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Eine schwere Geburt

Die größte Forschungs- und Ausbildungseinrichtung Norddeutschlands blickt zurück auf ihre 100-jährige Geschichte. Die Gründerjahre der Universität Hamburg waren überschattet von den autoritären Strukturen des Kaiserreichs, das Fortbestehen von der NS-Zeit und die Nachkriegsjahre vom legendären „Muff von 1.000 Jahren“

Wurde vom Reeder und Kaufmann Edmund Siemers gestiftet und 1911 eingeweiht: das heutige Hauptgebäude der Uni Hamburg Foto: Bodo Marks/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Die Uni Hamburg wird 100 Jahre alt. Zwar erst 2019, aber das ist ja bald – und deshalb hat die Feier auch schon begonnen. Zum Beispiel mit dem Biologen Marco Neiber vom Centrum für Naturkunde (Cenak): Für die Plakatkampagne zum Jubiläum steht er mit Hoodie, Dreitagebart und abgegriffener Kappe neben Kiez-Legende Corny Littmann vor dem Schmidt-Theater, dahinter, halb kriechend, jemand im Schneckenkostüm. Der Text dazu: „Wo man auf der Reeperbahn nicht nur schräge Vögel findet.“

Das hat mit dem Bierschnegel zu tun, der Nacktschnecke, die Neiber wiederentdeckt hat: Seit 1935 galt sie in Hamburg als ausgestorben. Ein anderes Gesicht der Kampagne ist Sarah Wiesner, Fachbereich Geowissenschaften im Meteorologischen Institut: Für ihr Foto­shooting ging sie aufs Dach des Geomatikums, in Friesennerz, mit windverwehtem Haar, ein futuristisches Messinstrument in der Hand. Der Text dazu: „Wo man bei Schietwetter zum Klimawandel forscht.“

Die größte Forschungs- und Ausbildungseinrichtung Norddeutschlands, das zeigen entspannte Motive wie diese, sieht sich eng mit der Stadt verwoben, deren Bürgerschaft am 28. März 1919 ihre Gründung beschloss. 1.729 Studenten klein war die Universität damals. Und hätte damals jemand prophezeit, dass es im Wintersemester 2017/2018 eindrucksvolle 43.326 Studierende sein würden, mit acht Fakultäten statt vier, mit 170 Studiengängen und Arbeit für fast 13.000 Beschäftigte, er wäre wohl ziemlich belächelt worden. Aber es ist so gekommen. Eine Erfolgsgeschichte für den Jubilar, dessen Alter nur solange nach ehrwürdigem Greis klingt, bis man sich klar macht, wann die Universität Heidelberg gegründet wurde: 533 Jahre früher.

Aber die Geschichte der Uni Hamburg, geboren als „Hamburgische Universität“, ist nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Es gab Widrigkeiten. Von Beginn an. Und der war, für viele, das Akademische Gymnasium von 1613. Bis zuletzt waren viele hanseatische Kaufleute skeptisch – und engstirnig: Lieber alles Geld in die Wirtschaft! Mancher Proletarier fürchtete, jede neue Hochschule betoniere zwangsläufig das Bildungsprivileg der Eliten. Mancher Bildungsbürger fürchtete um seinen Sozialstatus.

Der Durchbruch kam erst mit Werner von Melle, seit 1900 Mitglied des Senats, mehrfach Bürgermeister der Stadt, 1907 Hauptbetreiber der Gründung der „Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung“. Von Melle war maßgeblich an der Entscheidung der Bürgerschaft beteiligt, den Bauplatz für die Errichtung eines Vorlesungsgebäudes zu bewilligen, das Reeder und Kaufmann Edmund Siemers sich zu stiften entschlossen hatte – 1911 eingeweiht, ist es heute das Hauptgebäude der Universität.

Als von Melle 1919 am Ziel war, war er es an der Seite der SPD. Keine 14 Tage nach der ersten demokratischen Wahl der Hamburger Bürgerschaft brachte sie ein „Notgesetz“ auf den Weg: Gedacht als Reform­universität, als Zeichen der Moderne, bekam Hamburg die erste parlamentarisch geschaffene Universität Deutschlands. Aber die Anhänger des Kaiserreichs, die Gestrigen, waren stark. Die Professoren verpflichten, an der zeitgleich gegründeten Volkshochschule mitzuarbeiten, wie die SPD es geplant hatte? Bloß nicht! Eine Vertretung von Studierenden im Senat? Niemals!

Einerseits gab es die neue Liberalität: Dozenten wie der Philosoph Ernst Cassirer und der Kunsthistoriker Erwin Panofsky wurden berufen. Der Anteil jüdischer Dozenten war hoch, studierender Frauen auch. Andererseits gab es offenen Antisemitismus und Nationalismus – richtig durchsetzen konnte sich der Geist der neuen Zeit nicht. Und schon war die nächste neue Zeit in Sicht: Bald ging nicht mehr um Demokratie statt Kaiserzeit, sondern um Diktatur statt Demokratie. Auch unter den Studierenden: 1931 war der NS-Studentenbund Sieger der Asta-Wahlen.

