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Rückkehrer mit viel Energie

Im Halbfinale der US Open lasten auf dem verletzungsanfälligen 29-jährigen Juan Martín del Potro viele Hoffnungen. Gegen Rafael Nadal, die Nr. 1 der Welt, soll der Argentinier für ein wenig Abwechslung sorgen

Aus New York Jörg Allmeroth

Als Juan Martín del Potro vor neun Jahren in einer magischen Tennisnacht die lange Siegesserie von Roger Federer beendete, schien auch die Machtarchitektur im Tenniszirkus ins Wanken zu geraten. Del Potro, genannt „El Palito“ („Die Bohnenstange“), wirkte wie einer, der die Dominanz der Titanen brechen konnte – mit seinen Hochgeschwindigkeitsschlägen, mit seiner Leidenschaftlichkeit, mit guten Nerven in der Hitze der Duelle. Del Potros Karriere war mehr als geradlinig verlaufen bis zu jenem traumhaften Moment, er war nacheinander der jüngste Profi in den Top 100, den Top 50, den Top 10 und dann auch in den Top 5.

Doch ausgerechnet nach diesem besonderen Turnier begann das jahrelange Leiden des „Turm von Tandil“, des zerbrechlichen 198-Zentimeter-Riesen mit dem großen Herz und dem verletzunganfälligen Körper: „Ich habe echte Horrorjahre hinter mir“, sagt del Potro, „ich war nicht weit davon entfernt, mit dem Tennis aufzuhören.“ Allein vier Handgelenkoperationen hatte del Potro zu überstehen, dazu kamen depressive Verstimmungen, angebliche Alkoholprobleme, immer wieder wurde er zurückgeworfen in seinen Anstrengungen. Nun aber, im Jahr 2018, eine kleine Ewigkeit nach seinem ersten und einzigen Grand-Slam-Coup, scheint del Potro wieder in der Lage zu sein, oben anzugreifen.

Endlich verletzungsfrei, endlich ohne Zweifel an seiner Wettbewerbstauglichkeit, rauscht der Argentinier bei den US Open durch die Turnierrunden – auch in der heißeren Turnierphase zeigte er Souveränität gegen den jugendlichen Herausforderer Borna Ćorić(Kroatien) und Aufschlaggigant John ­Isner (USA). „Hoch zufrieden“ sei er mit dem bisherigen Verlauf, gab der 29-Jährige zu Protokoll. Und er versicherte: „Ich habe auch noch genug Energie im Tank für das, was kommt.“ Wer kommt, ist nun indes wieder einmal, wie im Vorjahr im Halbfinale, Rafael Nadal, der sich Dienstagnacht in einem Fünf-Satz-Spektakel gegen den jungen Österreicher Dominic Thiem durchgesetzt hatte.

Schon im Vorjahr hatte del Potro bei den US Open für Aufsehen gesorgt. Gegen den aufstrebenden Thiem drehte er eine völlig verrückte Partie nach 0:2-Satzrückstand noch zu seinen Gunsten. Auch gegen Maestro Roger Federer gewann er anschließend in vier umkämpften Sätzen – und schied dann ermattet im Halbfinale gegen keinen anderen als Nadal aus. Der Spanier gewann schließlich auch das Turnier, wieder einmal einer aus der schier unantastbaren Führungselite.

Sosehr die Renaissance der alten Titanen Federer und Nadal zuletzt begeisterte, sosehr auch das strahlende Comeback des vorübergehend kriselnden Novak Đjokovićimponierte – es gibt in der Branche und unter Fans auch eine Sehnsucht nach anderen Titel-Helden, nach Abwechslung in der Kür der Grand-Slam-Champions. Und keiner verkörpert diese Sehnsucht mehr als del Potro, der vor zwei Jahren seinen größten Coup neben dem US-Open-Sieg 2009 landete: die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Rio.

Anders als vor einem Jahr hat del Potro sich bei den US Open nicht verausgaben müssen. Bisher hat er erst einen Satz verloren. Es sind also dieses Mal im Duell mit dem Weltranglistenersten Nadal komplett andere Voraussetzungen. „Wenn ich noch mal einen Grand-Slam-Titel gewinnen würde, wäre es der größte Moment meiner Karriere“, sagt del Potro, „nach alldem, was ich hinter mir habe.“

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