: Streitentrotz Konsens
Im Duell zur Bildungspolitik fordert Thomas Röwekamp (CDU) das neunjährige Abitur – worüber weder Senatorin Claudia Bogedan (SPD) noch Publikum debattieren wollen
Von Jens Fischer
Streit ist gut. Klingt nach wahrhaftigem Engagement. Klärt Fronten. Sorgt für Aufmerksamkeit im Wahlkampf. Also fordert der CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Röwekamp auf dem Podium der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zur Bildungspolitik mal frei heraus, Bremer Gymnasiasten sollen nicht schneller, sondern gründlicher lernen. Daher müsse auch für sie gelten, was Praxis an den Oberschulen sei – ein Abitur nach 13 Schuljahren (G9).
„Total albern“ nennt Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) den Vorschlag. Schließlich habe weder sie noch die SPD, sondern Röwekamps CDU das gymnasiale Abitur nach 12 Jahren (G8) initiiert. Wenn Christdemokraten das ändern wollten, hätten sie es bei den Gesprächen zum gerade erst um zehn Jahre verlängerten Konsens zur Bestandssicherung des Bremer Schulsystems einbringen sollen. „Haben Sie aber nicht“, erinnert die Senatorin den Oppositionsführer. „Dabei wären wir von der SPD die ersten gewesen, die den Vorschlag mitgetragen hätten.“
Ja, bestätigt Röwekamp, er stehe zum Schulkonsens. Und ja, G9 sei dabei nicht festgeschrieben worden – also frei zum Streiten. Was er tun wolle. Obwohl es mit Bogedan da inhaltlich keinen Dissens gibt. Die Forderung nach G9 bezeichnet Gymnasiallehrer Peer Sieveking hingegen als „Luxuswunsch“. Man sei derzeit froh, wenn der Unterricht annähernd stundenplangemäß laufe.
Allein räumlich seien nicht nur die Gymnasien schon jetzt überfordert, betont Pierre Hansen vom Zentralelternbeirat (ZEB). Andere Themen seien wichtiger. „Es darf nicht sein, dass Bremer Abiturienten klar schlechter sind als die aus anderen Bundesländern“, hatte vorab KAS-Chef Ralf Altenhof behauptet. Bogedan, deren Festhalten am dezent arroganten Behörden- und Wissenschaftsdeutsch nicht so gut ankommt, kontert: „Unser Abitur ist nicht weniger wert als andernorts.“ Zuhörer lachen sie aus.
So wird es dann doch noch kontrovers: „Bogen überspannt? – Bildungspolitik in Bremen“ hatte die KAS die Veranstaltung im Atlantic Grand Hotel betitelt. Ein Aufregerthema, das beweist der Zulauf. Über 250 Eltern, Lehrer und Schüler füllen rumorend den Goldenen Saal. Gibt es doch aktuell kaum Vergleichsteste und Statistiken zur Schulbildung, in denen Bremen nicht auf den letzten Plätzen auftaucht. Bogedans Politik ist im Haushaltsnotlageland eher die kleiner Schritte statt schneller Erfolge. Damit sind laut einer Infratest-Dimap-Umfrage 79 Prozent der Bremer weniger bis gar nicht zufrieden.
„Stimmt nicht“, sagt Hansen. Der ZEB habe eine eigene Umfrage mit 1.300 Rückläufern ausgewertet und festgestellt: Das System aus Oberschulen und Gymnasien sowie die Idee der Inklusion stoßen auf Zustimmung, nicht aber der Sanierungsstau und die Ausstattung der Einrichtungen. „Überall fehlen Sachmittel, Lehrer, Sonderpädagogen, Gebäude“, so Hansen. Was natürlich Folgen für die Lehr- und Lernqualität habe, wie auch der IQB-Bildungstrend 2017 ergab.
Claudia Bogedan (SPD), Senatorin für Schule, Bildung und Kinder
„Wenn ein Lehrer Erstklässler bittet, schlagt das Buch auf Seite 4 auf, erreicht er vielleicht drei Schüler“, berichtet Hansen von seinen Erfahrungen als Elternsprecher der Grundschule am Pastorenweg. Die meisten benötigten Einzel-, statt Frontalunterricht, weil Grundkompetenzen in der Sprach- und Verhaltensentwicklung fehlten. Immer mehr Schüler – mit und ohne Migrationshintergrund – würden aus bildungsfernen Familien kommen.
Für Röwekamp, der mit verbalen Zuspitzungen wie ein Beifallshascher wirkt, eine Vorlage fürs Ausdifferenzieren des Zwei-Säulen-Systems. Gymnasien sollten seiner Ansicht nach Mehrbegabte zur Studienreife führen, Oberschulen zur Berufsorientierung in Richtung eines Ausbildungsplatzes dienen. Inklusion sei wichtig und richtig. Nur habe man den Rechtsanspruch darauf durchgesetzt, bevor genug Gelder für die Umsetzung zur Verfügung gestanden hätten. Deshalb habe Bogedan ja Kinder mit Förderbedarf von einem Gymnasium nehmen müssen, so Röwekamps Deutung der bundesweit beachteten Vorgänge am Gymnasium Horn.
Derzeit fehle es nicht an Geld und Stellausschreibungen, widerspricht die Senatorin. Die benötigten Sonderpädagogen würden sich einfach nicht in ausreichender Zahl bewerben. Bremens schlechter Ruf und die andernorts bessere Bezahlung minderten die Attraktivität des Standorts.
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