piwik no script img

Damit das Außen zum Innen passt

Beautysalon für Crossdresser: In der Hamburger „Schwesternzeit“ können sich Transgender helfen lassen, sich in Frauen zu verwandeln

Von Annika Lasarzik

Bevor die Verwandlung beginnt, geht ein Ruck durch Hannas Körper. Sie richtet sich auf, atmet tief durch und nickt dem Mann im Spiegel zu. Dann lässt sie sich wieder in den Frisör­stuhl sinken, schließt die Augen, alle Anspannung weicht aus ihrem Gesicht. Es ist ein Moment, auf den Hanna hinfiebert, immer wieder. Für den sie sich freinimmt, den weiten Weg nach Hamburg fährt, Geld bezahlt. Doch er ist es ihr wert, dieser Moment, wenn „das Außen wieder zum Innen passt“, wie Hanna sagt. Wenn die Gesichtszüge des Mannes im Spiegel weicher werden, die Wimpern voller, die Wangen rosiger.

Vor ein paar Monaten saß Hanna zum ersten Mal auf diesem Stuhl, umgeben von Perücken und Make-up-Fläschchen. Heute ist sie Stammkundin in der „Schwesternzeit“, einer Art Beautysalon für Crossdresser: Männer, die das Bedürfnis verspüren, sich zu schminken oder Frauenkleider zu tragen, kommen her, um genau das zu tun. In einem intimen Rahmen, ohne abschätzige Blicke fürchten zu müssen.

Und dabei sind sie nicht allein. Neben Hanna steht Karin Robrahn-Faul, eine zierliche Frau mit langen roten Locken. Sie zeichnet Hannas Augenbrauen mit einem schmalen Stift nach. „Schau mal“, sagt Karin mit ruhiger Stimme. Hanna öffnet die Augen. „Dunkler darf die Farbe nicht sein. Sonst wirkt dein Gesicht zu hart.“

Von außen wirkt die „Schwesternzeit“ unscheinbar, ein Sichtschutz vernebelt die Fensterscheiben. Drinnen sieht es aus, als hätte jemand einen Frisörsalon mit einem Kostümverleih gepaart: Zwei große Wandspiegel, davor ein langer Frisiertisch, voll beladen mit Lippenstiften und bunten Kaffeebechern, aus denen Puderpinsel ragen. In einem Regal liegen Strümpfe, Perücken und falsche Wimpern, in einem anderen Brustprothesen aus Silikon: „Aprodithe-Brüste“: 699 Euro, „Nippel-Set“: 19,99. Der Duft von süßem Parfum sättigt den Raum, im Hintergrund dudelt leise das Radio.

Männer in Frauenkleidern – da denkt man schnell an Drag Queens mit reichlich Glitzer im Gesicht. Doch es gibt viele Spielarten des Crossdressings. Und viele Gründe, warum Männer Frauenkleider tragen. Manche erleben dabei sexuelle Lust, andere wollen mit Geschlechterklischees brechen. Einige sind im falschen Körper geboren, haben sich aber nie getraut, ihre innere Frau auszuleben. Und viele wissen nicht, wie sie sich vorteilhaft kleiden können. Oder wie man elegant in hochhackigen Schuhen herumläuft.

Viele Spielarten

In diesem Fall berät die gelernte Modedesignerin und Schneiderin Karin Robrahn-Faul. Sie schminkt und frisiert, leiht ihren Kund*innen, die sie nur „Schwestern“ nennt, Kleider aus dem Kostümfundus. Sie macht Mut. Und schafft mit ihrem Salon einen Schutzraum. „Die Angst, enttarnt, ausgelacht oder beschimpft zu werden, ist bei den meisten Crossdressern immens groß“, sagt Karin. „Das schränkt ein, macht unglücklich. Ich will helfen, die Angst zu überwinden und ihnen einfach eine gute Zeit schenken.“

Seit fünf Jahren gibt es die „Schwesternzeit“. Lange hat Karin Robrahn-Faul ihre Kund*innen in ihrer Wohnung empfangen, Anfang des Jahres zog sie in die neuen Räume in Hamburg-Hamm. Keine schicke Ecke, aber eine zentrale, der Hauptbahnhof ist nicht weit weg. Das ist wichtig für die Kundschaft, die oft von außerhalb kommt. In ganz Europa gebe es nur wenige solcher Salons, sagt Karin, im norddeutschen Raum sei ihrer der einzige. Was verwundert, bei der Nachfrage: Inzwischen habe sie über 1.000 Kunden, die meisten kämen immer wieder.

Sie verreibt einen Klecks Theater-Make-up auf Hannas Wange. Die Grundierung muss stark decken, damit der Bartschatten nicht durchscheint. Hanna nervt er, der Bartwuchs. Zu Hause würde sie sich gern jeden Tag schminken, doch die ständige Rasur reizt ihre Haut zu sehr. Bald werde sie sich die Barthaare epilieren lassen, sagt sie, bis dahin lebe sie jeden Tag im Wechsel, „einmal im Boymode, einmal im Girlmode.“

Als sie zum ersten Mal geschminkt wird, fühlt sich Hanna unwohl. Erster Impuls: „So kann ich nicht rausgehen!“

Hanna ist Anfang 50, sehr schlank, ihre braunen Haare lässt sie wachsen, im Nacken reichen sie gerade bis zu den Schultern. Sie trägt schwarze Leggings und ein blaues Sommerkleid. Das erste Mal Schminken? Sie weiß noch genau, wie das war. Damals, als Hanna noch nicht „Hanna“ hieß und sie als Kind „halt so rumexperimentiert“ hat, heimlich, natürlich. Bis die Eltern sie erwischten und klarstellten, dass man „so etwas nicht macht, pfui!“. Hanna lebte ihr Leben fortan als Mann. War mit Frauen zusammen, wurde Vater. Die Beziehung zur Mutter des Kindes zerbrach, andere hielten nicht lange. Hanna wurde depressiv, fing an zu trinken. „Ich hab jahrelang gesoffen ohne Ende und wusste nicht, warum“, sagt Hanna.

Wie fühlt es sich an, im falschen Körper zu stecken? Wie hält man das so lange aus? Hanna spricht über ihre Gefühle mit einer Selbstverständlichkeit, die andeutet, wie oft sie sich selbst schon diese Fragen gestellt hat. Es habe immer was gefehlt, sagt sie. „Ich konnte nie innerlich loslassen und nur für einen Moment glücklich sein, ohne Sorgen. Die innere Anspannung war immer da. Der Wunsch nach Weiblichkeit auch, doch sie verdrängte ihn, immer wieder. Bis Hanna es nicht mehr ertragen konnte. Der Entschluss, ihren Gefühlen endlich nachzugeben, ist gefasst, als sie Anfang des Jahres die „Schwesternzeit“ betritt. Es ist ein Schnuppertermin, ein vorsichtiges Herantasten ans Frausein.

Zumindest optisch Frau

Als sie zum ersten Mal geschminkt wird, fühlt sich Hanna unwohl. Erster Impuls: „So kann ich nicht rausgehen! Was, wenn mich jemand erkennt?“ Sie will nicht ausgelacht werden. Doch Hanna traut sich, sie geht raus, geschminkt durch Hamburgs Straßen. Und das Gefühl der Erleichterung ist größer als die Angst. „Das war der Wahnsinn!“, sagt Hanna. „Von da an war ein Schalter bei mir umgelegt.“

In ihrem Umfeld sind die Reaktionen gemischt. Hanna kommt aus einer kleinen Hafenstadt in Schleswig-Holstein, Transgender sind dort ein seltenes Bild. Eine Freundin warnt: So kannst du dich doch nicht sehen lassen, in der ganzen Lübecker Bucht wird man über dich sprechen! Besonders ihrer Mutter fällt es schwer, im Sohn eine Tochter zu sehen. Doch Hanna blüht auf. Sie beginnt, sich selbst zu schminken, wird ausgeglichener, hört auf zu trinken.

