: Theater um Kunstschnee
Der französische Shootingstar Christine & the Queens mit einer ambitionierten Performance beim Konzert in der ausverkauften Columbiahalle am Montag
Von Jan Jekal
„Pass ich da noch durch?“, fragt die junge Frau, während sie sich nonchalant zwischen die anderen Konzertgänger schiebt. Die Columbiahalle ist ausverkauft, am Montagabend, und sie scheint sogar noch ausverkaufter als sonst zu sein; in der Halle ist es außerordentlich eng, dicht an dicht stehen Zuschauer gedrängt. Als auf den letzten Drücker angekommener Reporter stehe ich ständig jemandem im Weg.
Hat das Konzert einmal begonnen, so kalkuliere ich, wird Bewegung in die Menge kommen, dann lässt sich leicht weiter nach vorne tanzen. Handelt es sich doch um das Konzert der gehypten Pariser Künstlerin Christine and the Queens. Aber dann, Plot-Twist, wird gar nicht so viel getanzt, zumindest nicht vom Berliner Publikum.
Die Show beginnt mit einer Theatereinlage. Zunächst kommen sechs, sieben junge Menschen auf die Bühne, die alle wie H&M-Models aussehen. Sie unterhalten sich, wie man sich nur auf einer Bühne unterhalten kann, raumgreifend gestikulierend, jede Bewegung übertreibend.
Plötzlich verstummt das Geplänkel. Chris, die gegenwärtige Inkarnation der französischen Musikerin Héloïse Letissier, hat die Bühne betreten, im roten Arbeiterhemd, mit hochgekrempelten Ärmeln, vorne nur notdürftig zugeknotet. Im breitbeinigen Halbstarkengang bewegt sie sich auf die Gruppe zu.
Sie ist auf eine Gang gestoßen, eine Musical-Gang, eine wie aus der „West Side Story“, und sie wird den Models jetzt zeigen, wem die Straße gehört. Der Backing Track setzt ein, Drum Machine, Synthesizer, und Chris fängt an zu tanzen.
Gleichmäßig ausgeleuchtet
Das erste Lied, „Comme si“, ist auch der Auftakt ihres neuen Albums, ein gelungener Popsong mit Eighties-Appeal und eingängiger Hookline. Das Energielevel des Publikums, wie vorhin angedeutet, bleibt aber zurückhaltend. Es liegt, schätze ich, an der Beleuchtung. Als handelte es sich um ein Theaterstück und nicht um ein Konzert, bleibt die Bühne auf wenig reizvolle Art gleichmäßig ausgeleuchtet.
Es sieht also aus, als hätte jemand vergessen, das Licht auszumachen, oder als wäre die Nacht schon vorbei und man hätte die Hauslichter über der Tanzfläche wieder angeknipst, um die letzten Leute aus dem Club zu scheuchen. Der rätselhafte Yosemite-Hintergrund des Bühnenbildes hilft in Sachen Atmosphäre auch nicht weiter.
Obwohl die mittelgroße Halle vollständig ausverkauft ist, wirkt es so, als sei die aktuelle Phase von Letissiers Karriere, was die Ambitionen ihrer Live-Auftritte angeht, für sie eine Nummer zu klein. Sie hat für die Tour TänzerInnen engagiert, dazu noch eine Handvoll Musiker, sie hat Choreografien entwickelt und Kunstschnee und Nebelmaschinen mitgebracht. (Man kann nur hoffen, dass es sich bei der Tour am Ende nicht um ein Minusgeschäft handeln wird.)
Opulenz der Arena
Der Eindruck ist der, dass Letissiers Vision ein richtig großes Pop-Spektakel war, mit der Dramaturgie und der Opulenz einer Arena-Show, und dass die Ressourcen und die Bedingungen, die mit einem Veranstaltungsort von der Größe der Columbiahalle einhergehen, nicht ausreichten, um diese Vorstellungen umzusetzen. Am Ende bleibt dann der Eindruck eines etwas unausgegorenen Kompromisses: Ein Konzert mit einigen tollen Tanzeinlagen – in einer wunderbaren Sequenz, das schöne Midtempo-Stück „5 Dollars“ begleitend, rennen die TänzerInnen im Kreis um Letissier herum, während sie, angestrahlt, in der Mitte steht – und unergründlich einfachem Bühnenbild, mit einer strahlenden Unterhalterin und einer rätselhaft stimmungslosen Beleuchtung; einer Stadion-Show, gezwungenermaßen, in Hallen-Qualität.
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