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Zwischen Hoffnung und Ungewissheit

Die Ausreisesperre gegen die Journalistin Meşale Tolu wurde aufgehoben. Der Kölner Adil Demirci sitzt immer noch im Hochsicherheitsgefängnisvon Silivri

Von Volkan Ağar

Sein Sohn sitzt wegen Terrorvorwürfen in der Türkei im Gefängnis, aber der Mann mit ­beiger Stoffhose, weißem Poloshirt, Schirmmütze und grauweißem Schnauzer lächelt zuversichtlich. Sein Sohn heißt Adil Demirci, Adil bedeutet „der Gerechte“. Eyyüp Karatekin spricht unaufgeregt und leise mit einem Türkisch, das kurdisch gefärbt ist: „Der kommt bald raus. Das ist sicher.“ ­Gegen seinen Sohn hätten sie doch nichts in der Hand.

Am frühen Morgen des 13. April stürmte die Polizei die Wohnung im Istanbuler Stadtteil Kartal, in der sich der 33-jährige Adil Demirci aufhielt, und nahm ihn mit. Demirci, der die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft besitzt, war für ein paar Tage mit seiner krebserkrankten Mutter in die Türkei gekommen. Demirci ist Kölner und arbeitet eigentlich als Sozial­arbeiter beim Jugendmigrationsdienst in Remscheid mit traumatisierten Jugendlichen aus Kriegsgebieten. Daneben ist er seit knapp fünf Jahren als Korrespondent und Übersetzer für die sozialistische Nachrichtenagentur Etha tätig, für die auch eine andere deutsche Journalistin arbeitete, die vor Kurzem noch in Haft war: Meşale Tolu. Für Etha schrieb Demirci Artikel über „Black Lives Matter“ und die Nachwirkungen des Arabischen Frühlings, er übersetzte Artikel über die rassistische Polizeigewalt im US-amerikanischen Ferguson. Die türkische Staatsanwaltschaft wirft Adil Demirci vor, Mitglied in einer terroristischen Vereinigung zu sein, der marxistisch-leninistischen MLKP, die in der Türkei verboten ist.

Adil Demirci ist nicht Deniz Yücel

Für die 18. wöchentliche Mahnwache auf dem Kölner Wallrafplatz baut Demircis Vater am Mittwochabend mit drei anderen älteren Herren einen Pavillon auf. Während der Redebeiträge stellen sich Mitglieder des Unterstützerkreises mit „Freiheit für Adil Demirci“-Schildern davor. Ein paar andere sammeln Unterschriften. Immer wieder löst sich jemand vom Passantenstrom und bleibt stehen, hört zu.

Aber Adil Demirci ist nicht Deniz Yücel. Nur knapp über dreißig Menschen nehmen an der Mahnwache für ihn teil. Zwar setzt sich der bekannte Investigativjournalist Günter Wallraff für Demirci ein. Aber kein Außenminister nimmt seinen Namen in den Mund, keine Kanzlerin. Hinter ihm steht kein großes Verlagshaus. Aber Adil Demirci und Deniz Yücel haben auch etwas gemein: Beide wurden mit absurden Vorwürfen eingesperrt. Deniz Yücel kam nach knapp einem Jahr Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri frei. Adil Demirci sitzt noch immer dort.

Wie lange noch, das weiß niemand so genau. Seit einer Woche ist die Hoffnung auf eine baldige Freilassung aber größer. Denn vergangene Woche wurde bekannt, dass die Ausreisesperre gegen die deutsche Journalistin Meşale Tolu aufgehoben wurde. Die Ulmerin, die im Mai 2017 wegen „Mitgliedschaft und Propaganda in einer terroristischen Vereinigung“ verhaftet worden war, saß acht Monate in Haft. Nachdem sie freigelassen wurde, durfte sie aber zunächst das Land nicht verlassen.

