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No hay en Havanna

Die Wirtschaft in Kuba kriselt, die Einwohner stehen Schlange. Das liegt auch daran, das die wichtigsten Einnahmequellen versiegen. Im Haushalt klafft eine Riesenlücke. Zu wenig, um die Schulden zu bedienen

Aus Havanna Knut Henkel

Die Schlangen vor den Bäckereien in Havanna sind lang. Immer wieder ist der Satz „No hay“ – „Gibt es nicht“ – zu hören. Zwei kaputte Getreidemühlen und ein verspäteter Frachter mit Mehl sind offenbar dafür verantwortlich, dass nicht genug Brot zur Verfügung steht, gestand die verantwortliche Ministerin, Iris Quiñones Rojas, im kubanischen Fernsehen ein. Doch sie gab auch zu, dass es Versäumnisse gegeben habe – und dass es an Ressourcen fehle, um schnell Abhilfe zu schaffen.

Kubas Kassen sind leer. Das gab auch Wirtschaftsminister Alejandro Gil Fernández zu, als er am vergangenen Freitag vor dem Parlament in Havanna die Wachstumsquote von 1,2 Prozent für das Jahr 2018 bekanntgab. Deutlich unter dem geplanten Plus von 2 Prozent. Daher werde die Regierung im Jahr 2019 nicht alle Schulden bedienen können, sagte Gil Fernández. Bereits 2017 hatten die Gläubiger Havanna 8,5 Milliarden Dollar Schulden erlassen.

Das sind schlechte Nachrichten, aber alles andere als überraschend, sagt der kubanische Ökonom Pavel Vidal. „In Kuba herrscht seit rund fünf Jahren quasi ökonomische Stagnation: Das Wachstum liegt im Schnitt jährlich bei gerade 1,7 Prozent. Viel zu wenig, um die Lebensbedingungen spürbar zu verbessern und der jüngeren Generation Perspektiven aufzuzeigen“, analysiert der an der Universität Javeriana im kolumbianischen Cali lehrende Finanzexperte. „Dafür sind Wachstumsquoten um die sechs Prozent nötig.“

Die fehlende ökonomische Dynamik hat vielfältige Ursachen. Eine ist der seit etwa vier Jahren lahmende Exportsektor. Das liegt vor allem am Zucker. Wurden früher 7 bis 8 Millionen Tonnen Rohrzucker pro Jahr produziert, war es 2018 nur etwas mehr als 1 Million Tonnen. Auch bei Nickel, bei dem Export von Medikamenten, Zitrusfrüchten oder den berühmten kubanischen Zigarren konnten keine markanten Erfolge vermeldet werden.

Besonders schwerwiegend ist die Rückkehr „exportierter“ Experten. Die Regierung entschloss sich im November 2018 schweren Herzens dazu, in Brasilien stationiertes medizinisches Personal zurückzurufen. Insgesamt fast 20.000 kubanische Ärzt*innen, Therapeut*innen und Pflegekräfte waren dort seit 2013 im Einsatz, 7.635 kamen bis Mitte Dezember laut Präsident Miguel Díaz-Canel zurück auf die Insel. Dort wurden sie als „Helden des Vaterlandes“ empfangen. Grund für den Rückzug waren Drohungen und abfällige Bemerkungen des künftigen Präsidenten Jair Bolsonaro gegenüber den Kubanern. Bolsonaro hatte nicht nur ihre Qualifikation in Zweifel gezogen. Zudem forderte er, die Mediziner direkt zu bezahlen, statt das Geld über ein staatliches Kooperationsprogramm an Kuba zu überweisen.

Das Ende der Kooperation reißt ein Riesenloch in den Inselhaushalt. Rund 300 Millionen US-Dollar werden, so Ricardo Torres, Ökonom am Studienzentrum der kubanischen Ökonomie (CEEC), fortan pro Jahr fehlen. Seit Mitte der 1990er Jahre ist der „Export“ von Fachpersonal in 50 Länder weltweit die wichtigste Einkommensquelle der kubanischen Wirtschaft. 2017, so schreibt Torres, entfielen auf die Entsendung von Fachkräften rund 81 Prozent der „Export“-Einnahmen. Die kubanischen Mediziner bekamen nämlich nur 30 Prozent des von Brasilien abgeführten Gehalts ausbezahlt, der Rest floss in den kubanischen Etat. Bolsonaro hatte von „Sklaverei“ gesprochen und gesagt, er wolle nicht die „kubanische Diktatur“ finanzieren.