In der „Schwesternzeit“ lernt sie auch, wie sie sich weiblicher bewegen und sprechen kann. In Workshops mit einer Sprachtherapeutin wird die Kopfstimme trainiert, die höher klingt. Einmal sei sie einem Bekannten begegnet, der habe sie als Frau gar nicht erkannt. „Obwohl ich meinen Hund an der Leine hatte!“ Stolz schwingt in ihrer Stimme mit. Inzwischen hätten sich ihre Freunde und ihre Familie an ihr neues Auftreten gewöhnt.

Das Schminken ist aber nur der erste Schritt. Hanna steckt fest, auf dem Weg zur Transition, der Geschlechtsangleichung. Eine Hormontherapie kann sie erst beginnen, wenn ein psychologisches Gutachten „Transidentität“ diagnostiziert. Und Hanna findet keinen Platz bei einem Therapeuten, der ein solches Gutachten ausstellen und sie auf ihrem Weg begleiten könnte, die Wartelisten sind lang. So gehe es vielen Transgendern, wirft Karin ein. Umso wichtiger sei es, zumindest optisch Frau sein zu können. Wenn schon keine Therapie, dann ein Besuch im Beautysalon.

Niemand weiß genau, wie viele Crossdresser es in Deutschland gibt, zu viele halten ihre Neigung geheim. Es erscheint paradox: In der öffentlichen Wahrnehmung lösen sich starre Geschlechterbilder zunehmend auf, schwule, lesbische, transsexuelle Lebensformen werden sichtbarer. Immer mehr transidente Jugendliche suchen ärztliche Hilfe. Doch für die meisten Kund*innen der „Schwesternzeit“ ist das Crossdressing noch immer mit Scham, Unsicherheit und Angst verbunden. Einige sprechen nicht einmal mit der eigenen Partner*in darüber. Andere fürchten, ihren Job zu verlieren.

Es sind Familienväter und Geschäftsleute, die Ballkleider anziehen, sich schminken und in voller Montur fotografieren lassen, als Erinnerung. Oft schminken sie sich gleich danach ab und streifen wieder den Anzug und ihr altes Leben über. Um den „Schwestern“ den Gang in die Öffentlichkeit etwas zu erleichtern, bietet Karin Robrahn-Faul einen Begleit-Service an. Dann geht sie mit raus, zum Shoppen, Kaffee trinken, fährt mit ihnen an den Elbstrand. „Viele finden es zu Beginn leichter, nicht allein als Frau vor die Tür zu gehen. Das hilft, um Blicke oder blöde Sprüche auszuhalten“, sagt Karin.

Denn unbegründet ist die Angst vor Ablehnung nicht. Auch in Hamburg käme es immer wieder zu Pöbeleien und Übergriffen, besonders abends, auf dem Kiez, erzählt Karin. Wenn junge Männer in Gruppen Schwestern angriffen, müsse erst sie, „die Bio-Frau“ dazwischengehen, um dem Mackergehabe ein Ende zu bereiten. Wie aktuell Homo- und Transphobie auch im Jahr 2018 noch sind, zeigen gerade erst wieder die vielen Berichte unter dem #MeQueer-Hashtag.

Hanna wünscht sich eine Partnerin, eine, die sie als Frau akzeptiert oder selbst eine Transfrau ist. Doch weil viele die Enttarnung so sehr fürchten, sei es schwer, Kontakte zu knüpfen, gerade auf dem Land. Einen Weg aus der Isolation schafft immerhin das Internet: Auf Online-Plattformen wie „En femme“ vernetzen sich Transmänner und -frauen, organisieren Parties, Radtouren, Stammtische. Auf Crossdressing-Salons wie die „Schwesternzeit“ werden viele erst im Netz aufmerksam.

Inzwischen sitzt das Make-up: blaue Smokey Eyes, rosa Lippen. Hanna holt eine Perücke aus einem Regal, lange braune Haare, leicht durchgestuft. Ein letzter Blick in den Spiegel, ein Lächeln legt sich auf ihr Gesicht. „Jetzt sehe ich mich so, wie ich wirklich bin“, sagt sie und greift zur Handtasche. Sie will noch in die Stadt, bummeln gehen in der Sonne, gesehen werden. Kein Verstecken mehr.

Schwesternzeit: Sievekingdamm 42a, Hamburg

schwesternzeit.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen