marlene Halser

taz: Im November 2017 fand in London am Institute for Contemporary Art eine Tagung unter dem Titel „Post-Cyber­feminist International“ statt. Bis Ende Februar läuft im HMKV Dortmund noch die Ausstellung „Computer Grrls“. Mitte Februar eröffnet im Züricher Museum für Gegenwartskunst „Producing Futures – An Exhibition on Post-Cyber-­Feminisms“. Frau Sollfrank, Cyberfeminismus scheint ­derzeit wieder schwer im Kommen zu sein. Was halten Sie davon?

Cornelia Sollfrank: Ich finde den Begriff „Post-Cyberfeminismus“ schrecklich und die Auseinandersetzung mit dem Thema in Form von Ausstellungen oft zu oberflächlich. Aber ja, es gibt einen neuen Hype, diesmal mit der Vorsilbe „post“; ein typisches Phänomen des Kunstbetriebs.

Was stört Sie daran?

Ich finde es gut und wichtig, das problematische Verhältnis von Geschlecht und Technologie weiterhin zu thematisieren. Aber als wir Cyberfeminismus praktiziert haben, waren das andere Ausgangsbedingungen. Der Begriff hat eine historische Anbindung an die Utopien, Fantasien und Wünsche der neunziger Jahre. Das kann man nicht einfach so auf die heutige Zeit übertragen und so tun, als sei das „Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century“ von VNS Matrix 2019 Avantgarde. Da fehlt mir das Bewusstsein da­rüber, was in den letzten 30 Jahren passiert ist.

Was war damals anders?

Als VNS Matrix 1991 in ihrem Manifest ein besonders intimes Verhältnis von Frauen und Computern proklamierten, haben sie das noch auf Plakatwände geklebt. Das ist nicht online zirkuliert, weil damals einfach noch keiner einen Mail-Account hatte. William Gibson hat mit seiner Cyberpunk-Trilogie den Cyberspace vorweggenommen – also die Science-Fiction-Literatur, nicht die Rea­lität: Man stöpselt irgendwas ein, und schwups ist man in diesem imaginären Raum. Erst kurz danach kam dann tatsächlich das World Wide Web.

Was haben Sie sich damals gewünscht?

Der Cyberfeminismus hat die These aufgestellt, dass diese neuen, vernetzten, dezentralen Medien mit den flachen Hierarchien automatisch zu einer Feminisierung der Gesellschaft beitragen würden, zu einer Governance jenseits des Patriarchats. Diese Frühphase hatte für viele etwas Euphorisierendes, weil Technik damals zum ersten Mal von Feministinnen positiv gedacht wurde. Zuvor, im Ökofeminismus, war Technologie mit der Herrschaft des Mannes über die Natur und über die Frau gleichgesetzt und damit per se negativ besetzt. Aus heutiger Sicht ist das natürlich total nach hinten losgegangen.

Inwiefern?

Die Freiheit kam nicht automatisch mit der Technik. Während wir uns erträumt haben, dass im Netz ein immaterieller Raum entsteht, in dem wir unsere eigenen Gesetze erfinden können, sind große Firmen wie der Google-Konzern Alphabet, Amazon, Apple und Facebook entstanden und haben das Internet unter sich aufgeteilt. Die halb öffentlichen Räume der ­sozialen Medien, die diesen Firmen gehören, sind zu politischen Arenen aufgestiegen, also zu Orten, an denen heute Politik beeinflusst und gemacht wird. Die Rechten haben das sehr gut verstanden. Sehr viel besser als die Linken. Dazu kommen noch die Szenarien der totalen staatlich-privatwirtschaftlichen Überwachung. Das ist alles ganz schön deprimierend.

Für den Sammelband, den Sie auf der transmediale in ­Berlin präsentieren werden, haben Sie den Begriff „Tech­nofeminismus“ gewählt. Warum?

Ich wollte einen Begriff finden, der das Verhältnis von Gender und Technologie möglichst allgemein fasst, der die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit von Gender und Technologie beinhaltet und der in der derzeitig dystopischen Situation Formen von Handlungsfähigkeit eröffnet. Heute ist klar, dass Technologie niemals neutral sein kann, und wir müssen uns einmischen in die Gestaltung der Technologien, die uns formen und einen bewussten Umgang damit lernen.

Sie schreiben in dem Band, man müsse die Cyberbrille öffnen und sich umsehen. Was sieht man dann?

Die Geräte, die Infrastruktur, die Kabel und die Ausbeutung, die damit zusammenhängt – also sowohl die ökologische, als auch die ökonomische Dimension, die wir in den neunziger Jahren völlig ausgeblendet haben. Wir lebten damals in der Fantasie, die materielle Welt hinter uns lassen zu können – inklusive des Körpers, der uns in soziale Normen zwängt. Inzwischen haben wir verstanden, wie und warum Materialität wichtig ist, wie Rohstoffe und Produktionsverhältnisse mit den kapitalistischen Strukturen zusammenhängen, die auch für die Klimakatastrophe verantwortlich sind.

