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Die Häfen bleiben leer

Städte wie Flensburg und Bremen haben vor Monaten angeboten, Menschen, die von zivilenSeenotrettern im Mittelmeer gerettet wurden, aufzunehmen. Allein: Es kommt kaum jemand

Bloß ein symbolischer Akt? Im Sommer demonstrierten Tausende in Hamburg unter dem Motto „Seebrücke – Schafft sichere Häfen!“ Foto: Axel Heimken/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Eine Brücke ist ja eigentlich eine gute Sache. Aber was nützt die beste Brücke, wenn fast niemand sie betreten darf? Filiz Polat, grüne Bundestagsabgeordnete aus dem niedersächsischen Bramsche bei Osnabrück, Fraktionssprecherin für Migration und Integration, kennt die Antwort besser als die meisten ihrer Berliner Kollegen: wenig.

Seit Monaten schon lässt es ihr keine Ruhe, wie „schleppend“ das Bundesinnenministerium (BMI) auf die Angebote vieler deutscher Städte reagiert, Menschen, die von zivilen Seenotrettern im Mittelmeer gerettet wurden, bei sich aufzunehmen – und zwar über das vereinbarte Kontingent hinaus.

Von Flensburg bis Heidelberg, von Greifswald bis Bielefeld, von Bremen bis Osnabrück reicht die Solidarisierung der Bürgermeister und Ratsversammlungen mit der Organisation „Seebrücke – Schafft sichere Häfen!“. Die war im Sommer entstanden, nachdem Schiffe mit Geflüchteten an Bord in vielen Fällen daran gehindert worden waren, Häfen anzulaufen. In vielen deutschen Städten demonstrierten Tausende gegen diese Praxis.

Wie groß die Not ist, hat die „Seebrücke Bremen“ am 29. November auf Facebook gezeigt, am Beispiel des spanischen Fischerboots „Nuestra Madre Loreto“. Die Besatzung hatte zwölf Geflüchtete gerettet und dann mussten sie alle fast zwei Wochen lang auf dem Boot auf See ausharren, am Ende fast ohne Treibstoff, weil sich kein europäischer Hafen fand, an dem sie anlegen durften. Zwischendrin wurde sogar erwogen, die libysche Küste anzulaufen – keine gute Option.

„Auch Bremen hat sich zum sicheren Hafen erklärt. Es ist an der Zeit, aus einem symbolischen Akt eine tatsächliche Handlung zu machen!“, schrieben die Bremer „Seebrücke“-Aktivisten via Facebook an Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD). „An alle sicheren Häfen: Das ist euer Einsatz! Welcher unserer sicheren Häfen nimmt diese 12 Geretteten auf?“

Ob Sieling an Bundesaußenminister Heiko Maas wirklich das von der Bremer „Seebrücke“ geforderte „klare Signal“ gesandt hat, seine Stadt nehme die Geflüchteten von der „Nuestra Madre Loreto“ auf? Maas, demonstrativ an der Suche nach einem Hafen für die „Nuestra Madre Loreto“ beteiligt, hatte sich ja als Macher profiliert, als Vermittler. Aus dem Bremer Senat dazu: Funkstille.

Aber wie läuft das überhaupt ab? Treten „sichere Häfen“ wie Bremen aktiv an das BMI heran? Melden, wie viele Menschen sie aufnehmen können? Haken nach, wann die denn nun endlich kommen? Oder belassen sie es bei der bloßen Absichtsbekundung und warten ab? Man recherchiere, lässt Bremens Senatssprecher André Städler ausrichten. Aber die Recherche fördert offenbar nichts zutage. Bis zum Redaktionsschluss kommt, auch nach mehrtägigem, mehrmaligem Rückfrage: nichts.

Auch Osnabrück tut sich nicht gerade hervor. „Am 7. September haben wir unseren Ratsbeschluss zur Initiative ‚Seebrücke‘ an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt“, sagt Sven Jürgensen, Sprecher der Stadt. „Damit ist der Ratsauftrag erfüllt.“ Mehr ist nicht passiert.

Ein „inhaltsleeres Symbol“ hatte Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) den „Seebrücke“-Ratsbeschluss genannt, der seine Stadt Ende August zum „sicheren Hafen“ machte. Er scheint Recht zu behalten. Im Rat in Sache „Seebrücke“ gegen Grüne, SPD, Unabhängige Wählergemeinschaft/Piraten, FDP und Die Linke unterlegen, forciert er die Sache jedenfalls nicht.

Die Grüne Filiz Polat versteht nicht, warum diese ganze „Seebrücke“-Sache so lange dauert, so hakelig ist. Sie fragt beim BMI nach, schriftlich, mündlich, immer wieder. Die Antworten sind wattig, abwiegelnd, distanziert. 115 Asylsuchenden ist ein sicherer Hafen in Deutschland zugesagt worden, heißt es aus dem Haus von Bundesinnenmister Horst Seehofer (CSU). 23 Menschen aus Italien sind bisher eingetroffen, 24 aus Malta.

„Wir stehen bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, und das weiß auch jeder, aber zugewiesen hat uns das Land bisher noch keine“

Clemens Teschendorf, Sprecher der Stadt Flensburg

Zahlen wie diese bleiben für Polat „weit hinter dem zurück, was möglich wäre“. Das Eintreffen der ersten 47 Geflüchteten sei zwar „ein gutes Zeichen“, räumt sie ein, aber „angesichts der Tragödien im Mittelmeer wären eine schnellere Umverteilung und höhere Aufnahmekontingente dennoch ein wichtiges Signal“.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führe, antwortete ihr Günter Krings, CDU, Parlamentarischer Staatssekretär des BMI, „die notwendigen Verfahrensschritte durch, um die verbleibenden Asylsuchenden zeitnah nach Deutschland zu überstellen“. Der nächste Flug sei für Anfang Dezember „geplant“. Polat versteht das als Hinhalten: „Während die Menschen in Italien, Malta und anderswo warten, endlich irgendwo anzukommen nach ihrer langen Flucht, zieht die Bundesregierung die Weiterreise nun noch mit bürokratischen Verfahren unnötig in die Länge.“

Flensburg wartet ebenfalls. „Wir stehen bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, und das weiß auch jeder, aber zugewiesen hat uns das Land bisher noch keine“, sagt Clemens Teschendorf, Sprecher der Stadt. „Das funktioniert ja als Top-Down-Verfahren. Aber weder vom BMI noch sonst woher haben wir irgendwas gehört, wie es jetzt weitergeht. Da müsste man eigentlich wirklich mal nachfragen.“ Pause. „Zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen wäre für uns kein Problem. Wir müssen nur wissen, wie viele Personen kommen und wann, den Rest organisieren wir dann.“

Das BMI wird weiter planen. Polat wird weiter fragen. Vielleicht bald auch Städte wie Osnabrück und Bremen.

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