Als „Versagen“ bezeichnet die Universität heute ihr Verhalten in der NS-Zeit. In einer Festveranstaltung im großen Hörsaal des Hauptgebäudes schloss sie sich am 1. Mai 1933 der „großen deutschen nationalen Erhebung“ an. Prorektor Ludolph Brauer verkündete: „Wir bekennen uns zu unserem kraftvollen Reichskanzler Adolf Hitler.“ Und: „Wir haben des Mannes, der uns von der deutschen Zwietracht erlösen sollte, sehnsüchtig geharrt. Nun ist er erstanden. Freudig wollen wir ihm dienen.“

Dutzende jüdischer und politisch unerwünschter Wissenschaftler wurden entlassen oder zwangsweise in den Ruhestand versetzt; Emigration, Deportationen, Selbstmorde waren die Folge. Jüdische Studierende wurden drangsaliert, es entstanden Lehrgebiete wie Kampfgaskunde und Militärstrafrecht. 1945 war es wie 1919. Waren damals die Kaisertreuen noch stark gegen die neuen Demokraten, waren es diesmal die Nazis.

Die mangelnde Aufarbeitung der NS-Zeit sorgte dann auch für die nächste Zeitenwende an der Uni Hamburg: Am 9. November 1967 schrieben die Jura-Studenten Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer Geschichte mit einer Guerilla-Aktion im Hamburger Audimax, bei einer Feierstunde zum Rektoratswechsel. Alter und neuer Rektor schritten an der Spitze einer Prozession von Lehrenden eine Treppe hinab, im Talar. Albers und Behlmer entrollten vor ihnen ein Banner aus schwarzem Stoff, übriggeblieben von der Beerdigung des wenige Monate zuvor in Berlin von der Polizei erschossenen Studenten Benno Ohnesorg. Darauf, in weißen Klebebuchstaben: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. Einer der legendärsten Augenblicke der 68er-Studentenbewegung.

Als Bertold Spuler, Professor für Islamkunde, das Banner sah, rief er: „Sie gehören alle ins Konzentrationslager!“ Spuler war in der Nazi-Zeit SA-Mann und NSDAP-Zellenleiter. Sein Ruf brachte ihm eine Suspendierung ein und zeigte zugleich mehr als deutlich, wie Recht Albers und Behlmer hatten. Ihr Mut trug Früchte: 1969 trat in Hamburg das erste Hochschulreformgesetz Deutschlands in Kraft. Mitwirkungsrechte hatten fortan alle, auch die Studierenden.

Die wechselvolle Geschichte ist Teil des Uni-Jubiläums: der neuen Dauerausstellung, die derzeit für das Hauptgebäude der Universität in Vorbereitung ist – im Herbst 2019 wird sie eröffnen –, der viersemestrigen Ringvorlesung „(Fast) 100 Jahre Universität Hamburg“, die schon seit dem Sommersemester 2017 läuft und besonders natürlich der neuen vierbändigen, fast 100 Autoren starken Universitätsgeschichte.

Partizipation ist eine der Säulen des Jubiläums. „100 Blickwinkel“ zum Beispiel: Da kann jeder seinen „schönsten, bewegendsten oder humorvollsten Moment“ einreichen, und es winkt ein Gutschein für den Campus-Shop „Unikontor“. Der hat übrigens zum Jubiläum eine eigene Kollektion aufgelegt, in Ergänzung zu so hanseatisch-launigen Klassikern wie „Dintenschriever“ und „Bliestiftpeller“.

Unter der Frage „Welche Fracht soll an Bord?“ wurden zwei Fonds eingerichtet, für Projektideen von Universitätseinrichtungen (400.000 Euro, 47 Bewilligungen) und Studierenden (75.000 Euro, 19 Bewilligungen). Auf dem Campus entsteht so Street-Art. Der Fachbereich Biologie dreht 100 Kurzfilme. Die Sozialökonomie setzt an 100 Tagen durch 100 Autoren je ein kleines „Schlaglicht“.

Es gibt zum hundertsten Geburtstag außerdem eine szenische Lesung zur Gründungsgeschichte der Uni, in Kooperation mit dem Hamburger Axensprung-Theater, das spezialisiert ist auf „Reisen in die Vergangenheit“. Die „University Players“ produzieren ein Musical und es wird Ende April „Wissen vom Fass“ geben mit Kurzvorlesungen in 50 Kneipen der Stadt.„Seien Sie gespannt!“, sagt Dieter Lenzen, seit 2010 Präsident der Uni Hamburg mit Blick auf die Feier, deren offizieller Start ein bisschen verfrüht ist – mit dem Universitätsball „One Moment in Time“ am heutigen 3. November.

Wo seine Universität in 100 Jahren steht? „Ersetzen Roboter die Dozenten?“, fragt Lenzen. „Gibt es in naher Zukunft überhaupt noch Vorlesungssäle, in denen Studierende zusammenkommen?“ Schwer zu sagen.

Aber jetzt wird erst mal gefeiert. Auf allen Kanälen. Auch in den sozialen Netzwerken. „Wer eine 100 sieht: Fotografieren und taggen!“ appelliert da die Uni beispielsweise auf Instagram an Mitmachwillige. Auf Twitter ist sogar etwas von Katharina Fegebank (Grüne) zu finden, Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin und Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung: „Langsam geht’s los ins Jubiläumsjahr“, schreibt sie da und: „Dann wird die Stadt zum Campus!“

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