: Maaßens Irrfahrt spaltet die Große Koalition
Die Große Koalition streitet über den Fall Maaßen. Die SPD fordert den Rauswurf, Seehofer stellt sich hinter ihn. Ein Krisentreffen der drei Parteivorsitzenden endet ergebnislos
Aus Berlin Sabine am Orde und Ulrich Schulte
Der Fall Maaßen wird zu einer Zerreißprobe für die Große Koalition. Die SPD-Spitze hat am Donnerstag die Entlassung des umstrittenen Verfassungsschutz-Präsidenten gefordert. „Für die SPD-Parteiführung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Donnerstag mit Blick auf Maaßens Äußerungen zu rassistischen Angriffen in Chemnitz. „Merkel muss jetzt handeln.“
Am Donnerstagnachmittag kamen Angela Merkel, Horst Seehofer und Andrea Nahles zu einem Krisentreffen im Kanzleramt zusammen, um über Maaßens Zukunft zu beraten. Die SPD-Spitze hatte auf das Treffen gedrungen. Doch die Parteichefs vertagten ihre Gespräche über Maaßen auf kommenden Dienstag, wurde am Abend öffentlich. Es sei ein gutes, ernsthaftes Gespräch mit dem Ziel gewesen, als Koalition weiterzuarbeiten, hieß es in Regierungskreisen. Ein Minimalziel, das zeigt, wie verfahren die Lage ist.
Das heißt auch: Die Uhr für dem umstrittenen Verfassungsschützer tickt. Soll er eine Gnadenfrist bekommen, um selbst zurücktreten zu können? Die SPD-Spitze ist offenbar entschlossen, auf einer Entlassung zu bestehen – und den Konflikt mit der Union zu suchen. In der SPD hält man den Mann für nicht mehr tragbar. „Jeder, der Verantwortung trägt für einen der großen Sicherheitsdienste in unserem Land, muss über jeden Zweifel erhaben sein – und sich auch immer wieder selbst hinterfragen“, twitterte Olaf Scholz. Der Finanzminister und Vizekanzler fügte vielsagend hinzu: „Und da gibt es gerade etwas zu tun.“
Andere Sozialdemokraten wurden deutlicher. „Der Ball liegt bei der Kanzlerin. Maaßen muss und wird gehen“, sagte SPD-Vize Ralf Stegner der taz. „Alles andere wäre übrigens eine Konjunkturspritze für die Rechten.“ Es gebe kein Vertrauen mehr in die Amtsführung von Hans-Georg Maaßen, schrieb Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann auf Twitter. „Deshalb muss er gehen.“ Die SPD-Innenpolitikerin Eva Högl bat Merkel am Vormittag im Parlament, „an der Stelle für Klarheit zu sorgen“.
In der SPD ist das Bedürfnis nach klarer Kante in der Koalition groß. Und die Personalie Maaßen wird zum Symbol des Kampfes gegen Rechts. Nahles hatte bereits am Montag von Maaßen klare Belege für seine Aussagen in der Bild-Zeitung eingefordert: „Sollte er dazu nicht in der Lage sein, dann ist er in seinem Amt nicht länger tragbar.“ Maaßen hatte dem Blatt gesagt, es lägen keine Belege dafür vor, dass ein im Internet kursierendes Video von einem rassistischen Angriff authentisch sei. Auch gebe es gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handele, „um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“ Später klagte er, missverstanden worden zu sein.
Nahles und Scholz stehen intern unter Druck. In Teilen der Partei wächst der Frust über die Performance in der Großen Koalition. So hatte Juso-Chef Kevin Kühnert, erklärter Groko-Gegner, dem Spiegel gesagt: „Sollte der Verfassungsschutzpräsident im Amt bleiben, kann die SPD nicht einfach so in der Regierung weiterarbeiten. Kühnert warnte davor, sich an eine Verschiebung der Maßstäbe zu gewöhnen und einen Bruch der politischen Kultur in Kauf zu nehmen.
Aber ließe die SPD wegen Maaßen tatsächlich die Koalition platzen? Högl sagte am Morgen im Deutschlandfunk, ihre Partei verlasse nicht wegen Maaßen die Koalition. Von anderen wurde eine Antwort vorsichtig umschifft. „Ich bin dagegen, Nebenkriegsschauplätze aufzumachen“, sagte Stegner lediglich. Auch im Statement von Klingbeil fehlt eine solche Drohung. Die SPD, so die interne Analyse, dürfe sich nicht ohne Not ein Problem der Union ans Bein binden. Denn die hält – zumindest bisher – zu Maaßen.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) sprach dem Verfassungsschutz-Chef am Vormittag im Parlament ausdrücklich sein Vertrauen aus. Maaßen habe am Mittwoch im Innenausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium seine Handlungsweise „umfassend und aus meiner Sicht überzeugend“ dargelegt, sagte Seehofer. Außerdem habe er sein Bedauern über die Wirkung des Interviews ausgedrückt.
Maaßen hatte sich am Mittwochabend im Innenausschuss für seine Aussagen gerechtfertigt. Seine Argumentation ist in einem vierseitigen Bericht an seinen Vorgesetzten Seehofer festgehalten, der den Abgeordneten übermittelt wurde – und der auch der taz vorliegt. Der Verfassungsschutz-Chef argumentiert darin, er habe nie behauptet, dass das Video gefälscht, verfälscht oder manipuliert worden sei. Vielmehr habe er in Frage gestellt, dass das Video authentisch eine „Menschenjagd in Chemnitz“ belege.
Alles nicht so gemeint? Grüne, FDP und Linke kaufen Maaßen diese Version nicht ab. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warf ihm im Parlament vor, krude Verschwörungstheorien zu verbreiten. Ein solches Verhalten verbiete sich für jeden, der im Land Verantwortung trage. Der Linkspartei-Abgeordnete Victor Perli forderte Merkel auf, auch Innenminister Seehofer zu entlassen. Auch in der FDP gab es Stimmen, die den Rücktritt forderten. Das Maß sei voll, sagte Konstantin Kuhle, der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Seehofer müsse Maaßen sofort entlassen.
Unterdessen gab es neue Vorwürfe gegen Maaßen. Er soll dem AfD-Politiker Stephan Brandner bei einem Treffen Zahlen über islamistische Gefährder aus dem Verfassungsschutzbericht genannt haben, der zu dieser Zeit noch nicht veröffentlicht gewesen sei, berichtete das ARD-Magazin „Kontraste“. Außerdem soll er mit Brandner über den Haushalt seines Hauses gesprochen haben. Letzteres wiege schwer, kritisierte der Grüne von Notz auf Twitter. „Der Haushalt ist geheim und darf nur mit ganz wenigen MdBs erörtert werden.“ Über das Treffen zwischen Maaßen und Brandner hatte die taz zuerst berichtet. Maaßen wies die Vorwürfe zurück.
Auch wegen mehrerer Treffen mit AfD-Politikern steht Maaßen seit Wochen in der Kritik. Außer mit Brandner hat sich der Verfassungsschutz-Chef mehrmals mit der ehemaligen AfD-Chefin Frauke Petry getroffen, auch zu dem heutigen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland hat es nach dessen Angaben mehrere Kontakte gegeben. Das hat Maaßen den Verdacht eingebracht, er könne Sympathien für die AfD hegen. Auch der Vorwurf, Maaßen habe Petry Tipps gegeben, wie eine Überwachung durch den Verfassungsschutz zu verhindern sei, hält sich, trotz Dementi des Innenministeriums. Es ging um den saarländischen Landesverband, der voller Rechtsextremer war, weshalb das Landesamt eine Beobachtung erwog. Bevor es dazu kam, beschloss die AfD, den Landesverband aufzulösen.
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