piwik no script img

Das Ende des schönen Spiels

Mit Underdogfußball trotzen die deutschen WM-Vergeiger Weltmeister Frankreich ein torloses Remis ab. Die DFB-Funktionäre versuchen derweil in München mit einer diffusen Basisnähe zu glänzen

Aus München Andreas Rüttenauer

Die Entsorgung ist schnell gegangen. Den Markennamen „Die Mannschaft“ gibt es nicht mehr. Vor dem Spiel der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes gegen Weltmeister Frankreich am Donnerstagabend in der Münchner Arena am Müllberg forderte der Stadionsprecher die Zuschauer auf, „das Team Deutschland“ zu begrüßen. Das erste Gruppenspiel in der europäischen Nations League sollte ja ein Neuanfang werden. Der DFB wollte zeigen, dass er etwas gelernt hat. Hat er also. Zumindest was das Branding des Teams betrifft.

Und sonst? Das Wichtigste an diesem Abend war ja das Spiel. 0:0 ist das ausgegangen. Die deutschen Vorrundenvergeiger hatten sich dem Weltmeister mit vier hünenhaften Innenverteidigern auf einer Linie in den Weg gestellt. Davor gab Joshua Kimmich den Ausputzer. Es wurde verteidigt. Weit hinten. Ganz ohne Risiko. DFB-Präsident Reinhard Grindel wird es gefallen haben.

Der hatte am Nachmittag vor dem Spiel ein Versprechen gegeben. Einsatz werde man sehen und eine Mannschaft, die mehr verteidigen würde. Das Ergebnis sei dann zweitrangig, meinte er. Wichtig sei vor allem, dass alle alles geben würden. Er hat dafür Applaus bekommen. Draußen in Riem war das, im Osten der Stadt. Der DFB hatte ins „teatro“ geladen, einem Veranstaltungszelt, das auf einer hässlichen Brache im Bauerwartungsland am ehemaligen Flughafen im Osten Münchens für ein wenig Glamour sorgen soll. In dem Unterhaltungzelt, das zum Gourmet­imperium des obersten Münchner Mundschenks Alfons Schuhbeck gehört, waren die Ehrenamtler zusammengekommen, die der DFB in diesem Jahr in seinen „Club 100“ aufgenommen hat.

Es ist eine Ehrung von vielen im DFB. Manchmal gibt es eine „Ehrenamtsurkunde“ vom Verband für außerordentliches Engagement, manchmal sogar eine „Ehrenamtsuhr“. Und weil Anerkennung auch durch den Magen geht, gab es an diesem Tag noch ein Menü von Alfons Schuhbeck mit Bayerischer Creme zum Nachtisch, Panna Cotta mit Schokoladenmantel, Him- und Waldbeeren so viel, dass es ein wahre Freude war.

Die Basis war also nach München gekommen. Von der redet DFB-Präsident Reinhard Grindel ja gerne. Der fühlt es sich verpflichtet. Einmal im Monat, so sagte er, besuche er die Basis. Dort werde er dann angesprochen darauf, was die Basis bewege. Was genau das sein soll, das hat er nicht gesagt. Irgendetwas muss da sein, was die Menschen beunruhigt. Sind es wirklich die fehlenden Kunstrasenplätze? Davon hat Grindel gesprochen. Peter Frymuth, der Präsident des Fußballverbands Niederrhein, der im DFB-Präsidium für das Ehrenamt zuständig ist, wollte auch nicht so recht rausrücken mit der Sprache. Als er sagte, dass unten in den Vereinen eine große Unzufriedenheit herrsche, wurde ihm applaudiert. Ob die versammelten Ehrenamtler wussten, was er genau gemeint haben könnte?

