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Medizin für Mittellose

Praxen ohne Grenzen sind Anlaufstellen für Menschen ohne Versicherung. Es kommen längst nicht nur Migranten. Landesförderung scheiterte bisher an schwierigen Verfahren

Von Esther Geißlinger

Wenn Uwe Denker seine Praxis in Bad Segeberg aufschließt, weiß der Allgemein- und Kinderarzt nie, was ihn erwartet. Er weiß nur: Die Menschen, die ihn aufsuchen, kommen ohne seine Hilfe nicht oder nur schwer an medizinische Versorgung. Denn seine PatientInnen haben aus verschiedensten Gründen keine Versicherung. 2010 gründete Denker die erste Praxis ohne Grenzen. Inzwischen gibt es sechs dieser Anlaufstellen in Schleswig-Holstein. In Hamburg ist eine regelrechte Poliklinik entstanden, die bei jeder Sprechstunde über 100 Menschen versorgt. Bei einem Treffen in Rendsburg zogen die Ehrenamtlichen Bilanz.

„Eigentlich wollten wir längst überflüssig sein“, sagt Denker, der seine reguläre Praxis aus Altersgründen längst geschlossen hat. Sein Angebot war eigentlich für Obdachlose oder AussteigerInnen gedacht. „Aber bei uns sitzt der Mittelstand“, sagt er. Oft sind es Selbstständige, die sich die Versicherungsbeiträge nicht mehr leisten können.

In der Politik werde das Problem nicht gesehen, klagen Denker und seine KollegInnen. Schließlich gilt seit einigen Jahren eine Versicherungspflicht. Aber in der Realität fallen zahlreiche Menschen durch das Netz. Teils, weil sie die Anforderungen nicht erfüllen: „Viele meiner Patienten sind depressiv und antriebsgestört, die schaffen das schlicht nicht“, berichtet Denker.

Schwerer wiegen Geldprobleme. Meistens häufen sich Versicherungsschulden an, die auch noch verzinst werden müssen. Bis zu fünf Prozent würden die Versicherungen aufschlagen, kritisiert Denker. Er habe in Gesprächen mit der Politik auf dieses Problem hingewiesen, etwa gegenüber dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP): „Der fand ein Prozent Zinsen absolut ausreichend.“

Bahr ist 2013 aus dem Amt geschieden, aber immer noch seien die Zinsen je nach Kasse praktisch unverändert, sagt Denker: „Statt fünf sind es jetzt 4,7 Prozent.“ Sein Kollege Peter Ostendorf, früher Chefarzt am Hamburger Marienkrankenhaus und heute Chef der Praxis ohne Grenzen in Hamburg-Horn, hat eigens eine Mitarbeiterin eingestellt, die Menschen „zurück ins System“ holt. Darunter sind auch Menschen aus afrikanischen Staaten, und OsteuropäerInnen, die in Deutschland arbeiten, aber nicht oder nicht ausreichend versichert sind.

Spenden und ehrenamtliches Engagement halten die Praxen am Leben. Das Diakonische Werk ist Träger mehrerer der Anlaufstellen in Schleswig-Holstein, teilweise stellen die Kommunen kostenlos Behandlungsräume zur Verfügung. Andere Arztpraxen behandeln gegen Spendenquittung.

Schwerer wiegen Geldprobleme. Meistens häufen sich Schulden bei der Versicherung an, die auch verzinst werden müssen

Nur halbherzig half bisher das Land. Zwar richtete das Sozial- und Gesundheitsministerium bereits 2014 einen Etat für die Praxen ein, die sogenannte „Richtlinie zur Förderung humanitärer Hilfen in medizinischen Notlagen“. Doch der mit jährlich 200.000 Euro gefüllte Topf erwies sich als unknackbarer Tresor. Bisher schaffte es nur eine Praxis, einmalig eine Förderung von 2.500 Euro zu erhalten. Alle anderen scheiterten an den Anträgen, deren Bedingungen für die Ehrenamtlich unerfüllbar waren. Auf Anfrage bestätigt das Sozialministerium das Problem. Aktuell werde die Richtlinie überarbeitet, damit die Beantragung der Fördermittel einfacher wird. Minister Heiner Garg (FDP) sagt: „ Die medizinische Versorgung von in Not Geratenen ohne Krankenversicherung darf nicht an komplizierten Förderrichtlinien scheitern.“

Selbst wenn Medikamente und Verbände gekauft werden können, bleibt es schwierig. Wer schwer erkrankt, erhält oft nur eine Notfallbehandlung. Wer länger im Krankenhaus bleibt, häuft weitere Schulden an. EU-BürgerInnen müssen für jede Behandlung ins Heimatland zurückfahren, auch wenn sie eigentlich in Deutschland leben.

Denker kann sich einiges vorstellen, um das „Menschenrecht auf medizinische Versorgung“ umzusetzen. Kleinere Schritte wären, die Mehrwertsteuer für Medikamente zu senken oder verbilligte Patientendarlehen zu vergeben, damit Versicherungsschulden bezahlt werden können. Der große Schnitt wäre die kostenlose Grundversicherung für alle, „zumindest aber für Kinder“, fordert Denker. Die sollten auf jeden Fall ärztliche Hilfe erhalten – egal welchen rechtlichen Status ihre Eltern haben.

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