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Den Frauen ihre Leben zurückgeben

Von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung betroffene Frauen bedürfen intensiver Unterstützung, um Fuß zu fassen. Kobra e. V. nimmt sich ihrer an, damit aus Opfern selbstbestimmte Frauen werden

Von Ann-Kathrin Liedtke und Anja Weber (Foto)

Ich will Automechanikerin werden.“ „Ich will Kosmetikerin werden.“ „Ich will Abitur machen.“ Dona*, Blessing* und Tina* sind Mitte zwanzig bis Mitte vierzig, aus der Ukraine, Nigeria und der Slowakei. Ihre Wünsche an die Zukunft sind so unterschiedlich wie ihre Biografien. Dennoch haben alle Frauen etwas gemeinsam: sie waren von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffen.

Dona, Blessing und Tina sind nur drei von sehr vielen Frauen, denen der gemeinnützige Verein Kora e. V. aus Hannover bereits geholfen hat, eine neue Zukunft, ein neues Leben aufzubauen. Seit mehr als 20 Jahren bereits hilft das Team von rund sechs Mitarbeiterinnen Frauen, denen eines der schlimmsten Verbrechen unserer modernen Gesellschaft angetan wurde.

„Menschenhandel ist eine schwere Menschenrechtsverletzung“, sagt Özlem Dünder-Özdogan. Die Volljuristin ist Koordinatorin des Vereins. Zusammen mit dem restlichen Team von Kobra will sie nicht nur eine wichtige Beratungsstelle für Betroffene sein, sondern Menschenhandel auf allen Ebenen bekämpfen und die Rechte der betroffenen Frauen stärken. Dünder-Özdogan unterstützt bei rechtlichen Fragen, stellt Kontakt zu AnwältInnen her und leistet vor allem Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit, um niedersachsen- und deutschlandweit für das Thema zu sensibilisieren und auf den Verein aufmerksam zu machen – denn nur so können Betroffene von Kobra erfahren.

Die Frauen werden manchmal von Gesundheitsämtern, Frauen- und Krankenhäusern, öfter aber direkt von den Polizeidirektionen an den Verein und dessen kostenlose Beratung verwiesen. „Ich bin schon durch ganz Niedersachsen gefahren, um die Frauen persönlich von den Polizeistationen abzuholen“, erzählt Sozialarbeiterin Rita Otte. Oft kämen die Frauen zwar zu der Beratungsstelle in Hannover, einige Frauen schafften es jedoch nicht, alleine die weite Strecke nach Hannover zurückzulegen. Dann fahren die Sozialarbeiterinnen eben nach Aurich, Cuxhaven oder Bad Pyr­mont.

Viele Frauen seien anfangs schwer traumatisiert. Über ihre Erlebnisse sprechen können sie oft kaum. „Aber das Vertrauensverhältnis baut sich meist sehr schnell auf“, sagt Otte. Auch, weil sie der Schweigepflicht unterliegen. „Sie brauchen also keine Angst zu haben.“ Die Beraterinnen sprechen neben Deutsch und Englisch auch Bulgarisch, Polnisch, Spanisch, Französisch und Russisch. Die Betroffenen in ihrer Muttersprache ansprechen zu können wirke oft Wunder, berichtet die Sozialarbeiterin.

Rita Otte, kurze graue Haare, wacher Blick, arbeitet schon viele Jahre bei Kobra. Sie betreut die Frauen von Anfang an: über das erste Gespräch hin zu Wohnungssuche, Behördengängen, Strafanzeigen stellen und Jobsuche. Gedrängt werden die Frauen jedoch zu nichts.

„Wir wollen nicht auf Biegen und Brechen die Frauen dazu bringen, in Prozessen ­gegen die Straftäter auszusagen“, erklärt Özlem Dünder-Özdogan. „Uns geht es in erster Linie um die Rechte und das Wohlergehen der Frauen.“ Natürlich helfe eine Anzeige bei der Aufklärung der Fälle. Doch viele Frauen möchten, so schnell es geht, wieder nach Hause zu ihren Familien – und ein Strafprozess kann sich über Monate oder gar über Jahre hinziehen. Dass die Betroffenen zurückwollen, käme durchaus häufig vor, erzählt Otte. Auch dann hilft der Verein: bei den letzten Abwicklungen in Deutschland, der Organisation und Finanzierung der Rückreise.

Kobra e. V.

Das Ziel des gemeinnützigen Vereins ist es die rechtliche und tatsächliche Situation von Betroffenen nachhaltig zu verbessern und Maßnahmen gegen Menschenhandel auf Landes- und kommunaler Ebene zu verankern.

Sie helfen bei geschützter Unterbringung, Behördengängen, Ermittlungs-, Straf- und Asylverfahren, Rückkehrwunsch und der Erschließung neuer Perspektiven. Die Unterstützung ist freiwillig, unabhängig und kostenlos.

Alle Infos finden Sie unterwww.kobra-hannover.de

Die Frauen kommen aus ganz Europa, aus Afrika und Amerika, um in Deutschland Geld für die zurückgebliebene Familie zu verdienen oder auch, um ökonomisch unabhängig von ihr zu sein. Schnell fielen sie jedoch auf dubiose Annoncen oder Angebote herein. Die meisten betroffenen Frauen, die bei Kobra beraten werden, sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. „In Zukunft wollen wir uns auch Ausbeutungsformen wie des Ausnutzens von Betteltätigkeiten mit Kindern und Jugendlichen annehmen“, erzählt Dünder-Özdogan. „Doch erst mal muss unser Verein noch wachsen.“ Fast alle Mitarbeiterinnen arbeiten aktuell in Teilzeit.

