piwik no script img

Bloß nicht am Elend dieser Welt verzweifeln

Taina Gärtner widmet ihr ganzes Leben dem politischen Aktivismus. Seit Jahrzehnten kämpft sie in Berlin-Kreuzberg gegen höhere Mieten und engagiert sich unermüdlich für Geflüchtete

Von Marion Bergermann und Anja Weber (Foto)

Sich nach dem Feierabend ein bisschen für eine bessere Welt engagieren, das gibt es für Taina Gärtner nicht. Sie ist Aktivistin rund um die Uhr. Mit 15 Jahren besetzte sie zum ersten Mal ein Haus, engagiert sich seit Jahrzehnten gegen höhere Mieten, für die Rechte von migrantischen Berliner*innen und Geflüchteten, ist Kommunalpolitikerin und zog währenddessen ihr Kind alleine groß.

Taina Gärtner ist da, wo es ungemütlich wird. Als 2012 Geflüchtete ein Protestcamp auf dem Oranienplatz in Kreuzberg errichteten, kam Gärtner bald hinzu. Ein halbes Jahr wohnte sie mit den Protestler*innen, kämpfte gegen deren Unterbringung in Heimen, das EU-Asylgesetz Dublin II und für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse. Die Bedingungen waren schwierig, die Stadt hatte lediglich ein paar Plumpsklos aufstellen lassen.

Ein tieferes Verständnis

Vivi, Aktivistin und seitdem Freundin von Gärtner, erinnert sich: „Sie gab uns einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, dass wir duschen und Wäsche waschen konnten.“ Dickson M., ein weiterer ehemaliger Bewohner, fügt hinzu: „Viele Leute haben uns Sachen vorbeigebracht. Aber sie hatten nicht dieses tiefere Verständnis, diese Verbindung zu uns. Sie hat dieses Verständnis.“ Denn die Kreuzbergerin riet anderen deutschen Aktivist*innen statt Sachspenden sich der Leute anzunehmen. Ihnen ein*e Freundin zu sein, die Stadt zu zeigen. Vivi meint: „Sie hat mich nicht gezwungen, mit ihr befreundet zu sein. Ihr geht es manchmal gesundheitlich nicht so gut. Wir helfen ihr auch, stehen hinter ihr.“

Nach der Auflösung des Camps 2014 schwand die Aufmerksamkeit der Medien und mancher Helfer*innen. Taina Gärtner macht weiter bis heute. Telefoniert, postet auf Facebook für Übernachtungsmöglichkeiten, vernetzt für Arbeitsplätze. Für diejenigen, die traumatisiert sind und typische Folgen davon haben, etwa Schwierigkeiten, Wege zu finden oder Wochentage auseinanderzuhalten, fertigt sie Wegbeschreibungen zum Amt oder zur Anwält*in an. Oder vermittelt Begleitungen. Mit der Gruppe Lampedusa in Berlin, der sie angehört, macht sie Infostände. Manchmal lädt sie zu gemeinsamen Abendessen in ihre Wohnung.

Denn vier Jahre danach sind viele der ehemaligen Protestler*innen weiterhin ohne sicheren Aufenthaltsstatus und feste Wohnung. Trotzdem: Die Besetzung des Oranienplatzes brachte auch Erfolge. Viele hätten hier zum ersten Mal für ihre Rechte, für sich selbst eingestanden, resümiert die gelernte Einzelhandelskauffrau. Und dann gibt es noch die einzelnen Geschichten, an denen sie mitwirkte. Dickson M. hat nun eine eigene Wohnung und einen Job. Als Monteur ist er jetzt international unterwegs. Vivi beginnt ein Modedesignstudium. Einem junger Ghanaer organisierte sie einen Schlafplatz, kurz darauf fand er Arbeit, lernte seine spätere Frau kennen und nun ist das dritte Kind unterwegs. Auch bei Bantabaa, dem Café, das Geflüchteten eine Perspektive durch Gastronomie bietet und letztes Jahr für den taz Panter Preis nominiert war, engagiert sich die Berlinerin.

Taina Gärtner

Taina Gärtner, 53, alleinerziehende Mutter und Vollzeitaktivistin. Sie engagiert sich seit Jahrzehnten gegen steigende Mieten und für Migrant*innen. An der Unterstützung für die Besetzer*innen des Oranienplatzes 2014 war sie maßgeblich beteiligt.

Sie sitzt für die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Kreuzberg.

Sie ruft zu Spenden für den Verein help for people e. V. auf:help4people in Berlin e. V.,Ethikbank Eisenberg, IBAN: DE98830944950003333973, Betreff: Lampedusa Berlin

Bei all den Aktivitäten landete sie auf dem Radar der Behörden. Der Chef der Berliner Ausländerbehörde bezeichnete sie als Schlepperin. Zudem wurde gegen sie ermittelt wegen Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt. Gärtner tut das als Einschüchterungsversuche ab und setzt sich unbeeindruckt ein in Kreuzberg. Hier kennen viele die Vollzeitaktivistin nicht nur aus dem Kampf gegen Asylpolitik. Seit über 30 Jahren gestaltet die 53-Jährige die Geschichte des Bezirks mit.

Lieber kein Sprachrohr sein

Bereits 2000 machte die Aktivistin Antigentrifizierungsarbeit, ganze Häuserblöcke sollten privatisiert werden. Als 2012 eine Gruppe Mieter*innen am Kottbusser Tor eine Holzhütte zum Protest gegen steigende Mietpreise errichtete, kam sie hinzu. Hier, bei Kotti und Co., ging es um private Wohnungsbaugesellschaften, welche die Mieten von etwa 1.000 Sozialwohnungen erhöhen wollten. Obwohl schon jede zweite Familie dort 40 bis 50 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgab. Türkeistämmige Frauen initiierten den Protest mit. „Das hat unheimlich viel gemacht, auch emanzipatorisch in den Familien“, resümiert Taina Gärtner. Wie bei den Geflüchteten vom Oranienplatz half sie mit, will aber kein Sprachrohr sein und lässt Betroffenen den Vortritt.

Weil das alles nicht genug ist, sitzt Gärtner in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist das Politikorgan auf kommunaler Ebene in Berlin, die Abgeordneten sind ehrenamtlich tätig gegen eine Aufwandsentschädigung. Als „Kreuzberger Urgestein“, wie sie sich selbst nennt, gefällt Gärtner die BVV-Arbeit. Dass Sachen auf den Punkt gebracht werden, es Deadlines gibt. Als alleinerziehende Mutter, die die Großmutter pflegte habe es sie genervt am Außerparlamentarischen, „wenn du abends stundenlang dein Kind alleine lässt, um bis ins Detail über ein Wort in einem Flugblatt zu diskutieren. Das ist ein Luxus. Für mich als Mutter war es immer wichtig im Hier und Jetzt schon Erleichterungen hinzukriegen.“

Im Gespräch schwenkt sie von damaligen Hausbesetzungen zu heutigen Problemen ihrer Nachbar*innen. Dabei wirkt sie nicht wütend, sondern redet ruhig, mit offenem Blick.

Begeistert erzählt sie, dass sie gerade Hausa lerne, eine der meistgesprochenen Sprachen Nigerias, weil sie mit Leuten von dort befreundet sei. Bei all dieser unentlohnten Arbeit kommt die Frage auf, wie sie sich finanziert.

Sie wirkt nicht wütend, sondern redet ruhig und mit offenem Blick

Von Geflüchteten lernen

Gärtner bezieht Arbeitslosengeld II, also Hartz IV. Das Jobcenter stuft sie als Aufstockerin ein, weil es ihr die Aufwandsentschädigung der BVV-Tätigkeit als zusätzliches Gehalt anrechnet. Aus Gärtners Sicht verstößt das gegen das Grundgesetz. Daher klagt die Politikerin seit Jahren, die nächste Stufe wäre das Bundessozialgericht.

