Kampf um den Platz für das dritte Geschlecht
Eine dritte Möglichkeit neben Mann und Frau: Die verlangt das Bundesverfassungsgericht im deutschen Personenstandsrecht. Hamburgs Bürgerschaft will Druck im Bundesrat. Bremen sieht den Bund in der Pflicht
Von Eva Przybyla
Als Caleb sich als Mann outete, traf ihn ein unbeschreibliches Gefühl. „Die ganze Last ist von mir gefallen. Plötzlich wurde alles einfacher“, sagt er. Aus der unglücklichen Christin Dierks wurde endlich Caleb Dierks. Make-up kann er immer noch nicht ausstehen, aber ansonsten hat sich für ihn nicht viel geändert. Heute trägt er einen blau karierten Kilt und kurze Haare. Im Bremer Logistikunternehmen, in dem er arbeitet, wissen alle, dass er ein Mann ist, und akzeptieren ihn. Endlich. Unzählige Male hat er sich als Mann behauptet und keine Diskussion gescheut. Besonders bei männlichen Kollegen wird Caleb manchmal drastisch: „Bist du nur ein Genital oder auch etwas anderes?“, fragt er sie. „Dann denken die Leute nach.“
Während er privat schon lange Caleb ist, steht auf seinem Ausweis noch Christin. Im Personenstandsrecht bleibt er weiblich. Meistens macht er das Kreuz nicht bei „Frau“, sondern in der Mitte, neben „Herr“. Bei seiner Hochzeit musste er jedoch wieder als Frau signieren. „Die stellen sich so an“, sagt Caleb, „dabei ist es doch nur ein kleines Feld, das sie verändern müssen.“ Neben seltenen amtlichen Anlässen quälen ihn täglich die öffentlichen Toiletten: Auf der Männertoilette beschweren sich die Männer über ihn, auf die Frauentoilette kann Caleb nicht.
Änderungen bis Jahresende
Diese Einschränkungen soll der Gesetzgeber bis Ende des Jahres ändern, so will es das Bundesverfassungsgericht: Im November 2017 beschloss es, dass es im deutschen Personenstandsrecht eine dritte Möglichkeit geben müsse, um all jene zu schützen, die nicht von den Bezeichnungen „Mann“ und „Frau“ betroffen sind.
Ein solches Gesetz könnte zwei verschiedene Richtungen einschlagen: Entweder könnte es eine dritte Option bei den Geschlechterangaben vorschreiben oder diese einfach streichen. Letzteres favorisiert Caleb. So wäre vieles leichter, sagt er. „Es ist das langfristige Ziel, den Personenstand abzuschaffen“, sagt auch Maike-Sophie Mittelstädt, Vorstandsmitglied im Bremer Verein „Trans*Recht“.
Doch durch die Abschaffung würde sich nichts ändern. „In der Tagesschau würde es weiterhin „Sehr geehrte Damen und Herren“ heißen“, sagt sie. Deshalb wäre kurzfristig für die Gesellschaft eine dritte Option nötig. Denn nur so würden nicht-binäre Personen sichtbar werden. „Divers“ soll laut Trans*Recht das dritte Feld heißen. 300.000 Trans*-Personen würden Schätzungen der Bundesvereinigung Trans* e. V. zufolge davon profitieren. „Denn das Recht liefert derzeit keine Handhabe gegen die Diskriminierung von non-binären Personen“, sagt Mittelstädt. Mit einem Eintrag im Personenstandsrecht könnten sie endlich ihre Rechte einklagen.
Doch das Bundesinnenministerium bleibt voraussichtlich hinter den Erwartungen zurück: Das Medienunternehmen BuzzFeed berichtete Anfang Mai exklusiv über einen Entwurf, den Frank Krüger von der Bundesvereinigung Trans* als „Minimallösung“ bezeichnet. Zwar sieht er eine dritte Option vor, jedoch soll diese „anderes“ heißen, was umstritten ist. Außerdem soll über die Angabe nur ein Arzt entscheiden.
Non-binäre Personen dürften demnach immer noch nicht selbst ihr Geschlecht bestimmen. So wären sie weiterhin ausgeschlossen, sagt Krüger. Für eine fairere Lösung wirbt die Bundesvereinigung Trans* nun vor den Vereinten Nationen, der Menschenrechtsorganisation Universal Periodic Review Info sowie bei den Bundesländern. Diese sind eine von Krügers Hoffnungen: Sie könnten einen neuen Entwurf vorschlagen und vom Initiativrecht des Bundesrats Gebrauch machen.
Genau dieses Initiativrecht soll der Stadtstaat Hamburg notfalls benutzen: Vor wenigen Wochen beschloss dies die Hamburgische Bürgerschaft. Bremen zieht bisher nicht nach. Dabei hatte die Bremer Bürgerschaft den Senat bereits im April aufgefordert, einer entsprechenden Bundesratsinitiative des Landes Berlin beizutreten. Auch Henrike Müller von den Bremer Grünen hält einen Vorstoß wie den Hamburgs für sinnvoll. Das sieht Doris Achelwilm ähnlich, die queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei: Wenn die Länder die Bundesregierung zu einer zügigen und guten Umsetzung des Urteils drängten, sei das nicht verkehrt „Aber das entlässt die Bundesregierung nicht aus der Pflicht, zeitig eine bundesweite klare Entscheidung zu erarbeiten“, sagt Achelwilm. Auch die Bremer CDU sieht primär die Bundesebene in der Pflicht.
Übergreifende Strategie gesucht
Derweil wollen die Grünen und die Linke in Bremen weiterhin mit Betroffenenverbänden sprechen. Ihre Ideen für ein neues Gesetz liegen nah beieinander. Achelwilm verlangt nach einer Öffnung auch für nicht-binäre Personen, die mit den Interessenverbänden abgestimmt ist. Die Bremer Grünen wollen laut Müller überprüfen, ob die Geschlechtsangabe in diversen Ämtern überhaupt nötig ist. Beide Parteien fordern letztlich eine übergreifende Strategie: „Begutachtungspflicht, Therapiezwang und das gerichtliche Verfahren müssen abgeschafft werden, wenn es darum geht, Vornamen und Personenstand zu ändern“, sagt Achelwilm.
Bisher regelt die Personenstandsänderung für das Geschlecht nur das Transsexuellengesetz. Es erlaubt eine Änderung des Eintrags „männlich“ oder „weiblich“ – bei Vorlage von mindestens zwei psychiatrischen Gutachten. Und die fallen Mittelstädt zufolge eher zugunsten einer Änderung aus, wenn sich die betroffene Person medizinischen Maßnahmen unterzieht, zum Beispiel einer Hormontherapie.
Hormone kommen für Caleb nicht infrage: Er leide nicht mehr unter seinem weiblichen Körper. Doch das falsche gesellschaftliche Geschlecht zu leben, bedeutete für ihn über lange Zeit viel Leid. Vier Suizidversuche hat Caleb überlebt sowie den Aufenthalt in der Psychiatrie mit falscher Diagnose. Ein Leben ohne Geschlechterkategorien: Das ist für ihn Freiheit.