Kobra begleitet die Frauen manchmal nur über wenige Tage, mit anderen besteht auch nach zwölf Jahren noch Kontakt. Pro Jahr kommen etwa 60 bis 70 neue Fälle hinzu. Dazu kommen die Frauen, die schon länger von Kobra betreut werden, deren Strafprozesse noch laufen, deren Asylanträge noch nicht angenommen wurden oder die Hilfe bei der Jobsuche brauchen.

Für Frauen, die dauerhaft in Deutschland bleiben möchten und Asyl beantragen wollen, beginnt ein langer Verfahrensgang. Mit Unterstützung des Vereins bauen sie sich ein neues Leben auf. „Es ist unglaublich toll zu sehen, wie die Frauen aus ihrer Opferrolle wachsen“, berichtet Otte. Zu sehen, dass sie irgendwann ganz selbstständig ihr Leben führen, sei das, wofür sie alle arbeiteten. Eine der Frauen, die Otte erfolgreich betreute, ist Victoria*. Sie kommt bereits seit 2006 zu Otte. „Sie haben mir hier sehr geholfen“, erzählt sie. Victoria spricht sehr leise und zurückhaltend, die Augen sind meist auf ihre im Schoß liegenden Hände gerichtet. Was ihr passiert ist, erzählt sie nicht. Heute geht es um die Zukunft der Frau. Ihre Vergangenheit soll nicht ihre Persönlichkeit ausmachen, sie zum Opfer machen. Die jahrelange Beziehung hat ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Otte und Victoria geschaffen. Wenn Victoria mit der Sozialarbeiterin redet, taut sie auf.

Einen Erfolg konnte die junge Frau auch ohne die Hilfe von Kobra verbuchen: Sie besitzt einen deutschen Pass. „Den hat sie sich vollkommen allein besorgt“, erzählt Otte stolz. „Ich habe einfach irgendwann eine Einladung zur Verleihung bekommen.“ Es sei toll zu sehen, wie viele Ressourcen sie nach alldem aufbringen konnte. „Das ist das, wofür man arbeitet.“

Otte begleitete Victoria bei Behördengängen, Bewerbungen, beim Gerichtsprozess, der nun endlich abgeschlossen ist. Heute hat die junge Frau eine eigene Wohnung, in der sie mit ihren Kindern lebt, und einen Job als Putzfrau. Eigentlich, könnte man denken, sei die Arbeit für Kobra nun getan. Doch Otte weiß, dass Victoria noch nicht ganz am Ziel angekommen ist. Auf die Frage, ob sie glücklich in ihrem Job sei, antwortet sie ein leises „Ja“. „Das stimmt doch gar nicht“, greift Otte ein. „Eigentlich willst du doch etwas ganz anderes werden.“ „Krankenschwester“, antwortet sie lächelnd. Doch ohne entsprechende Schulbildung wird es schwer auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

„Ich kenne eine Anwältin dafür!“ Dünder-Özdogan schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. „Versuchen kann man es doch!“ Die Anwältin habe speziell in diesem Bereich Kontakte und könne bei der Jobvermittlung vielleicht helfen. Die Energie der Frau mit den dunklen Locken ist ansteckend. Stillstand möchte sie nicht. Mit Herzblut kämpft sie dafür, dass Menschenhandel schon früh erkannt und verhindert werden kann.

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So will sie auch bei den Gesundheitsämtern für Fortbildungen und Sensibilisierung sorgen, die bisher selten Fälle melden, bei denen sie Zwangsprostitution vermuten. Durch das neue Prostituiertenschutzgesetz müssen sich alle, die in diesem Bereich arbeiten möchten, beim Gesundheitsamt anmelden. Eine Chance, um auffällige Fälle direkt zu melden. Die MitarbeiterInnen vor Ort seien jedoch selten geschult, um auf Faktoren zu achten, die auf Menschenhandel deuten könnten.

Welch positive Resultate die Arbeit des Kobra e. V. zudem mit sich bringt, zeigte ein Musikprojekt des Vereins: Ein Gesangsabend sollte die Gemeinschaft der betroffenen Frauen stärken. Alle Frauen sangen und musizierten gemeinsam, brachten sich gegenseitig Heimatlieder bei. „Die sind total aufgeblüht“, erzählt Otte. „Frauen, die sonst kaum sprachen, haben plötzlich laut mitgesungen – und mit was für einer Stimme!“ Der Wunsch, den eigens dafür gegründeten Chor weiterzuführen, konnte erfüllt werden, für das nächste Jahr erhält das Musikprojekt eine neue Förderung.

An diesem Abend wollten aber vor allem die betreuten Frauen ihren Beraterinnen etwas zurückgeben und bedankten sich. „Das war unheimlich rührend“, sagt Dünder-Özdogan. Und es gibt Kraft, um Kobra in Zukunft breiter aufzustellen.

*Zu ihrem Schutz wurden die Namen der Frauen geändert.

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