Wie gut, dass bald Toni Schumacher die Bühne betreten hat. Den kennen alle. Das ist ja ein ehemaliger Nationalspieler. Der Torwart, der 1980 Europameister geworden ist, versprühte beste Laune und stellte sich als Kölner Botschafter für die Fußball-EM 2024 vor, die der DFB so gerne ausrichten würde und über deren Vergabe die Uefa am 27. September in Nyon entscheidet. Ums Ehrenamt ging es da schon lange nicht mehr. Die Profis bestimmten wieder das Spiel. Natürlich wurde auch Schumacher gefragt, was er am Abend von der deutschen Nationalmannschaft erwarten würde. Ein Sieg war es jedenfalls nicht. Es ginge ihm um die Einstellung. Die Basis hat applaudiert.

Applaudiert wurde auch im Stadion nach dem torlosen Remis gegen Frankreich. Artig bedankten sich die Spieler bei den Fans auf der Tribüne, auf der sich die Mitglieder des Fanclubs Nationalmannschaft powered by Zuckerwasser versammelt hatten. Mats Hummels schrieb besonders eifrig Autogramme, als wolle er zeigen, dass es dem Team ernst ist mit dem Anliegen, mehr Fannähe zu zeigen.

Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, den deutschen Tugenden gehuldigt. Von der Dominanz der letzten Jahre war nur noch wenig da

Geschwitzt hatten sie ja genug und waren so dem Auftrag gerecht geworden, mit dem das Fußballland die WM-Vergeiger auf den Platz geschickt hat: man sollte den Spielern in jeder Szene ansehen, dass sie stolz darauf sind, den Adler auf der Brust zu tragen.

Selbst die vereinzelten Pfiffe für den Mitte der zweiten Hälfte eingewechselten Ilkay Gündogan, den man hoffentlich zum letzten Mal verdächtigt hat, er fühle sich nicht deutsch genug, waren gegen Ende des Spiels verstummt. „Auf geht’s, Deutschland, schieß ein Tor!“, schallte es durch das Stadion des FC Bayern. Das Fan-Schlager-Revival auf den Rängen war die angemessene Reaktion auf die Wiedergeburt des deutschen Vorstopperfußballs. 14 Mal haben die deutschen ihre französischen Gegner gefoult. Das Spiel der Deutschen hat sich wirklich geändert.

„Wir haben diese Tugenden gezeigt“, sagte der Bundestrainer nach dem Spiel, ohne das Wort „deutsch“ zu verwenden. Es war wohl mitgemeint. 2006, als Löw seinen Job angetreten hat, meinte er noch, man müsse sich verabschieden von den deutschen Tugenden und mehr Fußball spielen. Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt und der deutschen Tugendtradition gehuldigt. Es war nur noch wenig da von dieser Dominanzattitüde, mit der die deutsche Mannschaft über Jahre versucht hat, den Gegnern ihr Spiel aufzudrängen. Joachim Löw hat seiner Mannschaft im Eiltempo eine Art Underdogfußball beigebracht. Die Zeit des schönen Spiels könnte zu Ende sein. Wie das an der Basis ankommt, kann Reinhard Grindel bei einem seiner nächsten Besuche dort ja mal nachfragen.

Vielleicht wird er dann hören, dass der Profifußball und die Nationalmannschaft gar nicht mehr so wichtig sind da unten. Er könnte Mustafa Sahin besuchen. Der ist Spieler und Vorstandsmitglied bei Fatihspor Kaiserslautern und gehört zu denen, die am Donnerstag in München geehrt worden sind. Er erzählte von den Flüchtlingen, denen er im Verein eine sportliche Heimat gegeben habe, davon wie er ihnen hilft, Anträge bei Ämtern auszufüllen, was er beherrsche, weil er jahrelang ein Intergrationsprojekt geleitet hat. Vielleicht hätte Sahin gerne mehr über sich und seinen „etwas anderen“ türkischen Verein erzählt, den es wohl nicht mehr geben würde, hätte er sich nicht in den Vorstand wählen lassen. Aber es war zu wenig Zeit. Toni Schumacher war ja da. Und dann musste rechtzeitig der letzte Teller leergegessen sein vor der Abreise ins Stadion zum Spiel gegen den Weltmeister.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen