: Helmut Schmidts Krempel
In Langenhorn lauert der Endgegner für Historiker
Das Wühlen in schmuddeligen Akten, das Entziffern unleserlicher Briefe und das Anfertigen von Inventarlisten: Es ist das selbstgewählte Schicksal jener Historiker, die Dokumente und Artefakte für die Nachwelt sichern. Was sich der Hamburger Geschichtsstudent Hendrik Heetlage vorgenommen hat, scheint jedoch der absolute Endgegner zu sein: Er inventarisiert im Auftrag der Helmut-Schmidt-Stiftung das Wohnhaus des verstorbenen Altkanzlers.
Dort, so wurde schon 2013 kolportiert, sollen sich nicht nur rund 38.000 Mentholzigaretten befunden haben, die Schmidt im Angesicht des drohenden EU-Verbots gebunkert hatte, um wenigstens noch ein paar Monate über die Runden zu kommen.
Was von außen aussieht wie ein ganz normaler Hamburger Nachkriegsbungalow, der dem Altkanzler ob seiner offensichtlichen Bescheidenheit so viel Sympathien eingebracht hat, ist in Wahrheit ein Vorhof der Historikerhölle. 120 Quadratmeter, vollgestopft mit Büchern, Teppichen, Bildern, Nippes und Krempel aller Art, darunter „Stockenten, bunte Eier, verzierte Döschen“ – so berichtet es das Nachrichtenmagazin Spiegel. Auf dem Esstisch: Brandflecken, vermutlich mit Mentholgeschmack.
Die Helmut-Schmidt-Stiftung will, dem letzten Willen Schmidts folgend, das Haus in seinem Originalzustand erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Wie der Krempel, der überall herumliegt, jedoch gesichert werden soll, ist noch unklar. Maximal zehn Personen gleichzeitig könnten künftig das Haus besichtigen – für mehr ist in den kleinen Räumen einfach kein Platz.
Bis es so weit ist, hat Hendrik Heetlage jedoch einiges vor sich: Jedes Taschentuch, jedes Buch und jeden Wandteller versieht er mit Zetteln und einer Nummer, die er in eine Datenbank einträgt. Die Herkunft der Objekte, oft Geschenke von offiziellen BesucherInnen und ausländischen Regierungschefs, soll in einem zweiten Schritt rekonstruiert werden. Für die Forschung ist die Masse an Kram ein Glücksfall: Sowohl die Objekte als auch die ihnen inneliegende Symbolik erlauben Rückschlüsse auf persönliche Beziehungen Schmidts zu seinen BesucherInnen. Und tragen vielleicht dazu bei, den Mentholnebel , der sein Image umhüllt, ein wenig zu lichten.
Karolina Meyer-Schilf
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