„The Endless“ und „Meg“ im Kino: Tauchen im Keller des Bewusstseins

Horrorfilme haben seit einiger Zeit wieder Konjunktur. Und das, obwohl die Gegenwart eigentlich unheimlich genug ist. Oder gerade deswegen?

Zwei Männer laufen bei Dämmerung auf einen Felsen zu, der einem Totenkopf ähnelt

Begegnung mit dem Unheimlichen: Aaron Moorhead und Justin Benson in „The Endless“ Foto: Drop-Out Cinema

In dieser Frage scheiden sich die Geister. Ein bisschen ist es wie mit Lakritze: Was dem einen Teil der Menschheit eine besondere Art von Vergnügen bereitet, ruft bei dem anderen Teil Ekel und Abscheu hervor. Ein Drittes gibt es praktisch nicht. Genauso verhält es sich mit Horrorfilmen. Entweder man lehnt diese Beiträge zur Popkultur als widerlichen Quatsch ab, oder man findet an ihnen eine sehr spezielle Freude, zu Deutsch Angstlust.

Unbestritten gehören Horrorfilme seit einiger Zeit zum Mainstream des Kinos. Sie haben auch längst ihre akademische Adelung aus verschiedenen Disziplinen erhalten. Unter anderem haben psychoanalytisch interessierte Kulturwissenschaftler darin ebenso viele Bilder für verdrängte Ängste wie drastische Kommentare zu gesellschaftlichen Entwicklungen gefunden.

Das allgemeine Image von Horror bleibt dennoch das einer erklärungs- und legitimationsbedürftigen Unterhaltungsform. Selbst wenn sich inzwischen einiges verschoben hat, besonders in Deutschland. So wurden einst viele der explizit blutigen Filme hierzulande indiziert. Sam Raimis Klassiker „Tanz der Teufel“ von 1981 bekam erst im vergangenen Jahr eine deutsche Altersfreigabe ab 16 Jahren, nachdem er jahrzehntelang in seiner ungeschnittenen Fassung verboten war.

Inzwischen gilt Blut auf der Leinwand anscheinend als weniger anstößig. Ob die generelle Zunahme drastischer Gewaltdarstellung im Film, so auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, im „Tatort“ etwa, eine wünschenswerte Entwicklung ist, sei dahingestellt.

Erziehung zur Angst

Wie man sich überhaupt wundern kann, wie stark Ängste und Gewaltthemen sogar in Animationsfilmen für Kinder ohne Altersbeschränkung zunehmen, sehr zum Missfallen vieler Eltern. Selbst vermeintlich harmlose Kinderfilmklassiker wie der erste Teil von „Paddington“ machen da keine Ausnahme. Fast könnte man dahinter eine Erziehung zur Angst vermuten. Oder das Wegfallen der Vorstellung, man müsse Kindern im Kino eine heile Welt simulieren.

Zwei aktuelle US-amerikanische Filme können als Beispiel für die derzeitige Konjunktur des Kinos des Schreckens gelten, „The Endless“ von Justin Benson und Aaron Moorhead sowie „Meg“ von Jon Turteltaub. Beide Filme haben, nebenbei bemerkt, eine Altersfreigabe ab 12 Jahren, was bei „Meg“ etwas überrascht, aber davon später mehr. Mit in diesem Jahr gestarteten Filmen wie „A Quiet Place“ über eine Familie auf dem Land, die sich vor Aliens mit hypersensiblem Gehör schützen muss, und dem Überraschungserfolg „Hereditary“ über eine schwersttraumatisierte Familie gehören sie zu einer ganzen Reihe jüngerer Horrorfilme aus den USA.

„The Endless“ passt zur US-amerikanischen Angst vor dem Unbekannten

„The Endless“ ist im Vergleich mit der effektstrotzenden Hollywood-Großproduktion „Meg“ ein eher untypischer Vertreter des Genres. In Ankündigungen als Science-Fiction-Horrorfilm klassifiziert, kommt „The Endless“ mit einem Kleinstbudget aus und arbeitet kaum mit visuellen Schockeffekten oder Kunstblut. Dafür wird die Angst vor dem Fremden mit so minimalistischen wie effektiven optischen wie akustischen Mitteln inszeniert.

Zwei Brüder, Justin und Aaron, machen sich in „The Endless“ auf den Wege zum Camp Arcadia, einem auf dem Land angesiedelten „Ufo-Todeskult“. Als Kinder waren sie dort als Waisen aufgewachsen, sind allerdings vor zehn Jahren geflohen. Nachdem sie ein mysteriöses Video erhalten, in dem eines der Mitglieder ihnen eine beunruhigende Botschaft hinterlässt, wollen sie herausfinden, ob die Sekte womöglich Selbstmord begangen hat. Wie die Brüder entdecken, erfreut sich die Belegschaft des Camp Arcadia aber bester Gesundheit.

Trump-Horror

Im ersten Teil des Films überwiegen zunächst die Dynamiken innerhalb der Sekte und der Konflikt der Brüder in der Frage, wie sie sich ihrer früheren „Adoptivfamilie“ gegenüber verhalten sollen. Lediglich kleine Irritationen sorgen für Verwirrung: Obwohl die Belegschaft überwiegend älter ist als die Brüder, scheinen sie mehr oder minder gleichaltrig. Und einige von ihnen verhalten sich merkwürdig.

Mehr und mehr geschehen Dinge, die sich nicht erklären lassen: Nachts erscheint der Mond verdoppelt, tagsüber fallen vom Himmel schon mal aus dem Nichts Fotos, die wie Schnappschüsse des unmittelbaren Geschehens auf der Erde wirken. Von der Gruppen-Psychodynamik gleitet der Film ins Fantastische hinüber. Das eigentlich Unheimliche bleibt dabei stets unsichtbar und auf Abstand. Vielmehr werden mit sehr einfachen filmischen Strategien die Gesetze der Natur und der Logik außer Kraft gesetzt, um Platz für das Unbekannte zu bieten.

Die absurde Geschichte von „The Endless“ passt zu einer ganz konkreten US-amerikanischen Angst vor dem Unbekannten: dem unberechenbaren, in dieser Form bisher nicht Dagewesenen Regierungsstil von Präsident Donald Trump. Zudem ist der Film, wenn man so möchte, ein indirekter Versuch, dem von der Trump-Regierung lancierten Wort der „alternativen Fakten“ einen nicht demagogischen Sinn zu verleihen. Merke aber: Alternative Fakten zu schaffen liegt nicht in der Hand der Menschen.

„Meg“ hingegen bedient konventionellere der bewährten Ideen dessen, worum es in Horrorfilmen geht. Die Handlung führt tief hinab an den Meeresgrund des Marianengrabens – und noch weiter, denn Tiefseeforscher haben eine Stelle entdeckt, an der der vermeintliche Boden sich als undurchsichtiges Gas-Wasser-Gemisch erweist, unter dem sich eine verborgene Unterwasserwelt offenbart, mit abgeschiedenen Lebensformen und selbstverständlich unbekannten Gefahren. Freuds Unbewusstes in seiner populären Version des Kellers des Bewusstseins lässt grüßen.

Nervenkitzel und alberne Lacher

Als ein dem Hollywood-Betriebsverständnis gemäßer Versuch, ältere Erfolgsmodelle noch einmal kräftig zu überbieten, versucht sich „Meg“ in diesem Sinn an Steven Spielbergs „Der weiße Hai“, mit einem Megalodon, sprich Riesenhai, als Ungetüm. Ein lebendes Fossil, das, obwohl vor mehr als zwei Millionen Jahren ausgestorben, auf wunderbare Weise in der Unterwasserenklave überlebt hat und im Zuge seiner Entdeckung unseligerweise in die Weltmeere entlassen wird.

Das Forscherteam, unterstützt durch den Tiefseetaucher Jonas Taylor (mit ausgeruhtem Muskeltonus: Jason Statham), wird von Jon Turteltaub in eine gut geölte, wenngleich routinierte Mechanik aus spannungsreichen Attacken und humordurchsetzten Rückzugspausen eingepasst. Das geht nicht ganz unblutig vonstatten, wobei die reinen Kieferausmaße des Urviechs allzu unappetitliche Darstellungen weitgehend obsolet machen. Für Zwölfjährige trotzdem nicht ernsthaft zu empfehlen.

„The Endless“. Regie: Justin Benson, Aaron Moorhead. Mit Justin Benson, Aaron Moorhead u. a. USA 2017, 111 Min.

„Meg“. Regie: Jon Turteltaub. Mit Jason Statham, Li Bingbing u. a. USA 2017, 113 Min.

Man kann in so einem Hai nun allerhand Symbolik erkennen wollen – einen Immobilienhai womöglich? –, doch beschränkt sich das Grauen bei „Meg“ vorwiegend auf etwaige gefühlte Bedrohungen durch eine unbesiegbar wirkende Übermacht, die ohne Vorwarnung zuschlägt. Das lässt dann reichlich Interpretationsspielraum. Für einen soliden Nervenkitzel ist „Meg“ aber allemal gut. Und für ein paar alberne Lacher obendrein. Es muss ja alles versöhnlich bleiben.

Das gute Ende gönnt „The Endless“ seinem Publikum übrigens nicht, selbst wenn der Film am Schluss die allerletzte Eindeutigkeit vermeidet. Wie es auch für die Wirklichkeit keine Entwarnung geben kann. Grundsätzlich nicht.

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