: Gericht setzt Einsatz von Glyphosat in Brasilien aus
Die lasche Gesetzgebung erlaubt intensive Nutzung von Agrargiften. Doch nun hinterfragt eine Richterin diese Praxis. Die Agrarlobby läuft Sturm dagegen
Von Andreas Behn, Rio de Janeiro
Brasilien ist seit 2008 Weltmeister beim Einsatz von Agrargiften. Ein Fünftel aller Pestizide weltweit werden auf Feldern des südamerikanischen Landes ausgebracht. Jüngst belegte eine Studie die Auswirkungen für die Menschen: Obst und Gemüse sind extrem belastet, vor allem Tomaten und Paprika. Jeden Tag werden laut offiziellen Zahlen acht Menschen durch Pestizide vergiftet. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
Den Missbrauch der Ackergifte ermöglichen äußerst lasche Gesetze. Im Trinkwasser erlauben die Behörden eine 5.000 Mal höhere Belastung als beispielsweise die Europäische Union. Beim Anbau von Soja oder Bohnen dürfen brasilianische Landwirte 200- bis 400-mal so viel Gift auf die Pflanzen sprühen wie ihre EU-Kollegen.
Versuche, den Giftmarkt stärker zu regulieren, werden mit dem Argument abgeblockt, dass Agrargüter das wichtigste Exportprodukt seien. Doch eine überraschende Gerichtsentscheidung könnte jetzt eine Debatte über Giftmissbrauch entfachen – insbesondere über das von der Bayer-Tochter Monsanto produzierte Glyphosat, das auf Millionen Hektar mit gentechnisch verändertem Soja oder -mais angewandt wird.
Eine Bundesrichterin in der Hauptstadt Brasília verfügte Anfang August, dass neue Produkte, die den Unkrautvernichter enthalten, vorerst nicht vermarktet werden dürfen. Bestehende Zulassungen sollen für die Dauer eines Monats ihre Gültigkeit verlieren. Die Weisung gilt auch für das Insektenvernichtungsmittel Abamectin und das Anti-Pilz-Mittel Thiram. Mit diesem Ultimatum will das Gericht die dem Gesundheitsministerium unterstellte Nationale Behörde für Sanitärkontrolle zwingen, die Richtlinien für den Einsatz dieser drei Agrargifte zu überarbeiten.
„Wer solche Urteile innerhalb der Justiz fällt, weiß nicht, wie die industrielle Landwirtschaft in Brasilien funktioniert“, sagt der Lobbyist Luiz Carlos Correa Carvalho, Lobbyist des Brasilianischen Verbands der Agrarindustrie (Abag). Laut Abag ist 96 Prozent des in Brasilien angebauten Soja genetisch manipuliert und ist auf Glyphosat oder noch stärkere Gifte angewiesen. Der Verband kündigte Berufung an, um „Unheil für den Sektor abzuwenden“.
Der hohe Glyphosat-Einsatz wird von Umweltverbänden für das Artensterben und die Entstehung resistenter Unkräuter verantwortlich gemacht. Zudem besteht der Verdacht, dass die Chemikalie Krebs auslöst. In den USA wurde zudem im Juli eine Klage zugelassen, der zufolge Roundup krebserregend sein soll. Monsanto hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Während in Deutschland heftig über Glyphosat gestritten wird, gibt es in Brasilien, aber auch in Nachbarländern wie Paraguay und Argentinien kaum wirksame Kontrollen. Von den 504 Agrargiften, die laut einer Untersuchung der Universität São Paulo in Brasilien eingesetzt werden, sind über 150 in der EU untersagt. „Die Verkaufsschlager bei uns sind just die Mittel, die in Europa teils seit über zehn Jahren verboten sind“, so die Expertin Larissa Mies Bombardi.
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