: Der Neustart gerät zum Fehlstart
EU-Außenbeauftragte fordert Freilassung von Kurdenpolitiker in der Türkei. Erdoğan schließt das aus
Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Der geplante Neubeginn der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU ist im ersten Anlauf gescheitert. Bei ihrem Besuch in Ankara kritisierte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Donnerstag die jüngsten Festnahmen von Menschenrechtsaktivisten in der Türkei. Zudem forderte sie die Freilassung des kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş.
Mogherini war mit EU-Erweiterungs-Kommissar Johannes Hahn nach Ankara gekommen, um den seit eineinhalb Jahren unterbrochenen Dialog wieder aufzunehmen. Die Festnahme von 13 bekannten Akademikern und Kulturschaffenden am Wochenende hatte den Besuch im Vorfeld überschattet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, an einem von den Medien „Gezi-Verschwörung“ genannten Plan gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan beteiligt gewesen zu sein.
Zudem hatte Erdoğan am Dienstag und Mittwoch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verurteilt, das die Freilassung von Demirtaş aus der Untersuchungshaft fordert. Erdoğan nannte Demirtaş einen „Terroristen“, dem das Blut von fünfzig Menschen an den Händen klebe. In dem Urteil sah er eine Unterstützung von Terrorismus. Demirtaş werde nicht freigelassen, stelle er klar.
Mogherini sagte dagegen während einer Pressekonferenz mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Donnerstag, sie hoffe, dass die Türkei das Urteil respektiere und „dass Demirtaş in Kürze entlassen wird“.
Noch verstörender als die Weigerung, das Urteil umzusetzen, sind die Festnahmen vom Wochenende. Zwar sind von den 13 Personen alle bis auf einen wieder auf freiem Fuß, doch das könnte sich schnell wieder ändern. Ihnen wird vorgeworfen, zu einem Kreis um den seit mehr als einem Jahr inhaftierten Geschäftsmann Osman Kavala zu gehören, der angeblich die Gezi-Proteste des Jahres 2013 initiiert und finanziert habe. Erdoğan nannte Kavala, gegen den noch keine Anklage vorliegt, am Mittwoch öffentlich einen „Terrorfinanzier“. Kavala ist einer der wichtigsten Kulturmäzene der Türkei und hat mit seinem Verein Anadolu Kültür viele Friedensinitiativen unterstützt.
Seit Tagen wird in staatsnahen Medien eine Kampagne gegen Kavala gefahren. Mit europäischer Unterstützung soll er konspirativ gegen die Regierung gearbeitet haben. Unter anderem seien daran deutsche Stiftungen, namentlich die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, beteiligt gewesen. Die Festnahmen hatten offenbar zum Ziel, eine geheime Organisation um Kavala zu kreieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen