das portrait: Vom Bundesrat zum neuen Verfassungs-richter gewählt: Henning Radtke
Heute wird der Bundesrat den Strafrechtler Henning Radtke zum neuen Verfassungsrichter wählen. Seine Mehrheit ist sicher. Radtke wird von der CDU/CSU vorgeschlagen.
Eigentlich hätten die Grünen das Vorschlagsrecht für diesen Richterposten gehabt. So sah es eine Vereinbarung von 2016 vor, die die Grünen aufgrund ihrer starken Position im Bundesrat ertrotzt hatten. Damals waren sie an 10 von 16 Landesregierungen beteiligt. Deshalb sollten die Grünen künftig jeden fünften im Bundesrat zu wählenden Verfassungsrichter vorschlagen können.
Das aber hätte vorübergehend zu einem linken Übergewicht im Ersten Senat des Verfassungsgerichts geführt, weshalb die CDU/CSU sich zwei Jahre später nicht mehr an die Abmachung gebunden fühlte. Auch die Verfassungsrichter selbst machten Stimmung gegen die Absprache und warnten vor Akzeptanzproblemen. Die Grünen gaben nach und sollen nun in zwei Jahren bei der nächsten Richterwahl im Bundesrat erstmals einen Richter oder eine Richterin für den Zweiten Senat vorschlagen können.
So kam nun aber Henning Radtke zum Zuge, ein gemäßigt konservativer Strafrechtler. Ab 1999 war er Rechtsprofessor in Saarbrücken, Marburg und Hannover. 2012 kam er als bereits fachprominenter Quereinsteiger zum Bundesgerichtshof, ein ungewöhnlicher Weg.
Radtke interessiert sich nicht nur für Auslegung und Erläuterung des Rechts, sondern auch für Rechtspolitik und machte zum Beispiel Vorschläge für die radikale Vereinfachung des Strafprozesses. So regte er an, dass die Erkenntnisse der Polizei direkt dem Strafurteil zugrunde gelegt werden können. Zeugen müssten vom Amtsgericht dann in der Regel nicht mehr neu angehört werden, ein schriftliches Verfahren würde genügen. Rechtsstaatlich vertretbar wäre dies, so Radtke in der Juristischen Rundschau, wenn die Beschuldigten schon im Ermittlungsverfahren stärker beteiligt würden.
Mit großer Skepsis betrachtet Radtke dagegen die Umgestaltung des Strafrechts zum Terror-Präventionsrecht, bei dem die Strafbarkeit immer weiter ins Vorfeld eines möglichen Anschlags verlagert wird. Die Einführung des Delikts „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ lehnte er 2010 als verfassungswidrig und überflüssig ab.
Der 56-jährige Radtke folgt am Ersten Senat auf Michael Eichberger, der die Urteile zur Erbschaftsteuer und zum Atomausstieg vorbereitet hatte. Eichberger war einst ebenfalls ein CDU-Vorschlag und galt als moderat. Die Unternehmenserben mussten nur etwas mehr Steuern zahlen und die Atomkonzerne bekommen nur wenig Entschädigung.
Die nächste Personalentscheidung für Karlsruhe müsste bald folgen, denn die Amtszeit von Vizepräsident Ferdinand Kirchhof lief Ende Juni ab. Auch hier hat die Union das Vorschlagsrecht. Weil Kirchhofs Nachfolger aber in zwei Jahren Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden soll, ist diese Personalie ein Großpolitikum, für das in Berlin derzeit wohl niemand Zeit hat. Christian Rath
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