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Kein Rad von der Stange

Der Ein-Mann-Betrieb Fern Fahrräder schneidert Weltenbummlern das passende Velo für ihre Reisen auf den Leib. Dafür sollten die Kunden ein Jahr Geduld mitbringen

Von Lars Klaaßen

Angefangen hat alles mit einer Schnapsidee. Florian Haeussler, der sich am liebsten Flo nennen lässt, saß an einem Abend im Jahr 2006 mit ein paar Kumpel zusammen. Zu fortgeschrittener Stunde verkündete er: „Ich fahre mit meinem Fahrrad nach Istanbul!“ Besagtes Fahrrad war ein altes Mountain-Bike, das seine Eltern ihm einst geschenkt hatten, „viel zu klein, mit einem schrottigen Gepäckträger und auch in anderer Hinsicht völlig ungeeignet“, wie sich der heute 37-Jährige erinnert. Bis Istanbul hat Flo es geschafft – und dabei jede Menge Erfahrungen gesammelt, was man bei einer langen Tour auf dem Sattel alles besser machen kann. Grundvoraussetzung ist selbstverständlich das passende Fahrrad. Es sollte auf den Fahrer zugeschnitten sein und den Anforderungen der konkreten Reise gerecht werden.

Wer in kurzer Zeit lange Strecken auf Straßen zurücklegt, ist mit einem leichten Modell gut bedient. Wenn es häufiger auf Schotterpisten ins Gelände geht, ist ein robusteres Gefährt angesagt, das gilt für den Rahmen und die dann am besten etwas dickeren Reifen. Für Flo ist die Kombi aus beidem das perfekte Konzept. „Als ich im Laufe der Jahre immer wieder mit besseren Rädern auf Reisen ging, konnte ich vieles nachkaufen und mir selbst passend einrichten, um mein Bike zu optimieren“, sagt er. „Bloß der Rahmen ist immer vorgegeben.“ Auf Radreisen weltweit wuchs sein Wissen, welches Rad unterwegs für ihn das Beste wäre. So entstand im Laufe einiger Jahre der Wunsch, das perfekte Herzstück fürs Reiserad selbst zu konstruieren und zu bauen. Mittlerweile ist Flo mit selbstgebauten Rädern unter anderem durch Patagonien gefahren – und auch wieder nach Istanbul, diesmal rund ums Schwarze Meer.

Das Silicon Valley der Velos

In Berlin-Lichtenberg wird geschraubt: Fern Fahrräder teilt seine Werkstatträume mit dem Rahmenhersteller Meerglas. Auf derselben Fabriketage stellt Gramm-Tourpacking Fahrradtaschen her. Eine Straße weiter lackiert Velociao Rahmen. Um die Ecke baut wheeldan Titanräder, Cicli Bonanno und Hinoki Cycles Fahrradrahmen, Ozon Cyclery stellt sie aus Bambus her. NaturRad fertigt Velos nach Maß. lk

Dass Flo schon mitten im Studium für Produktdesign steckte, passte zwar schon mal ganz gut zu seinen Plänen, Reiseräder zu bauen. Und noch besser: In seiner Abschlussarbeit entwarf er ein Reiserad. „Aber das ist alles ausschließlich pure Theorie gewesen. Was mir bis dahin fehlte, waren praktische Kenntnisse und Erfahrungen.“ Rahmenbauer für Fahrräder ist kein Ausbildungsberuf. „Es gibt eine Reihe von Freaks in Deutschland, die das handwerklich betreiben, die habe ich abgeklappert. Aber an Praktikanten, Typen wie mich, hatten sie keinen Bedarf.“ So standen noch ein paar Umwege an. Flo machte eine Schweißerlehre und hat bei Rotorbike in Leipzig fertige Rahmen aufgebaut. „Das Rahmenbauhandwerk habe ich mir später autodidaktisch beigebracht.“ Daraufhin brauchte es noch eine eigene Werkstatt.

„Ein befreundeter Rahmenbauer, der mir schon bei der Abschlussarbeit mit seinem Praxiswissen geholfen hatte, verkaufte seine Werkstatt“, erzählt Flo. „Das war genau das Equipment, das ich brauchte, um loszulegen.“ Nur eine Woche später, auf einem Ausflug an der Müritz, entdeckte der Firmengründer in spe eine große alte Leuchtreklame mit dem roten Schriftzug „Fahrräder“. Die hängt heute in seiner Werkstatt. Mit Thomas Becker, einem anderen Rahmenbauer, teilt er sich den großen Raum samt Werkzeugen in einer alten Fabrik in Berlin-Lichtenberg. Den Hinterhofbau findet nur, wer sein Ziel kennt. Laufkundschaft verirrt sich hierher bestimmt nicht.

Auf Laufkundschaft ist Flo mit seiner Marke Fern Fahrräder aber auch gar nicht angewiesen. „Die Reiseradler-Szene ist weltweit gut vernetzt, die Leute wissen, wer wo etwas Spannendes für besondere Ansprüche baut, und das spricht sich schnell rum.“ Kunden kommen in der Regel über persönliche Empfehlungen in seine Werkstatt. Am Anfang steht ein ausführliches Gespräch, was die Leute mit ihrem künftigen Rad machen wollen, welche Touren damit geplant sind. Flo guckt sich auch an, wie die Leute auf dem Fahrrad sitzen. Sie werden genau vermessen, von der Schuhgröße über die Beinlänge bis zum Körpergewicht. Wie schwer das zu transportierende Gepäck später mal sein soll, spielt natürlich auch eine Rolle. All das fließt in das zu bauende Fahrrad ein.

Einer seiner Kunden ist 2,08 Meter groß. Für ihn bestellte Flo in Japan eine extrem lange Kurbel. Zur weltweiten Reiseerfahrung kommt auch das Wissen, wo in der Welt es Einzelteile für ganz spezielle Anforderungen gibt. Solche Einzelteile haben oft mehrere Wochen Lieferzeit. „Die individuellen Einzelfahrzeuge basieren auf drei Grundmodellen, die jeweils etwas stärker zu einem Grundtypus neigen: Rennrad, Mountain-Bike und Reiserad“, berichtet Flo. „Doch im Laufe mehrerer Treffen, Gespräche und Testfahrten mit den Kunden drehe ich an sehr vielen Stellschrauben, um das perfekte Bike für jeden Einzelfall anzufertigen.“ Bis ein Kunde auf seinem maßgefertigten Velo davonradelt, kann es bis zu ein Jahr dauern. „Viele melden sich bei mir, nachdem sie wieder aus der Ferne zurückgekehrt sind“, sagt Flo und schiebt lachend hinterher: „Wenn auf ihren Reisen mal was nicht so glatt lief, lag es in der Regel nicht an der Fahrradtechnik.“

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