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Ein großes Finale und was davon bleibt

Frankreich ist Fußballweltmeister, der Videobeweis spielte eine Hauptrolle. Die Punkband Pussy Riot ist wieder da, und Russlands Präsident Wladimir Putin lässt alle anderen im Regen stehen

Aus Moskau Andreas Rüttenauer

Was bleibt? Das WM-Finale ist gespielt, Frankreich ist Weltmeister. Den Spielern, die das geschafft haben, ist ewiger Fußballruhm gewiss. Der bleibt ihnen auf jeden Fall. Und sonst? Wird die Art, wie Frankreich gewonnen hat, den Fußball der nächsten Jahre prägen? Wird immer verloren sein, wer so aufspielt wie die Kroaten bei ihrer 2:4-Niederlage im Endspiel? Das sind die großen Fragen, die das Spiel betreffen. Aber ist die WM überhaupt durch das Spiel entschieden worden? Die videogestützte Schiedsrichterei, auch sie wird uns als Thema erhalten bleiben.

Und weil es den Aktivistinnen von Pussy Riot nach Olympia 2014 durch ihren Platzsturm wieder gelungen ist, ein Sportereignis zu entern, Politik zu machen, mitten im Spiel die Freilassung politischer Gefangener zu fordern, sich für Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht einzusetzen, wird sich jeder, der sich auch in hundert Jahren dieses Finale ansieht, fragen, was das nur für ein Land war, in dem dieses Turnier stattgefunden hat. Die WM 2018 hatte ein Finale, wie es würdiger nicht hätte sein können.

Natürlich wurde schon mit Schlusspfiff diskutiert, wie die Franzosen es schaffen konnten, eine Mannschaft aus Spielern so unterschiedlicher Herkunft zu zimmern. Auch so ein Thema dieser Weltmeisterschaft, das im Endspiel noch einmal zu Gemüte ging. Es war eine ganze Weltmeisterschaft kondensiert auf ein Spiel. Der Fußball mit all seinen Nebenerscheinungen in 90 Minuten – plus Party. Doch es wird einiges bleiben von diesem Moskauer Abend, der bei schwüler Hitze begann und im Platzregen endete. Auch das Wetter war extrem im Finale dieser extremen WM.

„Das ist Fußball.“ Der Satz wird gerne bemüht, wenn jemand eine Erklärung für etwas liefern soll, für das es keine Erklärung gibt. Nach dem für ihn so bitteren Finale war es Kroa­tiens Trainer Zlatko Dalic, der ihn bemüht hat. Es ging um die vielleicht merkwürdigste Halbzeit dieser WM. Eine Mannschaft spielt Fußball, die andere geht mit einer Führung in die Pause. So etwas gibt es regelmäßig. Das ist Fußball, da hat Dalic schon recht. Aber dies war die erste WM, in der es eine geänderte Schiedsrichterentscheidung war, die zum Pausenstand von 2:1 geführt hat. Der Videobeweis hat eine Hauptrolle im WM-Endspiel übernommen.

Über das Handspiel von Ivan Perisic im Strafraum hätte die Fußballwelt auch gestritten, wenn es keinen Videobeweis gäbe. Es wäre auch darüber diskutiert worden, ob die Entscheidung von Schiedsrichter Nestor Pitana richtig war, wenn er auf Abstoß entschieden hätte. Am Ende hat es über 4 Minuten gedauert, bis Pitana nach dem Studium von etlichen Zeitlupen auf Elfmeter für Frankreich entschieden hat. Eine vertretbare Entscheidung, gewiss. Aber vertretbar wäre es auch gewesen, den Elfer nicht zu geben.

„Einen solchen Elfmeter gibt man nicht in einem WM-Finale“, meinte Dalic. Das ist nicht der Satz, der bleiben wird. Die Frage, ob es wirklich nötig ist, ein Spiel vier Minuten lang zu unterbrechen, um zu einer Entscheidung zu gelangen, die auch anders hätte ausfallen können, die wird bleiben. Am Sonntag war es dann so, dass Frankreich mit einer 2:1-Führung in die Pause ging, und weil es ein Kroate war, der das erste Tor für Frankreich besorgt hatte, standen zwei Treffer auf ihrer Habenseite, obwohl sie nur einmal – beim Hand­elfmeter – aufs Tor geschossen hatten. Aber so ist er eben, der Fußball. Und der Videobeweis ist eben auch so. Man weiß nicht, ob gerecht ist, was hinten rauskommt.

Weil die Kroaten nicht schon wieder, wie sie es in den drei K.o.-Spielen zuvor und nach dem 0:1 im Finale getan hatten, die Kraft aufbringen konnten, zurückzuschlagen, wurden die Franzosen Weltmeister. Sie haben es wie in vielen Spielen bei dieser WM gemacht. Sie haben den Gegner kommen lassen, sich zurückgezogen, um auf die Momente zu warten, um zu kontern, wenn es sich ergibt.

Weil die Kroaten den Ball haben durften, konnte noch einmal bewundert werden, welch großartiger Spieler Luka Modric ist. Er ist der kompletteste Fußballer, den die Welt derzeit hat. Seine Pässe sind so gut wie sein Gegenpressing, seine Übersicht ist so gigantisch wie sein Laufvermögen, seine Ballsicherheit so sehenswert wie sein Tackling. Die Trophäe für den besten Spieler des Turniers, die er bei der Siegerehrung bekam, wird ihn nicht über die Finalniederlage hinwegtrösten. Er hat das Spiel gemacht und doch verloren.

Auch das ein Thema, das bleiben wird. Das Spielmachen scheint sich nicht mehr zu lohnen. Frankreichs Weltmeistertrainer Didier Deschamps hat das vor der WM erkannt und sein Team im Reaktionsfußball unterwiesen. Dem Weltmeistertrainer wird zugehört, wenn er erklärt, warum der Ballbesitzfußball nicht mehr funktioniert. Er hat festgestellt, dass viele Mannschaften mit wohl organisierter Verteidigung zum Turnier angereist sind. Die Defensive ließe sich ja auch relativ einfach trainieren, so Deschamps. Das war immer schon so.

Was sich geändert habe, sei die Athletik. Früher konnten Mannschaften, die den Ball zirkulieren ließen, darauf setzen, dass ihre Gegner es irgendwann einfach nicht mehr schaffen würden, dem Ball hinterherzulaufen. Das ist vorbei. Fußball ist noch athletischer geworden. Der Trainer, der diese Erkenntnis am effektivsten in eine eigene Spielphilosophie übersetzt hat, ist jetzt Weltmeister. Man darf das verdient nennen.

Deschamps hat aber auch das Glück, dass er Spieler in seinem Team hat, die wie geschaffen scheinen für seine Art der Herangehensweise ans Spiel. Kylian Mbappé, das neue Phänomen im Weltfußball, wird noch so manchen Verteidiger überlaufen. Wie er Schnelligkeit mit Ballgefühl und Schusssicherheit zu paaren weiß, ist einmalig. Mit 19 ist er jetzt Weltmeister geworden. „Ich stehe erst am Anfang“, sagte er nach dem Spiel. Auch er wird dem Fußball noch lange treu bleiben.

Mit 27 ist auch Antoine Griezmann noch nicht der Ältesten einer. Auch er ist ein Phänomen. Effektiver als er kann man kaum spielen. Natürlich hat er den Elfmeter in ein 2:1 verwandelt, und natürlich hat er wieder mal zwei Tore vorbereitet. Aber weil der beste Franzose an diesem Tag der unfassbar konzentrierte Sechser Paul Pogba war, der das vorentscheidende 3:1 dann auch höchstselbst besorgte, kann man Didier ­Deschamps nur zustimmen, wenn er sagt: „Wir haben als Team gewonnen.“ Das ist geblieben seit 2014. Auch die Deutschen hatten damals als Gegenmodell zum Starfußball den Titel gewonnen.

Am Tag des Triumphs ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob der Fußball schön ist, den Frankreich bei diesem Turnier aufs Feld gebracht hat. Was feststeht: Besser war keiner in diesem Jahr. Und besser jubeln hätte auch keiner können als die Franzosen. Die tanzten in den Pressekonferenzraum, als Trainer Deschamps gerade anfangen wollte, klug daherzureden. „Das sind junge Leute, die wollen feiern“, sagte er, nachdem ihn seine Spieler aus ihren Trinkflaschen nass gespritzt hatten.

Sie hätten sicher gerne auch mehr auf dem Platz gefeiert. Doch nach den ersten Ehrenrunden kamen die Zeremonienmeister der Fifa und postierten die Franzosen neben der Bühne für die Siegerehrung. Dann hieß es warten, warten, warten. So wie jeder warten muss, der einen Termin mit Russlands Staatspräsident Wladimir Putin hat, hatten auch sie sich den ungeschriebenen Spielregeln des Präsidenten unterzuordnen. Als der sich endlich bequemte, zur Siegerehrung den Platz zu betreten, war das Spiel schon länger als eine Dreiviertelstunde vorbei.

So macht das einer, der immer zeigen will, wer der Herr im Haus ist. Dass er bei der Zeremonie im Platzregen dann auch noch der Einzige war, der unter einem Schirm stand, während die Staatschefs aus Frankreich und Kroatien bald pitschnass waren, passte zu diesem unwürdigen Auftritt. Ganz zum Schluss hat die WM noch einmal ihre hässliche Fratze gezeigt. Auch dieses Bild wird bleiben.

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