Meşale Tolu und Adil Demirci kennen sich schon lange. Beide arbeiteten für die Nachrichtenagentur Etha, ihre Familien sind befreundet. Als Tolu in Haft kam, organisierte Adil Demirci einen Unterstützerkreis und Mahnwachen für sie. Nun, da Adil Demirci selbst in Haft sitzt, organisiert sein jüngerer Bruder Tamer Mahnwachen für ihn. Der 25-Jährige hält den Kontakt zu ­Medien und Politikern, er bemüht sich, dass der Fall seines Bruders Aufmerksamkeit bekommt.

Dass Meşale Tolu ausreisen darf, freut die Menschen hier. Demircis Vater sagt: „Ich habe mich sehr gefreut, als ich das gehört habe. Ich kenne sie seit ihrer Kindheit.“ Aber er sagt auch, dass es kein Zufall sei, dass dies gerade jetzt passiere: Die Türkei wolle nicht dieselben Probleme mit Deutschland erleben, die sie derzeit mit den USA erlebt. Vater Karatekin lächelt wieder und sagt: „Diplomatische Dinge.“

Als Tamer Demirci von der Aufhebung der Ausreisesperre für Meşale Tolu gehört hat, hat er gleich an seinen Bruder denken müssen. Kommt Adil jetzt auch frei? Ist das der nächste Schritt bei dem türkischen Versuch, sich wieder an Deutschland anzunähern, jetzt, wo Ende September ein Erdoğan-Besuch bei Merkel ansteht? „Das kann sein“, sagt Tamer Demirci. „Andererseits sind die doch einfach unberechenbar.“

Neben all den Fragezeichen gibt es auch ein paar Gewissheiten: Adil Demirci geht es gut. Und die Anklageschrift ist endlich da, seit vergangener Woche, somit ist der Termin für den Prozessbeginn auch klar: 20. November.

Die Fußballmannschaft im Gefängnis

Tamer hat erst letzte Woche mit seinem Bruder telefoniert. Er habe sich munter angehört. Am Telefon wolle Adil Demirci ­lieber erfahren, wie es seinen Nächsten geht, als von sich selbst zu erzählen. Er lese viel, bis zu fünf Bücher in der Woche, er mache viel Sport, er schreibe. Er verliere nicht den Mut, weil er sich sinnvoll zu beschäftigen wisse, sagt Tamer Demirci. Auch wenn alle Tätigkeiten bis auf die Minute getaktet sind. Und die Freiheit damit eingeschränkt ist.

Ein Mitarbeiter des deutschen Konsulats, der Adil Demirci zuletzt besucht hat, erzählte Bruder Tamer am Telefon, dass sie während des Besuchs so viel gelacht hätten, dass er danach ein schlechtes Gewissen gehabt habe. Gerade ist Adil Demirci dabei, eine Fußballmannschaft zu organisieren. Eigentlich hatten sie schon elf Personen zusammen. Doch dann wurden Teammitglieder freigelassen. Vielleicht schafft Adil Demirci auch gar kein erstes Spiel.

Vielleicht tut sich vorher schon etwas. Denn für den 28. September hat sich der türkische Staatspräsident Erdoğan, der nach der Wahl am 24. Juni seine faktisch unbeschränkte Macht institutionalisieren konnte, zum deutschen Staatsbesuch angekündigt. Sie seien in Kontakt mit dem Konsulat und deutschen Politikern, die im Auswärtigen Amt beschäftigt sind, erzählt Tamer.

Dass Meşale Tolu freigelassen wurde und jetzt ausreisen darf, gibt denen Hoffnung, die Adil vermissen. Auch wenn der Prozess gegen sie noch nicht beendet ist. Andererseits harren sie aus zwischen dieser Hoffnung und einer quälenden Ungewissheit. Adils Vater, der sich vor der Mahnwache so zuversichtlich gibt, steht während der Mahnwache in der Reihe der Leute, die Bilder seines Sohnes halten, ganz außen. Er schaut jetzt trauriger und presst die Lippen zusammen. Nach der Mahnwache, als der Unterstützerkreis über ein nächstes Treffen spricht, sitzt er erschöpft auf einer Bank auf dem Wallrafplatz und blickt ins Leere.

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