Das Spiel der Mächtigen

Beim heutigen Gipfeltreffen in Helsinki könnte US-Präsident Donald Trump die Auslieferung von zwölf Agenten von Wladimir Putin verlangen, denen russische Einmischung in den US-Wahlkampf vorgeworfen wird.
Doch was wird Trump tun? Die demokratische Opposition in den USA verlangt, dass er den Gipfel absagt

Donald Trump verbessert sein Handicap Foto: Andrew Milligan/PA/ap

Aus New York Dorothea Hahn

Donald Trump könnte jetzt aufatmen. Denn nachdem der US-Präsident bislang weder präzise Themen noch Ziele für sein Gipfeltreffen mit Wladimir Putin genannt hat, wäre es seit Freitag möglich, in Helsinki eines seiner Hauptanliegen in den Vordergrund zu stellen: die Verteidigung der nationalen Sicherheit. Die nötigen Argumente dazu hat ihm US-Vizejustizminister Rod Rosenstein geliefert, als er in Washington die Anklage gegen Agenten des russischen militärischen Geheimdienstes GRU vorstellte.

Es ist die erste Anklage aus dem Büro von Sonderermittler Robert Mueller, die sich direkt gegen die russische Spitze richtet, und sie nennt zwölf Russen namentlich, denen sie Datendiebstahl, Geldwäsche und Verschwörung vorwirft – alles mit dem Ziel, den US-Präsidentschaftswahlkampf zu stören und für Chaos zu sorgen. Vor allem sollen sie 2015 und 2016 bei der Demokratischen Partei und bei Hillary Clinton gewildert haben. Doch auch die Daten von einer halben Million WählerInnen aus dem Wahlbüro des Bundesstaates Illinois sollen sie gestohlen haben.

Bei dem Treffen in Helsinki könnte der US-Präsident die Auslieferung der Agenten von dem russischen Präsidenten verlangen, um sie vor ein US-Gericht zu stellen; er könnte auch darauf bestehen, dass die politisch motivierte Cyberspionage, die nach Ansicht sämtlicher US-Geheimdienste auch in dem gegenwärtig laufenden Wahlkampf für die Midterms (Zwischenwahlen) stattfindet, aufhört. Die demokratische Opposition in den USA verlangt sogar, dass er den Gipfel komplett absagt. Und zumindest ein republikanischer Senator argumentiert ebenfalls in diesem Sinne. Falls Trump den russischen Präsidenten nicht zur Rechenschaft ziehen will, so John McCain, solle er den Gipfel platzen lassen.

Doch Trump will nichts von alledem wissen. Bei seinem Vieraugengespräch mit Putin will er lediglich danach „fragen“, ob sich Russland in den US-Wahlkampf eingemischt habe. Und selbst das stellt er dar, als wäre es eine alberne Frage. Vor JournalistInnen fügte er witzelnd hinzu, dass er kein Geständnis von Putin erwarte.

Am Tag nach Rosensteins Pressekonferenz legte Trump von seinem Golfplatz in Schottland aus mit einer Verschwörungstheorie nach. In einem Tweet machte er Barack Obama für etwaige russische Einmischungen verantwortlich und versuchte, die Anklageschrift der US-Justiz mit den Worten „Deep State“ und einem Fragezeichen zu diskreditieren. Ein Kampfbegriff, der suggeriert, dass geheime Seilschaften von GeheimdienstlerInnen und anderen angeblichen Obama-AnhängerInnen gegen seine Präsidentschaft kon­spirieren.

Das Treffen

Am Montag kommen US-Präsident Donald Trump und der russische Staatschef Wladimir Putin zu ihrem ersten Gipfel zusammen. Vorhersagen über den Ausgang des Treffens sind quasi unmöglich. Mögliche Gesprächsthemen neben dem ­Ukrainekonflikt und dem syrischen Bürgerkrieg sind:

Wettrüsten

Sowohl Trump als auch Putin haben sich in kriegerischer Rhetorik über ihr jeweiliges Atomwaffenarsenal geäußert. Fortschritte im Ringen um eine Verlängerung des neuen START-Abrüstungsvertrags von 2010, der 2021 ausläuft, wären ein Erfolg.