Mit wenig Geld und manchmal auch noch gesundheitlichen Problemen sorgt sich Taina Gärtner selten um sich selbst. „Ich habe von Geflüchteten gelernt, nicht so viel Angst vor dem nächsten Tag zu haben. Weil existenzlose Menschen gar nicht über mehrere Tage hinaus denken können. Das habe ich versucht mir im positiven Sinne anzunehmen. Früher dachte ich öfter, was wird denn am Ende des Monats wenn ich jetzt schon so wenig habe.“ Auch wenn sie nicht viel hat, teilt sie „wirklich alles. Klar, ich habe immer mehr, ich habe meine Papiere, die mir niemand wegnehmen kann. Sonst könnte ich das alles gar nicht machen.“ Den Großteil ihres Hausstands hat sie auf der Straße gefunden, was für sie mit bewusstem Konsum und Umwelt zu tun hat.

Und wenn Facebook-Aufrufe für Spenden nichts bringen, zieht Gärtner los. Als in den letzten Wochen in Berlin die Sonne knallte, war sie viel unterwegs, Pfandflaschen sammeln. „Da habe ich mehr in der Hand als wenn ich diffus rumposte und es kommt sowieso keine Überweisung.“

taz Panter Preis 2018

Der taz Panter Preis zeichnet Menschen und Initiativen aus, die sich mit persönlichen Einsatz für eine bessere Welt engagieren. Jedes Jahr werden zwei mit je 5.000 Euro dotierte Preise verliehen.

Porträts Bis Ende Juli stellen wir Ihnen die sechs Nominierten in der taz am Wochenende und auf taz.de vor.

Leser*innenwahl Ab 4. August 2018 können Sie Ihre Favoritin/Ihren Favoriten wählen: per Mail, per Post oder online.

Verleihung Am 15. September werden Leser*innen und Jurypreis im Deutschen Theater in Berlin verliehen.

Tickets für die Preisverleihung erhalten Sie online oder im taz Café in Berlin. Im Sinne des taz Solidarpaktes bestimmen Sie selbst den Preis für Ihre Gala-Karten. Tickets gibt es für 10, 20 oder 30 €.

Solidarität Unterstützen Sie uns und spenden Sie auf das Konto der taz Panter Stiftung, bei der GLS Bank Bochum, unter der IBAN: DE 97 430 609 671 103 715 900, Stichwort „taz Panter Preis“. Die Stiftung ist gemeinnützig, Ihre Spende steuerlich absetzbar.

Alles Infos zum taz Panter Preis: www.taz.de/panter

Stachel im Kopf

Doch auch sie stößt an ihre Grenzen. Gestorbene Bekannte und Freunde machen ihr zu schaffen. Im Februar 2016, als nachts der nigerianische Geflüchtete Yusuf Fashola in Berlin ermordet wurde, hatte Gärtner in dieser Nacht keinen Schlafplatz für ihn gefunden. „Ich denke immer, hätte ich noch länger am Computer gesessen und gesucht, vielleicht hätte ich doch noch jemanden gefunden.“ Was sie dann ein wenig aufrichtete war, die Jahresmiete für Fasholas Familie in Nigeria zu organisieren.

All dieses zeigt, sie scheint sich verantwortlicher als andere zu fühlen. „Wenn ich etwas sehe, wo andere dran vorbei laufen, ohne es zu sehen oder gleich wieder vergessen, sitzt das wie ein Stachel in meinem Kopf und ich fühle mich mit mir selber nicht mehr im Reinen.“

Um abzuschalten macht Taina Gärtner Sport. „Wenn ich es schaffe morgens meine 15 Kilometer zu laufen und im Sommer mindestens einen Kilometer zu schwimmen, lasse ich die ganzen negativen Sachen raus. Weil der Kopf ja doch sehr voll ist. Sonst wäre ich wohl schon am Elend dieser Welt verzweifelt.“ Dickson M. hat sie ebenfalls zum Laufen animiert. Er läuft mittlerweile Marathons.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen