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: Anwältin Başay-Yıldız erhält zweites „NSU 2.0“-Drohfax

Wieder enthält das Schreiben persönliche Daten, die womöglich aus einem Melderegister im Polizeirevier Frankfurt abgerufen wurden. Die Opposition fordert „umfassende“ Aufklärung

Das Neue

Nach einem neuen Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, wieder unterzeichnet mit „NSU 2.0“ und erneut gespickt mit persönlichen Daten, gibt es Kritik an den Ermittlungsbehörden und dem hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU). Der hessische SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel forderte am Montag „schnelle Aufklärung“, das neue Drohschreiben sei „unerträglich“. FDP und Linke gingen Beuth hart an. Dieser habe das Parlament abermals nicht informiert, so der Linken-Innenexperte Hermann Schaus zur taz. „Eine nicht zu überbietende Dreistigkeit.“ FDP-Innenexperte Stefan Müller kritisierte, Beuth sei „offensichtlich überfordert“.

In dem neuen Fax wird Başay-Yıldız als „Türkensau“ beschimpft und gedroht, ihrer zweijährigen Tochter „den Kopf abzureißen“. „Und der Rest eurer Dönercrew wird ebenfalls kompetent betreut werden.“ Nach taz-Informationen erreichte das Schreiben die Anwältin bereits am 20. Dezember – einen Tag nach einer Sondersitzung des hessischen Innenausschusses zu dem Fall.

Der Kontext

Schon im August 2018 hatte Başay-Yıldız ein Drohfax mit dem Absender „NSU 2.0“ erhalten. „Verpiss dich lieber, solange du hier noch lebend rauskommst, du Schwein“, hieß es damals. Als „Vergeltung“ werde man Başay-Yıldız’ Tochter „schlachten“. Der Name der Tochter wurde aufgeführt, ebenso die Privatadresse der Anwältin – beides war nicht öffentlich bekannt.

Ermittler stellten fest, dass kurz vor Versand des Faxes Başay-Yıldız’ Melderegister-Einträge auf einem Computer im 1. Polizeirevier Frankfurt/Main abgerufen worden waren, ohne dienstlichen Anlass. Ermittelt wird bis heute, ob das Schreiben direkt von Revierpolizisten verschickt wurde – oder ob die Meldedaten an einen Unbekannten weitergegeben wurden.

Der Vorgang wurde erst Mitte Dezember bekannt – und löste einen hessischen Polizeiskandal aus. Auch weil bei den Ermittlungen noch eine rechtsextreme WhatsApp-Gruppe von Polizisten aus dem Frankfurter Revier entdeckt wurde. Verdächtigt sind vier Beamte und eine Beamtin. Sie schweigen zu den Vorwürfen und sind suspendiert.

Auch das neue Schreiben enthält nun persönliche Angaben über Başay-Yıldız Familie – und bezieht sich auf die Suspendierungen. „Dir hirntoten Scheißdöner ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast!“, heißt es in dem Fax. „Allerdings kommt es jetzt richtig dicke für dich, du Türkensau!“ Genannt werden die Namen von Başay-Yıldız’ Tochter, der ihres Mannes, ihrer Mutter und ihres Vaters – alle sind auf die Privatadresse der Anwältin gemeldet. Diese könnten nur erneut aus der Polizei kommen, vermutet Başay-Yıldız. „Mein Vater ist 79, der nutzt keine sozialen Medien oder Ähnliches. Es kann keinen anderen Weg geben als den Polizeicomputer.“

Başay-Yıldız steht schon länger im Fokus von Rechtsextremen. Im NSU-Prozess vertrat sie die Familie eines Mordopfers. Später verteidigte sie den Islamisten Sami A., der beschuldigt wurde, Leibwächter von Osama bin Laden gewesen zu sein und im Sommer von NRW nach Tunesien abgeschoben wurde – zu Unrecht, wie Gerichte feststellten. Kurz darauf bekam Başay-Yıldız das erste „NSU 2.0“-Fax.

Die Reaktionen

Başay-Yıldız nimmt die Bedrohungen ernst. „Die Person will mir im neuen Schreiben sagen, dass sie alles über mich weiß“, sagte sie der taz. „Die Polizei meinte, ich solle die 110 wählen, wenn was ist. Wenn ich das noch kann, mache ich das natürlich.“

Das Landeskriminalamt Hessen und die Staatsanwaltschaft äußerten sich auf Anfrage nicht zu dem neuen Vorfall – wegen der laufenden Ermittlungen. Laut einem LKA-Sprecher werde Başay-Yıldız’ Gefährdungslage „kontinuierlich bewertet“, ihr stünden feste Ansprechpartner für Schutzmaßnahmen zur Verfügung. Welche dies seien, unterliege der Geheimhaltung. Başay-Yıldız sei auch die Option geschildert worden, sich mit einem Waffenschein und einer Waffe auszurüsten, bestätigte der Sprecher der taz. „Das war aber nur eine der Möglichkeiten.“

Die Konsequenz

Die Opposition in Hessen forderte am Montag eine „umfassende“ Erklärung von Innenminister Beuth über das neue Drohschreiben. Dies soll auf einer Sondersitzung des Innenausschusses am Donnerstag erfolgen, welche die Linke beantragte – ursprünglich, um den Fall eines früheren hessischen Polizisten zu beleuchten, der 2017 Informationen aus dem internen Polizei-Informationssystem an eine Rechtsextremistin weitergegeben haben soll.

Beuth selbst wollte sich zum Fall Başay-Yıldız am Montag nicht äußern. Auch sein Sprecher verwies auf das laufende Verfahren. Empörung gab es überregional. Atila Karabörklü, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland, sprach von „systematischen, rassistischen Strukturen im Sicherheitsapparat“. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) müsse nun „den Kampf gegen Rechtsextremismus im Sicherheitsapparat zur Chefsache machen“. Konrad Litschko, Berlin