Sanktionen

Putin bemüht sich um eine Lockerung der US-Sanktionen. Mit einem Gesetz stellte der Kongress 2017 jedoch sicher, dass Trump die meisten Strafmaßnahmen nur mit Zustimmung der Parlamentarier lockern kann. (dpa)

Eine Verteidigung der US-Demokratie gegen mutmaßliche ausländische Einmischungen sucht man auch im Kommunique des Weißen Hauses, das am Freitag wenige Minuten nach den Anklagen kam, vergeblich. Es zeigt vor allem Erleichterung, weil die neuen Anklagen sich nicht gegen US-Staatsangehörige richten und weil sie nicht sagen, dass die russische Verschwörung das Wahlergebnis in den USA verändert habe. Trumps Vertrauter Rudolph Giuliani reagierte auf die Anklagen mit der Aufforderung an Mueller, seine Ermittlungen einzustellen, weil er nur Russen gefunden habe. Und mehrere republikanische Hinterbänkler planen ein Amtsenhebungsverfahren gegen Vizejustizminister Rosenstein, statt gegen die Cyberhacker vorzugehen.

Rosenstein hat Mueller im Mai 2017 als Sonderermittler engagiert und funktioniert als dessen Vorgesetzter, weil Justizminister Jeff Sessions sich in den Russlandermittlungen für befangen erklärt hat. Sessions tat das, als bekannt geworden war, dass er den Kongress über seine Kontakte zu dem damaligen russischen Botschafter Sergei Kisljak belogen hatte.

Trump hat die Arbeit von Sonderermittler Mueller von Anfang sabotiert und als „Hexenjagd“ und parteipolitisches Manöver bezeichnet. Die russische Einmischung bezeichnete er als „Falschmeldung“ und mutmaßte, dass die Cyberattacken ebenso gut auf das Konto anderer, etwa „China“, gehen könnten. Diese Dinge wiederholte er so häufig in der Öffentlichkeit, bis sie wie Fakten klangen. Die Trump schweigend ergebene Mehrheit des republikanischen Apparates nimmt sowohl die Milde gegenüber Moskau als auch die FBI-Schelte hin, obwohl Moskau für Republikaner jahrzehntelang der „Feind“ war und das FBI eine der konservativsten Institutionen der USA ist.

Dabei haben die Chefs sämtlicher US-Geheimdienste – darunter auch Trumps Außenminister Mike Pompeo in seiner früheren Eigenschaft als CIA-Direktor – wiederholt bestätigt, dass sich Russland in den US-Wahlkampf eingemischt hat.

Sonderermittler Mueller, ein Republikaner und einer der bestvernetzten Männer in Washington, hat das FBI von den Attentaten im September 2001 bis ins Jahr 2013 geführt. Bei jeder neuen Nominierung – sowohl von George W. Bush als auch von Obama – bekam er die Zustimmung beider Parteien im Senat. Trump aber begegnet ihm mit derselben Mischung aus Verachtung und Blockade, die er gegenüber FBI-Direktor James Comey gezeigt hat, den er im Mai 2017 feuerte, als er nicht bereit war, die Ermittlungen gegen Trumps ehemaligen Berater für die Nationale Sicherheit, Michael Flynn, einzustellen.

Er erwarte kein Geständnis von Putin, witzelte Trump

Wenn Mueller Familienangehörige und Mitarbeiter von Trump vorlädt und erst recht, wenn er Trump-Vertraute anklagt übt der Präsident Druck aus und erwägt öffentlich Vergeltungsschläge. Bislang hat Mueller neben Dutzenden anderen Personen fünf Mitarbeiter aus Trumps Präsidentschaftskampagne angeklagt. Drei von ihnen – darunter Flynn – haben sich in einzelnen Punkten schuldig bekannt und scheinen mit Mueller zusammenzuarbeiten. Zwei weitere Angeklagte aus Trumps innerstem Kreis scheinen gegensätzliche Wege einzuschlagen.

Trumps langjähriger New Yorker Anwalt Michael Cohen, der Frauen, die Verhältnisse mit Trump hatten, Schweigegelder zahlte und für Trump Geschäfte mit russischen Oligarchen anbahnte, ist offenbar zur Aussage bereit, nachdem das FBI Razzien in seinem Büro und seiner Wohnung gemacht und ihn inhaftiert hat. Für Cohen, der einst erklärt hat, er würde „eine Kugel für Trump“ in Kauf nehmen, sind neuerdings seine Familie und sein Land oberste Priorität.

Anders verhält sich Trumps ehemaliger Kampagnenchef Paul Manafort, den Mueller ebenfalls hinter Gitter gebracht hat. Bevor Manafort im Wahlkampf für Trump tätig wurde, hatte er unter anderem den prorussischen Wiktor Janukowytsch bei dessen Wahlkampf in der Ukraine beraten. Die Millionen, die Manafort dafür kassierte und vor dem US-Fiskus verheimlichte, sind einer der Anklagepunkte, die Mueller gegen ihn hat. Doch bislang verweigert Manafort jede Zusammenarbeit mit Mueller.

Die Anklage gegen zwölf Russen drei Tage vor dem Gipfel in Helsinki war eine politische Bombe. Am Freitag teilten US-Kabelsender ihre Bildschirme in Rosenstein auf der einen und Trump, der gerade die Queen Elizabeth II. auf Schloß Windsor besuchte, auf der anderen Hälfte. Rosenstein begründete die Terminwahl für seine Pressekonferenz mit dem Gang der Ermittlungen. Und sagte, er habe Trump vorab informiert. Aber zugleich machte der Vizeminister, dessen Tage im Amt gezählt sein mögen, keinen Hehl aus seinem Unbehagen. Aufklärung über Cyberspionage sei weder eine republikanische noch eine demokratische Angelegenheit, sagte er, sondern eine „patriotische“.

Training für den Gipfel: Putin kickt Bälle Foto: Alexander Safonov/ap

Eines der Details der 29-seitigen Anklageschrift geht zurück auf den 27. Juli 2016. An jenem Tag forderte Kandidat Trump „Russland“ auf, die Computer seiner Widersacherin Clinton zu hacken. „Russland“, rief er, „ich hoffe, du findest die 30.000 verschwundenen E-Mails.“ Bei derselben Pressekonferenz pries Trump die „Führungsqualitäten“ von Wladimir Putin, die „viel besser als die von Barack Obama“ seien. Als hätten sie den Bittsteller aus Florida gehört, sollen russische Agenten laut Anklageschrift noch am selben Tag erstmals in die Computer der Clinton-Kampagne eingedrungen sein. Danach sollen die von ihnen geschaffenen virtuellen „Guccifer 2.0“ und „DCLeaks“ mit der Veröffentlichung der gestohlenen Dokumente und E-Mails begonnen haben.

Die wenigen Informationen und die zahlreichen Spekulationen über die Ermittlungen von Mueller sind schon jetzt verwirrend. Erschwerend kommt hinzu, dass Trump sie als „zu lang“ und „zu teuer“ kritisiert. Doch auch die Sonderermittlungen über mutmaßlich kriminelle Machenschaften früherer US-Präsidenten waren verwirrend, lange und teuer. Und viele von ihnen nahmen oft erst im zweiten Jahr neue und letztlich entscheidende Wenden.

Die bisherigen Anklagen von Mueller, darunter die vom Freitag, zeigen, dass auch dieses Mal ein Richtungswechsel bei den Ermittlungen nicht ausgeschlossen ist. Vorerst ist unklar, ob es geheime Absprachen zwischen dem Kandidaten Trump und den russischen Agenten gab, und unklar, ob die Ermittlungen eines Tages zu einer Amtsenthebung von Trump führen werden. Aber es zeichnet sich ab, dass sich die Ermittler für mögliche Abhängigkeiten des US-Präsidenten interessieren. Unter anderem konzentrieren sie ihre Aufmerksamkeit auf Geldflüsse aus Russland, die an Trump gingen, als US-Banken ihn wegen seiner Konkurse für nicht mehr kreditwürdig hielten.