Ein neues Feld entdeckt

„Ganz Berlin ist unser Garten“: Nicht mehr für Häuser, sondern für urbanes Grün wird heute gekämpft

Fürs Gärtnern braucht es passendes Schuhwerk Foto: K. Thielker

Ein „Untersuchungsausschuss zu gemeinwohlorientierten Organisationsformen für die Berliner urbanen Gärten“ veröffentlicht seine Ergebnisse im Openhouse+ beim ZK/U. Alles klar?

Berlin, so die Initiator*innen, gelte als „Hauptstadt der urbanen Gärten“. Doch deren Existenz sei trotz einer vom rot-rot-grünen Senat in Aussicht gestellten gesamtstädtischen Planung für interkulturelle und urbane Gärten prekär. „Die Zeit der Zwischennutzung, lange als erfolgreiche Strategie der Teilhabe an der Gestaltung von Stadt gefeiert“, so der Untersuchungsausschuss, „scheint endgültig vorbei“. Spekulanten bedrohten Brachflächen, urbane und Kleingärten, selbst Friedhöfe! Der Kampf um Freiraum hat ein neues Feld entdeckt.

Dieser berlintypische Kampf konzentrierte sich zu Gründungszeiten der taz auf umbauten, ungenutzten Wohnraum. Der Kampf gegen die Abrissbirne gab den Punk-Träumen der Post-Tunix-Jugend, die sich damals in Westberlin versammelte, eine neue Heimat. Heute richtet sich „Macht kaputt was Euch kaputt macht“ gegen „Nachverdichtung, Privatisierung und Spekulation“ des urbanen Raumes, besonders gegen den Zugriff des Baubooms auf die letzten Lücken und Nischen der Vielfalt. ZK/U steht denn auch nicht mehr für so etwas wie Zentralkomitee/Untergrundfraktion, sondern für „Zentrum für Kunst und Urbanistik“ und residiert mit 40-jährigem Pachtvertrag auf einer Freifläche des ehemaligen Moabiter Güterbahnhofs.

Der Kampf um Freiraum war stets ein Kampf um Hüllen. Die darin zu verwirklichenden Inhalte, Gemeinschaften und Träume bleiben durch den Gestus des Kampfes, so scheint es, ein wenig geschützt vor allzu neugierigen Blicken aufs Eigentliche. Legitimiert ist die gemeinschaftliche Freiraumnahme, das ist klar, nur soweit sie ein oder mehrere Gemeingüter entwickelt und schützt. „Doch aus Sicht der Verwaltung gelten von den Menschen selbst organisierte Grünräume nach wie vor als Formen der Privatisierung statt ihre Rolle für das Gemeinwohl zu würdigen – Teilhabe, Freiraum, Biodiversität, Inklusion, Naturerfahrung, Bildung, Klimaanpassung, Ernährungssouveränität etc.“, beklagt der Untersuchungsausschuss.

Was also sind die Grünräume nun: Private Neurosengärten und Schreberidyllen oder Schauplätze einer neuen Commons-Kultur? „Urbane Gärten sind unser Lebensraum. Hier begegnet sich Vielfalt. Hier wachsen Perspektiven. Denn hier entsteht eine auf Nachhaltigkeit gegründete Gesellschaft. Wir wollen, dass diese Gärten Wurzeln schlagen. Die Stadt ist unser Garten“, postulierte, frei von Bescheidenheit, bereits 2014 ein Urban Gardening Manifest.

Vielleicht macht ja seit jeher gerade das Zwitterwesen der Freiraumbewegungen ihren besonderen Reiz aus. „Politik in erster Person!“, lautete die Forderung der „Spontis“ seinerzeit. Lange vor Facebook also persönliche Selbstverwirklichung als öffentliche Pflichtübung?

Die private, wenn auch genossenschaftlich organisierte Laube des sozialdemokratischen Bausenators Harry Ristock (SPD) gleich hinter dem Jugendknast Plötzensee war Anfang der 80er Jahre jedenfalls ein Raum von höchster politischer Bedeutung. Als Hausbesetzer und taz-Reporter an diesen Ort sozialdemokratischer Kungelei zum jährlichen Erntedankfest persönlich eingeladen zu werden, war für damalige Verhältnisse eine Spitzenleistung an Inklusion.

Openhaus Plus am ZK/U Donnerstag, 27.9., 19 bis 22.30 Uhr ZK/U, Siemensstraße 27–49, 10551 Berlin

Auch der Autor lädt zu einem internationalen Erntedankfest dieser Art am 30. September ab 12 Uhr im Botanischen Volkspark Pankow – www.2000m2.de

„Mißtraut den Grünanlagen“ forderte schließlich der Berliner Nachkriegschronist und Flaneur Heinz Knobloch aus ganz anderen Gründen. Allzu oft liegt unter den Freiflächen von heute kein Strand, sondern schwarze, bleierne Geschichte der Vernichtung, wie die 34 Transporte der Juden vom Gleis 69 des Moabiter Güterbahnhofs etwa.

Zurück zur Freiraum-Bewirtschaftung von heute: Allenthalben feiern die Gärten dieser Stadt – die 150 Gemeinschaftsgärten ebenso wie die 70.000 Kleingartenparzellen – dieser Tage Erntedankfeste. Selten geht es dabei um eine optimale Ausbeute an Kürbissen, Hülsenfrüchten, Tomaten, Obst und Kartoffeln. Die oft bescheidene, reale Ernte tritt bei fast allen Varianten hinter die Realisierung der damit jeweils verbundenen Träume von Völkerverständigung, Artenvielfalt, Allmende und „ganz Berlin ist unser Garten“ zurück.

Benny Härlin, Mitbegründer taz Berlin, heute Büroleiter Zukunftsstiftung Landwirtschaft