: Die neuen Schrottimmobilien
Für die Finanzwelt gibt es in Sachen Klimaschutz nun keine Ausreden mehr. Ihre eigenen Experten arbeiten daran, wie sich billionenschwere Geldanlagen so umschichten lassen, dass der Planet nicht zugrunde geht
Von Ingo Arzt
Als am 12. Dezember 2015 der französische Außenminister Laurent Fabius auf der Klimakonferenz von Paris den Hammer fallen ließ, reagierten die Börsen nicht. Klar, es war ein Samstag, sie hatten zu. Aber auch am Montag darauf hatte das historische Abkommen keine Auswirkungen auf die „Märkte“, die mit ihren Billionenumsätzen ein Wirtschaftssystem füttern, das zum Klimakollaps führt.
Auch heute, fast drei Jahre später, scheint alles beim Alten zu sein. Die nächste Weltklimakonferenz in Polen startet kommende Woche, und ja, es ist etwas passiert. Obwohl die USA aus dem Weltklimavertrag ausgestiegen sind, obwohl Deutschland seine Klimaziele 2020 verfehlt und obwohl die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre 2017 wieder auf einen neuen Rekordwert gestiegen ist. Die Finanzmärkte lernen gerade etwas: Sie können allmählich messen, welche Bank, welcher Versicherer, welcher Fonds das Klima zum Kollabieren bringt. Und Investoren können sich dann aus den Geschäften zurückziehen.
Die Naturschutzorganisation WWF hat in einer Studie, die am heutigen Dienstag erscheint, aufgezeigt, was dabei möglich ist. „Investoren können sich nicht mehr hinstellen und sagen, Klimaschutz ist zu komplex. Die einsetzbaren Tools werden immer besser, mit denen sich jeder ein Bild darüber machen kann, ob er mit seinen Anlageentscheidungen dazu beiträgt, die Welt zu zerstören“, sagt Matthias Kopp, Leiter des Bereichs nachhaltige Finanzsysteme beim WWF.
Der WWF hat die 88 größten Anlagenverwalter in Europa gefragt, ob sie ihre Investments auf Klimafolgen durchleuchten lassen – oft handelt es sich dabei um Pensionsfonds. 33 haben mitgemacht, sie verwalten 2,1 Billionen Dollar. Sie sitzen in Frankreich, den Niederlanden, Schweden oder Norwegen, aus Deutschland war niemand dabei. Weder die Allianz noch der Daimler Pension Fund, die Munich Re oder die Nürnberger wollten sich äußern.
Den Algorithmus, den der WWF verwendet, hat die NGO „2degrees-investing“ in Paris und Berlin entwickelt. Er schafft es, mit öffentlich zugänglichen Datenbanken den Dschungel an Finanzprodukten automatisch zu durchleuchten. Am Ende zeigt er, in welches Ölbohrloch und in welcher Kohlemine ein Versicherer investiert hat – die wissen das oft selbst nicht. Die Ergebnisse sind sehr detailliert: Da lässt sich etwa herauslesen, dass Crédit Agricole Assurances aus Frankreich 0,11 Prozent seiner Aktien in Kohleminen stecken hat, weltweit entfallen 0,67 Prozent der Börsenwerte auf dergleichen. Derselbe Versicherer legt 0,47 Prozent in erneuerbare Energien an, globaler Schnitt: 0,35 Prozent. Die Franzosen schneiden also gut ab – mehr erneuerbare Energien und weniger Kohle als der Rest der Welt.
Insgesamt sind die großen europäischen Versicherer auf Klimakollapskurs: Würden alle so wirtschaften wie die Firmen, in die sie investieren, würde sich die Welt um mehr als 2 Grad aufheizen. Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch, was heute an Transparenz möglich ist. Versicherer und Banken müssten deshalb offenlegen, was sie zum Klimawandel beitragen, fordert WWF-Experte Kopp: „Das sind sie sich selbst aus Risikosicht und allen Anteilseignern schuldig.“
Im Prinzip ist Kopp mit seiner Forderung nicht allein. Die EU arbeitet an einem ganzen Bündel an Richtlinien, um die Finanzmärkte zu mehr Klimatransparenz zu zwingen. Und Banken, Versicherer und Börsenhändler selbst scheinen sogar mit im Boot zu sein. Da gibt es etwa die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD), also eine „Arbeitsgruppe zur Offenlegung von klimarelevanten Finanzdaten“, eingesetzt vom Finanzstabilitätsrat der G20-Staaten. Sie erarbeitet Regeln, wie man herausfinden kann, was alles an Vermögen futsch ist, wenn der Klimawandel zuschlägt. Es geht um Risiken – und Chancen, mit dem Kampf gegen den Klimawandel Geld zu verdienen. In der TCFD sitzen Firmen wie Blackrock, Unilever oder Daimler, ihre Arbeit wird von 287 Finanzriesen unterstützt – es sind alle dabei, die in London, Frankfurt oder der Wall Street Rang und Namen haben.
Matthias Kopp, WWF
Geleitet wird das alles vom Milliardär Michael Bloomberg, dem Ex-Bürgermeister New Yorks. Sein Finanznachrichtendienst New Energy Finance rechnet den Investoren dieser Welt seit Jahren vor, dass erneuerbare Energien der neue heiße Scheiß zum Profitemachen sind. Sein Finanzdienstleister ist Vorreiter darin, aus unserer nicht zukunftsfähigen Weltwirtschaft Aktienindizes mit Firmen zu basteln, die am ehesten das Zeug dazu haben, sich zu ändern. Doch die Sache hat ihre Tücken. Die großen der Finanzwelt gehen eben auch proaktiv gegen zu strikte staatliche Regulierung in Sachen Klimaschutz vor. Die Botschaft ist schlicht: Schaut her, wir machen das selbst, das Weltretten! Nur nicht zu viel Staat, bitte!
Und das hat seinen Preis. Der Algorithmus des WWF etwa funktioniert bisher nur im Energiesektor. In anderen Sektoren – Landwirtschaft, Mobilität, IT-Wirtschaft – sieht die Lage anders aus. Zwar müssen große Unternehmen in der EU alle sogenannte CSR-Berichte verfassen, in denen drinsteht, was sie in Sachen Ökologie und soziale Verantwortung so tun. Die haben aber fast keine Auswirkung auf Investoren, die täglich an den Monitoren sitzen und Tausende Entscheidungen fällen müssen, wohin mit all dem Geld. Auf die vielen methodischen Fragen hat auch die TCFD kaum Antworten gefunden: Wie etwa soll ein Fondsverwalter, der nächstes Jahr Gewinn erzielen muss, das Risiko einpreisen, dass es in zwanzig Jahren wegen des Klimawandels mehr Sturmfluten im Golf von Mexiko und mehr Konflikte in Subsahara-Afrika gibt?
Kopp hält die Entwicklung der letzten drei Jahre, seit dem Hammer von Paris, trotzdem für einen guten Anfang. „Auch in Deutschland diskutieren eine Menge Leute über Klimaschutz und Finanzmärkte, natürlich auch im Finanzministerium“, sagt er. Es brauche aber eine sichtbare, öffentliche Debatte. Zum Beispiel im Rahmen des Klimaschutzgesetzes, das 2019 kommen soll. Da gehöre die Rolle der Finanzmärkte mit rein, sagt Kopp.
Die Logik dahinter ist simpel: Ein kollabierendes Klima tut auch dem DAX nicht gut.
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