„Es war, als wenn er eine Verwandlung vollzogen hätte“

Seit sieben Jahren singt Sabine*, 62, in einem Bremer Chor. Seit diesem September haben sie einen neuen Leiter: der alte schloss sich der AfD an

Protokoll Maren Knödl

Eigentlich war er ein sehr netter Mensch. Aber jetzt haben wir beschlossen, uns von unserem Chorleiter zu trennen. Als er zusammen mit Leuten von der AfD demonstrieren gegangen ist, wussten wir erst nicht, was wir machen sollen. Aber es hat sich gezeigt, dass die Kommunikation nicht mehr funktioniert.

Einmal in der Woche treffen wir uns hier in Bremen, um zusammen zu singen. Das ist eine tolle Gruppe. Und in den letzten sieben Jahren, seit ich dabei bin, haben wir uns sehr gesteigert. Mit dem Chorleiter haben sich alle immer gut verstanden.

Aber dann hat er uns im Juli eine Mail geschickt – über seine politische Betroffenheit. Wir sollten uns ein Video anschauen, indem zu sehen war, wie einige Antifa-Leute beim Frauenmarsch in Bremen versuchten, auf eine Gruppe rechter Demonstranten loszugehen. Und da stand, neben einigen Vertretern der AfD, auch unser Chorleiter. Keiner von uns hat damit gerechnet. Denn vorher hatte niemand etwas von seiner politischen Gesinnung mitgekriegt.

Die Reaktionen im Chor waren unterschiedlich. Einige waren entsetzt und wollten direkt nichts mehr mit ihm zu tun haben. Andere sahen das etwas gelassener und wollten erst mal abwarten. Aber nach und nach entstand daraus ein immer stärker werdendes Ringen mit uns selbst und wir haben uns schon gefragt, wie eine Zusammenarbeit jetzt aussehen könnte.

Also haben wir ihn darauf angesprochen und wollten über seinen Standpunkt reden, denn grundsätzlich kann in einer Demokratie ja jeder denken, was er will. Wir wollten aber wissen, wie es dazu gekommen ist, dass er so denkt. Es war uns wichtig, dass er sich erklärt. Aber das konnte er nicht. Ich habe gemerkt, dass er sehr ängstlich war, auch im Gespräch mit uns. Er mache sich Sorgen um unseren Sozialstaat und habe kein Vertrauen mehr in die Zukunft, war alles, was er sagen konnte.

Auch dass die Antifa-Anhänger auf dem Marktplatz so aggressiv gegenüber ihm und den anderen AfD-Anhängern waren, hat ihn sehr mitgenommen. Nach der Demo muss er völlig verunsichert nach Hause gefahren sein. Er hat sogar sein Auto versteckt, aus Angst, von der Antifa verfolgt zu werden. Das alles hat ihn meiner Meinung nach nur noch weiter in diese braunen Kreise getrieben.

Für niemandem aus dem Chor war sein Sinneswandel nachvollziehbar. Er hatte wohl als Lehrer in seiner Schule einige Erlebnisse mit Ausländern gemacht, die vielleicht als Auslöser für seine Verunsicherung gedient haben. Andererseits hat er sich aber auch für Flüchtlinge eingesetzt und beispielsweise einem syrischen Flüchtlingskind ein Zimmer zur Verfügung gestellt.

Darüber wollte er aber nicht mehr mit uns sprechen. Das eine Mal, als wir uns noch mal alle getroffen haben, hat er nur seinen Standpunkt dargestellt und ist dann schnell wieder gegangen. Er scheint nicht mehr in der Lage zu sein, wirklich zu kommunizieren. Es war, als wenn er eine Verwandlung vollzogen hätte: vom beliebten Musiker in einen ängstlichen Menschen, der sich verstecken muss. Ich habe noch nie erlebt, wie man sich so schnell von jemandem entfremden kann.

Nach diesem Gespräch haben wir entschieden, dass wir nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten können. Wir hatten uns mit einem Mal total voneinander entfremdet. Und ein Gespräch war nicht mehr möglich. Wir üben jetzt mit einem anderen Chorleiter. Und auch ein weiterer Chor, den er in Bremen geleitet hat, hat sich aufgelöst. Durch seine Unsicherheit und seine politische Einstellung hat er sich selbst vollkommen isoliert.

Im Moment schmerzt das noch sehr. Ich habe so etwas auch noch nie erlebt. Aber eigentlich würde ich gerne wissen, wie es ihm jetzt geht. Vielleicht werde ich, wenn ein wenig Zeit vergangen ist, noch mal den Kontakt zu ihm suchen.“

*Name geändert