piwik no script img

Geste für vor den Nazis geflüchtete Kinder

Die mit Kindertransporten ins Ausland dem Holocaust entronnenen Kinder erhalten 80 Jahre später eine symbolische Entschädigung von 2.500 Euro

Die Entscheidung wurde von den Betroffenensehr positiv aufgenommen

Von Klaus Hillenbrand

Leslie Baruch Brent war 13 Jahre alt, da wurde er in Berlin in einen Sonderzug gesetzt. Damals hieß er noch Lothar Baruch und lebte im jüdischen Waisenhaus von Pankow. Der Zug war voller Kinder. „Die Kinder in meinem Abteil waren bedrückt und die Stimmung war gedämpft“, erinnert er sich. Die Reise ging zunächst in die Niederlande und dann weiter nach Großbritannien.

Seine Eltern und seine Schwester hat Leslie Brent niemals wieder gesehen. Sie wurden am 26. Oktober 1942 als verfemte Juden von Berlin ins lettische Riga deportiert und kurz nach ihrer Ankunft erschossen. Brent kann sich nicht mehr an Einzelheiten des Abschieds erinnern, damals in einem Berliner Bahnhof am 1. Dezember 1938. Die Familie durfte nicht mitfahren.

Exakt 80 Jahre später erhält der heute hochbetagte Leslie Baruch Brent eine Entschädigung durch die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung und die Jewish Claims Conference als Vertretung der Opfer haben sich auf die Auszahlung einer einmaligen Summe von 2.500 Euro für alle Betroffenen geeinigt. Das Geld erhalten alle Überlebenden, die damals mit den sogenannten Kindertransporten Deutschland verlassen konnten – mehr als 10.000 Juden.

Diese Kindertransporte kamen kurz nach der Pogromnacht vom 9. und 10. November 1938 in Gang. Großbritannien sicherte unbegleiteten jüdischen Kindern damals eine „zeitweise“ Aufenthaltserlaubnis zu. Weitere Staaten wie Belgien und die Niederlande schlossen sich später an. In den USA dagegen scheiterte die bedingungslose Einreise von 20.000 Kindern an der Ablehnung des Senats.

In der Fremde angekommen, wurden die Kinder in der Regel bei Gastfamilien untergebracht – jüdischen wie christlichen. Das Schicksal glich einem Lotteriespiel: Neben fürsorglichen Gast­eltern gab es auch solche, die die Kinder ausnutzten. Viele der Kinder fühlten sich von ihren Eltern verlassen, manche verstanden nicht, warum sie ins Ausland geschickt worden waren und dachten, sie seien von Mutter und Vater verstoßen worden. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs kamen die Kindertransporte zum Erliegen. Viele Kinder, die nach Belgien oder in die Niederlande gekommen waren, wurden später Opfer des Holocaust.

Die meisten ihrer in Deutschland zurückgebliebenen Eltern erhielten keine Einreiseerlaubnis, um vor den Nazis zu flüchten, und wurden ab 1941 ermordet. Die nach Großbritannien gebrachten Kinder erhielten später die britische Staatsbürgerschaft. Entschädigungszahlungen aus der Bundesrepublik fielen in der Regel ausgesprochen dürftig aus. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz aus den 1950er Jahren hatten sie lediglich einen „Schaden an Ausbildung“ erlitten.

Die jetzt vereinbarte Entschädigung sei von Betroffenen „sehr positiv“ aufgenommen worden, sagt der deutsche Repräsentant der Claims Conference, Rüdiger Mahlo, der taz. „Die Anerkennung ist ihnen viel wert.“ Mahlo schätzt, dass von den damals Ausgereisten heute noch etwa zehn Prozent am Leben sind – das wären rund tausend Personen. Die Summe aller Entschädigungszahlen betrüge demnach bescheidene 2,5 Millionen Euro.

Nach Mahlos Angaben sind alle Personen anspruchsberechtigt, die zwischen dem 9. November 1938 und dem 1. September 1939 als Minderjährige ohne Begleitung ihrer Eltern das Deutsche Reich und die angegliederten oder besetzten Gebiete wie Österreich und die Tschechoslowakei verließen. Formal gilt die Regelung nur für Ausreisen nach Großbritannien, Belgien und Holland, doch die Claims Conference werde sich darum bemühen, „alle, die das gleiche Schicksal hatten, einzubeziehen“, sagt Mahlo.

Die Verhandlungen mit der Bundesrepublik zur einmaligen Entschädigung hätten drei bis vier Jahre gedauert, berichtet Mahlo. Das Bundesfinanzministerium betont, Deutschland stehe „auch weiterhin zu seiner historischen Verantwortung für die durch das NS-Unrechtsregime verfolgten Menschen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen