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„Man darf nicht zu euphorisch sein“

Kriminalhauptkommissar Tilman Bruns ermittelt in einem Cold Case: Er will den gewaltsamen Tod einer 38-Jährigen aufklären. Weil der Fall schon Jahre zurückliegt, sind die Ermittlungen kompliziert. Dennoch gibt er die Hoffnung nicht auf, den Fall zu klären

April 2018, Lüneburg: Nach fast 30 Jahren durchsuchen Polizisten das Grundstück des mutmaßlichen Serientäters, der für die Göhrde-Morde verantwortlich gewesen sein soll Foto: Philipp Schulze/dpa

Interview Andrea Maestro

taz: Herr Bruns, in welchem Todesfall ermitteln Sie gerade?

Tilman Bruns: Wir ermitteln in einem Todesfall von 1999. Da ist eine damals 38-jährige Frau im Naturschutzgebiet in Ilsede bei Bispingen tot aufgefunden worden. Der Täter konnte noch nicht ermittelt werden.

Wie ist die Frau gestorben?

Sie hat stumpfe Gewalt gegen den Kopf erlebt, vermutlich mit einem Feldstein. Der liegt uns auch noch vor.

Sie haben noch keine Hinweise darauf, wer es gewesen ist?

Es wurden Ermittlungen geführt und es gab auch eine Reihe von Tatverdächtigen, aber es konnte bei keinem die Täterschaft nachgewiesen werden.

Wie ist der Fall nach so vielen Jahren wieder auf Ihrem Schreibtisch gelandet?

Wenn Kapitaldelikte noch ungeklärt sind, erfolgt eine regelmäßige Überprüfung in den Dienststellen. Die Zielrichtung ist, diese Fälle unter verbesserten forensischen Methoden nachträglich noch aufklären zu können.

Das heißt, Sie testen vor allem Tatwaffen und andere Gegenstände auf DNA-Spuren?

Ja. Heute besteht die Möglichkeit, Asservate noch einmal nachzuuntersuchen. Aber es ist zum Beispiel auch möglich, Kommunikation durch verbesserte IT-Untersuchungsmethoden zu prüfen.

Warum haben Sie die Hoffnung, dass Sie den Täter schnappen, obwohl Ihren Kollegen das damals nicht gelungen ist?

Grundsätzlich versuche ich, mit einer reellen Hoffnung an die Ermittlungen zu gehen, man darf aber auch nicht zu euphorisch sein. Eine objektive Betrachtung des Sachstandes ist sehr wichtig. Wir überprüfen die Arbeit der Kollegen, die damals ermittelt haben und hinterfragen ihre Ermittlungsschritte.

Was passiert denn, wenn Sie auf Fehler von vorherigen Ermittlern stoßen?

Wenn es Defizite in alten Ermittlungsverfahren gibt, müssen wir erst einmal prüfen, ob wir das nachträglich ermitteln können. Das ist natürlich schwierig, wenn es sich um Zeugenvernehmungen handelt, die aus heutiger Sicht vielleicht noch Nachfragen bedürfen und die Zeugen vielleicht schon verstorben sind. Das ist eine Schwierigkeit bei Cold Cases.

Saßen Sie schon einmal über einer Akte und haben sich gedacht, was haben die da bloß gemacht?

Sicher fragt man sich aus heutiger Sicht manchmal, warum einige Sachen nicht gemacht wurden, bei der Spurensicherung zum Beispiel. Aber man muss immer die jeweilige Zeit sehen. Die Ermittlungsmethoden haben sich geändert, genau wie die justiziellen Ansprüche an Strafverfahren. Ein Beispiel: In den 50er- und 60er-Jahren hätten die Akten zu einem Mordfall vielleicht drei Bände umfasst, heute sind es ganze Regale, weil viel mehr Informationen festgehalten werden. Allein die Tatortaufnahme nimmt mehrere Tage und Wochen in Anspruch.

Würden Sie Ermittlungsfehler melden?

Es geht nicht darum, Ermittlungsfehler festzustellen, sondern darum, den Fall mit den neuen Standards doch noch zu klären.

Trotzdem ist es für die Kollegen, deren Fälle neu aufgerollt werden, sicher ein unangenehmes Gefühl, wenn ihre Arbeit überprüft wird.

Absolut. Die meisten Kollegen, die weit zurückliegende Fälle damals bearbeitet haben, sind nicht mehr da oder heute in anderen Funktionen, aber natürlich kann es ein komisches Gefühl sein. Es ist trotzdem wichtig, dass die Ermittler, die mit der Nachprüfung beauftragt werden, an den damaligen Ermittlungen nicht beteiligt waren und eine möglichst objektive Sichtweise haben.

Wie gehen Sie damit um, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass Sie einen Cold Case nicht mehr aufklären können und Sie mit Ihrer Arbeit scheitern?

Ich habe immer das Ziel, ein Verfahren aufzuklären, aber ich versuche dennoch, recht neutral heranzugehen. Wir sichten die noch vorhandene Aktenlage und entscheiden dann in der Gruppe, welche Maßnahmen noch zu treffen sind. Sollten sich daraus Chancen ergeben, um den Fall zu lösen, ist das natürlich ein positives Gefühl. Aber ich würde es nicht als Scheitern bezeichnen, wenn es nicht klappt.

Was machen Sie, nachdem Sie die Akten gelesen haben?

Wir schauen uns den Tatort an, sofern er bekannt ist, um stattgefundene Handlungen und dort herrschende Umstände nachvollziehen zu können. Wir überlegen dann, welche Folgemaßnahmen zielführend sind. Die Zeugennachvernehmung gehört meist nicht dazu.

Warum ist es schwierig, bei Cold Cases mit Zeugen zu sprechen?

Die Aussagen der Zeugen, der Subjektivbefund direkt nach der Tat, stehen in den Akten. Es kann sinnhaftig sein, die Zeugen erneut zu vernehmen, wenn man die Vermutung hat, dass sie etwas verschwiegen haben. Auch wenn sich Beziehungen zu potenziellen Tatverdächtigen verändert haben, kann es neue Ansatzpunkte geben.

Wenn sich also jemand von einem Tatverdächtigen trennt und sein Alibi für denjenigen zurückzieht?

Zum Beispiel. Oder jemand hat sich vielleicht nicht geäußert und möchte das jetzt tun.

Stimmt es, dass die Polizei in Cold Cases auch verdeckte Ermittler einsetzt, um an Geständnisse zu kommen?

Die grundsätzliche rechtliche Möglichkeit besteht.

Wenn Sie Jahre nach der unaufgeklärten Tat auf Angehörige treffen, wie reagieren die auf Sie als Ermittler?

Tilman Bruns, 38, arbeitet als Kriminalhauptkommissar der Polizeiinspektion Heidekreis in Soltau. Er ermittelt derzeit in einem Cold Case, dem jüngsten ungeklärten Tötungsdelikt aus der Region.

Das ist verschieden. Wir müssen damit rechnen, dass eventuell Enttäuschung und Frust vorherrschen, wenn bei einem Kapitaldelikt der Täter noch nicht gefasst ist. Andere Angehörige sind uns dankbar, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden, auch wenn unsere Arbeit den Menschen, der ihnen nahestand, nicht wieder lebendig machen kann.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie mit dieser Trauer konfrontiert sind?

Der Umgang mit Angehörigen ist immer emotional. Wir sind in unserem Fachbereich mit menschlichen Schicksalen und Trauerfällen dauerhaft konfrontiert. Wir versuchen, den Angehörigen eine Stütze zu sein, und gehen respektvoll und offen mit ihnen um. Es ist wichtig, transparent zu machen, wie groß die Chancen sind, dass der Fall aufgeklärt werden könnte, sodass ihre Hoffnung in einem reellen Bereich bleibt.

Wie häufig arbeiten Sie an Cold Cases?

Das ist bei uns nur im Nebengeschäft, für das wir für bestimmte Zeiten freigestellt werden. Wir sind nur eine kleine Landdienststelle. Wir haben keine Mordkommission, die dauerhaft eingerichtet ist wie in den Stadtstaaten. Ich bearbeite sonst aktuelle Tötungs- und Sexualdelikte.

Was interessiert Sie an den alten Fällen?

Die Möglichkeit, für eine, wenn auch verspätete, Genugtuung zu sorgen. Wir machen das natürlich auch für die Angehörigen.

Die FDP fordert in Niedersachsen eine Spezialeinheit, die sich nur mit Cold Cases beschäftigen soll. Was halten Sie als Praktiker davon?

Es hat sicherlich Vorteile, weil sich dann Kollegen spezialisieren. Es ist aber auch von Vorteil, wenn bei den Ermittlungen die Örtlichkeiten bekannt sind. Die örtliche Dienststelle müsste auf jeden Fall beteiligt werden.

Wie lange ermitteln Sie noch in dem Fall der erschlagenen Frau, an dem Sie gerade arbeiten?

Bis wir den Täter haben. Mit open end.

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