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Etappen-sieg im Gelben Trikot

Unter dem Druck der Gelbwesten setzt die französische Regierung die Erhöhung der Kraftstoffpreise für sechs Monate aus. Viele Bürger wollen die Proteste dennoch fortsetzen

Aus Paris Rudolf Balmer

Man müsste taub und blind sein, um diese Wut zu ignorieren, schickte Frankreichs Premierminister Édouard Philippe einer Fernsehansprache voraus. Er versicherte, er höre sehr wohl die zornige Botschaft des „Frankreichs der Arbeitenden, der alleinerziehenden Mütter und aller, die von den Früchten ihrer Arbeit nicht mehr leben können“. Er sei überzeugt, dass auch die protestierenden Gelbwesten das Land liebten – wie er. Er konnte auch die lautstarken Proteste gegen die Regierungspolitik nicht überhören, die in einer schweren Krise mündeten. „Keine Abgabe ist es wert, die Einheit des Landes aufs Spiel zu setzen“, beschwor der Regierungschef seine MitbürgerInnen.

Im Anschluss an eine Krisensitzung mit Staatspräsident Emmanuel Macron und einem Teil der Regierung gab der Premierminister am Dienstagmittag eine Reihe von versöhnlich klingenden Konzessionen bekannt. Primär soll die für den 1. Januar geplante Erhöhung der Ökosteuer auf Diesel und Benzin für sechs Monate suspendiert werden. Während dieser Frist sollen „begleitende Maßnahmen“ gefunden werden, um die durch die Energiewende entstehende Last sozialverträglich zu machen. Die Regierung hofft, den Konflikt mit den Gelbwesten zu beenden.

Die geplante Verteuerung der Kraftstoffe war der eigentliche Anlass für die Französinnen und Franzosen, auf die Barrikaden zu gehen. Seit drei Wochen errichteten sie überall im Land Sperren auf Straßen, Autobahnzufahrten, vor Einkaufszentren und Tankstellen. Am vergangenen Wochenende war es zu schweren Ausschreitungen gekommen. Nun bot der Regierungschef an, auch die Einführung einer strengeren (und damit kostspieligeren) technischen Fahrzeugprüfung um sechs Monate hinauszuschieben. Drittens sollen die Strom- und Gastarife in diesem Winter nicht weiter steigen, sondern auf dem gegenwärtigen Stand „eingefroren“ werden.

Über weitere Initiativen möchte die Staatsführung offen diskutieren. So erwägt Philippe die eventuelle Schaffung einer Transportzulage für Erwerbstätige, die für ihren Arbeitsweg auf ein Privatauto angewiesen sind. Darüber hinaus soll während des sechsmonatigen „Moratoriums“ eine breite Debatte organisiert werden. Dazu möchte der Premier die Sozialpartner und die lokalen Behörden einspannen. Er schickte dazu voraus, dass Frankreich die Steuerlast – eine der höchsten innerhalb der Europäischen Union – rascher senken müsse. Dies bedeute jedoch, dass die Ausgaben entsprechend vermindert werden müssten. Genau das aber wollen gerade die Bewohner der ländlichen Gebiete, die über einen Mangel an öffentlichen Diensten und Infrastruktur klagen, für sich keinesfalls.

„Diese Entscheidung hätte man gleich zu Beginn des Konflikts treffen müssen. Wer auf Zeit spielt, muss am Ende dafür viel mehr bezahlen“

Ségolène Royal, Ex-Präsidentschaftskandidatin

„Das ist zu wenig und kommt zu spät, die Franzosen wollen mehr Kaufkraft, nicht bloß ein Moratorium“, kommentierte der Abgeordnete Damien Abad, Vizepräsident der konservativen Partei Les Républicains, die Offerte der Regierung. Im selben Sinne reagierte Marine Le Pen vom rechten Rassemblement National: „Das entspricht nicht den hohen Erwartungen der Franzosen, die mit prekären Bedingungen leben müssen.“ Die ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidatin und Ex-Ministerin Ségolène Royal kritisierte die Regierungstaktik: „Diese Entscheidung hätte man gleich zu Beginn des Konflikts treffen müssen. Wer auf Zeit spielt, muss am Ende dafür viel mehr bezahlen.“

Auf den Barrikaden der Gelbwesten, wo man Philippes Rede gespannt verfolgt hat, wurde schnell die Rechnung gemacht: Was der Regierungschef zur Versöhnung anbietet, bedeutet letztlich bloß eine befristete Verschiebung der verhassten Abgabenerhöhung. Statt einer Realerhöhung der Kaufkraft verspricht ihnen der Premier nur, dass diese nicht sinken soll. Dafür, so meinen die meisten, haben sie nicht tage- und nächtelang protestierend draußen gestanden. Viele hatten zumindest eine kräftige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit 1.153 Euro netto pro Monat erwartet.

Benjamin Cauchy, der in Toulouse als Sprecher eines gemäßigten Teils der Gilets Jaunes gilt, ist empört: „Die Franzosen sind doch keine Spatzen, die man mit Brosamen abspeist.“ Er wünscht im Minimum die definitive Rücknahme der angekündigten Abgabenerhöhung auf Treibstoffe, darüber hinaus aber eine Totalrevision des Steuersystems sowie eine Verfassungsrevision mit mehr demokratischen Rechten für das Volk.

„Jetzt ist es zu spät, um zurückzurudern“, sagte ein Gilet Jaune namens Lionel dem Nachrichtensender BFM-TV. Er forderte eine Auflösung des Parlaments für Neuwahlen und „alle Macht den Bürgern“. Eric Drouet, einer der Wortführer der Gelbwesten im Südosten von Paris, ruft auf Twitter für Samstag wieder zu einer Kundgebung in der Hauptstadt auf: „Wir sind leider gezwungen, unsere Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Solange es nicht reelle Änderungen gibt, bleibt dies das einzige Mittel, um zu zeigen, dass praktisch alle Gelbwesten nicht einverstanden sind.“

Der Beschwichtigungsversuch der Regierung scheint also bereits zum Scheitern verurteilt zu sein. Für Präsident Emmanuel Macron bedeutet dies, dass er direkt mit einer Protestbewegung konfrontiert ist, die sich als Volkserhebung versteht. Bisher hat er geschwiegen und seinen Premierminister vorgeschickt. Diesen könnte Macron jetzt noch der wütenden Menge als Sündenbock opfern und ihn absetzen, wie dies in der Fünften Republik immer wieder mal Usus war.

Viel Handlungsspielraum hat aber der Präsident, der mit dem Rücken zur Wand steht, nicht mehr. Mit einer totalen Kapitulation vor dem Volkszorn wäre er für den Rest seiner Amtszeit politisch erledigt, meinen in Paris die meisten Beobachter und Politologen, von denen die wenigsten ihm noch einen Rat zu geben wüssten.

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