: Gericht bremst schöne neue Gentechnik
Europäischer Gerichtshof: Auch Mutationszüchtungen per Genschere Crispr/Cas brauchen Verträglichkeitsprüfung und Kennzeichnung. Keine Ausnahme vom Vorsorgeprinzip
Von Christian Rath
Auch für neue gentechnische Verfahren der Pflanzenzüchtung gelten die strengen Regeln des EU-Gentechnikrechts. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem mit Spannung erwarteten Grundsatzurteil. Es geht dabei vor allem um den Einsatz der sogenannten Genschere Crispr/Cas.
In der Freisetzungsrichtlinie der EU von 2001 ist geregelt, dass „genetisch veränderte Organismen“ (GVO) eine spezielle Zulassung auf Basis einer Umweltverträglichkeitsprüfung benötigen. Zugelassene GVO-Pflanzen müssen im Handel entsprechend gekennzeichnet und in jeder Phase ihrer Vermarktung „rückverfolgbar“ sein. Eine Ausnahme gibt es für Pflanzen, die durch „Mutagenese“ entstanden sind. Dabei wird das Erbgut verändert, ohne Fremd-DNA einzufügen. Mutagenese wird in der Pflanzenzüchtung schon lange eingesetzt, durch Zufallsmutationen, aber auch durch den Einsatz von Chemie und Radioaktivität. Neu ist nun die gezielte Mutagenese mit gentechnischen Methoden. Am bekanntesten ist die Crispr/Cas-Methode, die auch als „Genschere“ bezeichnet wird.
Die Gentechnikindustrie hatte gehofft, dass ihre neuen Methoden unter die Mutagenese-Ausnahme fallen. Sie wollte vermeiden, dass die Pflanzen im Laden als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden müssen, was sie zumindest in Deutschland schwer verkäuflich macht. Kritiker warnten dagegen vor der Einführung von „Gentechnik durch die Hintertür“.
Der EuGH hat jetzt entschieden, dass auch mit den neuen Methoden „gentechnisch veränderte Organismen“ entstehen. Vor allem aber entschied der EuGH, dass die Mutagenese-Ausnahme für die neuen Methoden nicht gilt. Die Ausnahme sei eng auszulegen, so der EuGH, und gelte nur für „herkömmliche“ Mutagenese, die laut EU-Gesetzgeber „seit Langem als sicher“ gilt.
Die Risiken der gezielten Mutagenese durch Gentechnik könnten „bislang noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden“. Die Risiken seien durchaus vergleichbar mit Methoden der Transgenese (also der Einbringung fremder DNA in das Erbgut). Wenn genetisch veränderte Organismen in die Umwelt gelangen, sei dies „unumkehrbar“, so der EuGH. Die Organismen könnten sich dort fortpflanzen und ausbreiten. Im Vergleich zur konventionellen Züchtung könnten mit den neuen Gentechmethoden neue genetisch veränderte Sorten „in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß“ entstehen.
Der EuGH stützt seine Auslegung auch auf den im EU-Recht geltenden Vorsorgegrundsatz. Um schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Natur zu vermeiden, müssten auch die neuen Gentechpflanzen einer „Verträglichkeitsprüfung“ unterworfen werden.
Der Ausgangsfall für das EuGH-Urteil kam aus Frankreich. Dort kämpfte der links-alternative Bauernverband Confédération Paysanne gegen die Mutagenese-Ausnahme im französischen Umweltgesetzbuch. In Deutschland hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bereits 2015 eine mit gezielter Mutagenese gezüchtete Rapssorte des US-Unternehmens Cibus vom Gentechnikrecht ausgenommen. Dagegen klagen Gentechgegner. Den Prozess werden die Kritiker nun wohl gewinnen. Az.: C-528/16
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