Kommentar von Dinah Riese zu Zahlungsaufforderungen an Menschen, die für Geflüchtete gebürgt haben: Das Chaos belastet die Falschen
Einundzwanzig Millionen Euro. Diese Summe fordern Jobcenter in ganz Deutschland dieser Tage von Menschen zurück, die Verpflichtungserklärungen für Geflüchtete aus Syrien unterschrieben haben.
Wer sich für eine Bürgschaft entscheidet, darf nicht überrascht sein, wenn sie oder er tatsächlich mit entsprechenden Forderungen konfrontiert wird – könnte man meinen. Wenn diese Menschen aber falsch beraten wurden und die Rechtslage unklar war, dann darf dieses Chaos nicht zulasten von Privatpersonen gehen. Und genau das ist in vielen Fällen der Fall.
Das Hauptproblem ist aber viel grundsätzlicher. Mehr als 2.200 Menschen sind im Jahr 2018 bei der Flucht über das Mittelmeer ertrunken. Dass es nicht noch mehr sind, liegt auch an den Schiffen privater Seenotretter. Deren Arbeit schätze sie, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Sommer. Sie hätten „unglaublich vielen Menschen das Leben gerettet“.
Doch nicht nur werden diese Rettungsmissionen seit Monaten von europäischen Ländern bedrängt, weil niemand die Verantwortung für die Geretteten übernehmen will. Die europäische Asylpolitik drängt diese Menschen überhaupt erst aufs Meer. Denn legale und somit sichere Wege, etwa nach Deutschland zu kommen und hier Asyl zu beantragen, gibt es kaum.
Wer vor Krieg und Zerstörung aus Syrien flieht, tut das auf jedem möglichen Weg. Damit Menschen direkt mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen und hier Asyl beantragen können, braucht es oftmals Verplichtungserklärungen. Es müssen also wiederum hier lebende Privatpersonen ihr privates Vermögen einsetzen. Das Recht auf Leben wird so abermals zu einer Frage des Geldes: Wer Freunde hat, die zahlen können, überlebt. Für den Großteil kommt das gar nicht in Frage.
Doch selbst dieser Weg steht immer weniger Menschen offen. Erstens werden die Landesaufnahmeprogramme nach und nach eingestellt. Und zweitens dürfte das politische Fiasko rund um die Verpflichtungserklärungen viele potenzielle Bürg*innen abgeschreckt haben. Fünf Jahre Lebensunterhalt – das müssen Familienangehörige, Nachbar*innen, Freunde erst mal aufbringen können, ohne ihre Existenz bedroht zu sehen.
An der verzweifelten Lage derer, die fliehen müssen, ändert das nichts. Und so ist leider nicht zu erwarten, dass wir zivile Seenotrettung in absehbarer Zeit nicht mehr brauchen werden.
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