Wie riskant dieses Modell ist, zeigte zuletzt auch die ökonomische Talfahrt Venezuelas. Dort sind je nach Quelle zwischen 20.000 und 30.000 Kubaner im Einsatz, deren Leistungen verrechnet werden – vor allem mit Rohöllieferungen. Diese sind in den letzten Jahren laut offiziellen Angaben jedoch stark gesunken.

Das konnte zwar teilweise durch den Aufschwung im Tourismus kompensiert werden, aber nach den Boomjahren 2015 und 2016 kehrt auch dort wieder Ernüchterung ein. Um 24 Prozent ging die Zahl der US-Touristen 2018 zurück – nicht zuletzt auch wegen der Sanktionen von US-Präsident Donald Trump. Zwar stiegen die Besucherzahlen bis zum 20. Dezember laut offiziellen Angaben auf 4,75 Millionen, allerdings lassen die Besucher weniger Geld auf der Insel, sagt Pavel Vidal. „Der Kreuzfahrttourismus boomt, aber der bringt keine Gäste in Restaurants und Hotels.“

„In Kuba herrscht seit fünf Jahren quasi Stagnation“

Pavel Vidal, Ökonom

Folgerichtig hat die Regierung in Havanna Zahlungsprobleme. Die Investitionsquote zählt laut Vidal zu den niedrigsten in der ganzen Region, das Etatdefizit ist in den letzten Jahren merklich gestiegen. Auf 8,6 Prozent der Bruttoinlandsprodukts (BIP) belief es sich 2017, im laufenden Jahr könnten es 12 Prozent werden, sagt Vidal– Faktoren, die die Regierung von Präsident Díaz-Canel unter Druck setzen. Aber sie könnten auch dazu führen, die auf Eis liegende Reform­agenda von 2011 wieder aufzutauen.

In diese Richtung deuten zwei Entscheidungen der kubanischen Regierung. Am 5. Dezember präsentierten die Verantwortlichen die überarbeiteten Vorgaben für die im August 2017 gestoppte Vergabe von Lizenzen für Selbstständige. Dabei wurden einige der restriktiven Vorgaben wie die Obergrenze von 50 Plätzen in Restaurants und Bars oder die Regel „eine Lizenz pro Kopf“ ersatzlos gestrichen. Fortan ist es also möglich, auch zwei oder mehr private Betriebe zu betreiben. Das könnte für neue Dynamik sorgen, zumal die Behörden auch bei den Vorgaben zum Zahlungsverkehr einlenkten. Zwar ist fortan ein Bankkonto für die Selbstständigen, Cuenta Propista in Kuba genannt, obligatorisch, doch insgesamt sind die Vorgaben flexibler. Das ergibt Sinn angesichts eines als extrem ineffizient geltenden Banksystems. „Das sind positive Signale. Allerdings fehlt es auch weiterhin an Großmärkten, um die privaten Selbstständigen besser zu versorgen. Und: Nach wie vor ist die Zahl der Berufe begrenzt, in denen die selbstständige Tätigkeit legal ausgeübt werden kann“, weist Vidal auf bekannte Defizite hin.

Diese erschweren auch die Nutzung des seit dem 7. Dezember laufenden 3-G-Mobilfunknetzes. Theoretisch können die 11,4 Millionen Einwohner Kubas jetzt auch mobil online gehen. Bisher mussten sie dafür einen der rund 1.200 sogenannten Wi-Fi-Parks besuchen, wo eine Stunde Internet 1 Dollar kostet. Aber: Auch bei 3 G fehlen noch Bestimmungen für die Lizenzvergabe an Selbstständige. Außerdem kostet das Angebot zwischen 7 und 30 kubanischen Pesos (zwischen 6 und 26 Euro) – dabei liegt der Durchschnittsverdienst pro Monat nur bei umgerechnet etwa 27 Euro.

Immerhin: Experten wie Vidal erwarten für 2019 eine leichte Besserung. Ein Grund dafür ist der Privatsektor. Zahlreiche neue Lizenzen für eine selbstständige Tätigkeit sind beantragt. Außerdem stehen mehrere größere Auslandsinvestitionen in der Freihandelszone von Mariel und im Tourismus an. Die Regierung hat dennoch ihre Wachstumsprognose mit 1,5 Prozent niedrig angesetzt – eine Reaktion auf die falschen Prognosen der letzten Jahre.

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