Was kann Feminismus hier ausrichten?

Er kann Macht und Ausbeutungsstrukturen aller Art erkennen und benennen. Das Projekt Commons Lab, für das ich 2017 in Kanada arbeitete, brachte mich mit ökologisch orientierten Technofeministinnen zusammen. Für sie ist der Begriff care, also der Sorge, zentral. Es geht darum, auf sich und auf andere besser zu achten, auch auf andere Spezies und auf das, was mal als „die Natur“ bezeichnet wurde. Alles ist Teil eines umfassenden Systems, das wir Menschen mit aller Gewalt aus dem Gleichgewicht zu bringen versuchen. Gleichzeitig betreiben diese Hacker_innen, ein queer-feministisches Hackcenter. Sie bauen Strukturen, Räume zum gemeinsamen Lernen und Verlernen, etwas, was mir als Künstlerin schon immer wichtig war.

Wer, was, wo?

Die Frau: Cornelia Sollfrank arbeitet als freischaffende Künstlerin und Forscherin über Netzkultur und vernetzte Kunst. Sie ist Initiatorin des cyberfeministischen Netzwerks Old Boys Network (1997–2001) und organisierte 1997 die First Cyberfeminist International im Rahmen der documenta X in Kassel. Derzeit arbeitet sie als Research Associate an der Zürcher Hochschule der Künste in dem Projekt Creating Commons und macht gelegentlich #purplenoise, interdiszi­plinäre technofeministische Forschung zur politischen Dynamik sozialer Medien.

Die Bewegung: Cyberfeminismus entstand mit dem Aufkommen des Internets und ist besonders mit dem Namen Donna Haraway verknüpft, die 1985 „A Cyborg Manifesto“ veröffentlichte. Inspiriert von diesem Manifest, prägte die australische Künstlerinnengruppe VNS Matrix 1991 mit ihrem „Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century“ den Begriff. Der Cyberfeminismus der neunziger Jahre fantasiert einen durch technische Neuerungen entstandenen Raum, den Cyberspace, in dem patriarchale Strukturen und Gender keine Rolle mehr spielen.

Die Veranstaltung: Die transmediale ist ein Festival für Medienkunst und digitale Kultur, das am 31. Januar im Berliner Haus der Kulturen der Welt beginnt und am 3. Februar endet. Es gibt verschiedene Konferenzen, Ausstellungen, Performances und Workshops. Einige Projekte werden über das ganze Jahr weitergeführt.

Das Buch: Cornelia Sollfrank (Hg.): „Die schönen Kriegerinnen. Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert“; Gratis-PDF auf transversal.at, Präsentation auf der transmediale: 1. Februar 2019, 17 Uhr, Café Stage, Eintritt frei.

Ein weites Feld. Wo setzen Sie an?

In meinem Buch bieten sechs Autorinnen jeweils einen spezifischen Ansatz an. Mir selbst ist es im Moment wichtig, innerhalb der Linken eine Debatte darüber zu forcieren, wie wichtig soziale Medien als Arenen von Meinungsbildung, Propaganda und Beeinflussung sind – mit Auswirkungen auf die reale Politik. Diese Arbeit betreibe ich mit einer kleinen Forschungsgruppe namens #purplenoise. Jeder ist von sozialen Netzwerken betroffen, egal ob er mitmacht oder nicht. Die Linke denkt ja oft, es sei damit getan, Technik zu boykottieren. Aber das funktioniert nicht. Trump ist Präsident, egal ob ich einen Facebook-Account habe oder nicht. Wenn es kein Außerhalb der vernetzten Welt mehr gibt, weil sich Offline- und Onlinewelt beeinflussen und bedingen, wollen wir herausfinden, wie wir innerhalb widerständig sein können.

Wie sieht die Strategie aus?

Ich wäre gerne ein richtig guter Troll …

… also eine Nutzerin, die durch Provokationen gezielt die Kommunikation stört oder mithilfe von Fake-Accounts den Algorithmus von sozialen Medien und damit Meinungen beeinflusst. Warum?

Das ist die Ebene, auf der man im Moment Einfluss nehmen kann. Ein guter Troll muss sehr, sehr intelligent sein, um dieses Spiel mit vielen verschiedenen Identitäten beherrschen zu können. Ein Spiel, das auch immer Teil meiner Kunst war. Mein Ziel wäre, die Rechten in Deutschland so zu verwirren, dass sie überhaupt nicht mehr wissen, ob eine Demo wirklich stattfindet, weil alles durcheinandergeht und sie schon hundertmal irgendwohin gefahren sind, wo dann nichts war. Das wäre meine Fantasie.