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Der „Sultan“ macht Wahlkampf in Sarajevo

Zehntausende bejubeln den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bei seinem Besuch in Bosnien und Herzegowina. Vertreter der Serben und Kroaten üben Kritik

Anhänger von Erdoğan warten am Sonntag in Sarajevo auf den Auftritt des türkischen Präsidenten Foto: Dado Ruvic/reuters

Aus Split Erich Rathfelder

Stundenlang hätten sie an den Grenzen warten müssen, berichten viele Deutschtürken, die sich am Pfingstwochenende mit Bussen auf den Weg nach Bosnien und Herzegowina gemacht hatten, um am Sonntag der Rede ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Sarajevo beizuwohnen. Bis zu sieben Stunden hätten kroatische Zöllner die Busse mit den Reisenden aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich und Norwegen aufgehalten, beklagten sich einige von ihnen im Nachrichtenkanal klix.ba.

Im Sportzentrum Zetra hatten am Sonntag 20.000 begeisterte Anhänger der 40 minütigen Rede ihres Präsidenten zugehört. Erdoğan bat die Auslandstürken, sich politisch für ihn zu engagieren. Für Erdoğan könnte die Unterstützung der Türken vor allem in der EU diesmal ausschlaggebend sein, denn rund 3 Millionen Aus­lands­türken dürfen am 24. Juni bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abgeben. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Sonar würden derzeit in der ersten Wahlrunde am 24. Juni nur 42 Prozent für Erdoğan stimmen.

Der Termin für den Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Sarajevo war klug gewählt. Zwei Tage nach dem Gipfeltreffen der EU-Regierungschefs in Sofia und kurz nach dem Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan wollte der türkische Präsident seinen Wahlkampf befeuern und gleichzeitig die Bedeutung der Türkei für den Balkan insgesamt demonstrieren. Der Schulterschluss mit dem Führer der größten muslimischen Partei in Bosnien und Herzegowina, Bakir Izetbegović, lieferte zudem schöne Bilder in die Wohnstuben von Istanbul bis Ankara.

Mit ganz leeren Händen war Erdoğan auch nicht nach Sarajevo gekommen. Dass jetzt endlich die lange versprochene Finanzierung der Autobahn von Belgrad nach Sarajevo durch die Türkei beschlossen ist, begrüßen sogar seine Kritiker. Gastgeber Bakir Izetbegovićmuss sich ebenfalls Anfang Oktober mit seiner Partei SDA den Wählern stellen, auch er erhoffte sich Rückenwind von dem Besuch. Izetbegovićist zu einem persönlicher Freund Erdoğans aufgestiegen und zudem durch vielerlei geschäftliche Beziehungen mit der Türkei verbunden. Auch die Familien kennen sich gut. Emine Erdoğan eröffnete mit Sebija Izetbegović die Abteilung für Hämatologie im Krankenhaus in Sarajevo. Die türkische Entwicklungsagentur TIKA hatte 1,7 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt.

Izetbegović, der seine Frau schon in den Chefsessel des größten und wichtigsten Krankenhauses in Bosnien gehievt hatte, möchte offenbar, dass sie im Oktober für den bosniakischen Sitz im dreiköpfigen Staatspräsidium kandidiert und seine Nachfolgerin wird. Er kann nämlich nicht mehr antreten, weil er bereits zwei Amtszeiten hinter sich hat.

Präsident Erdoğan wollte auch die Bedeutung der Türkei für den Balkan insgesamt demonstrieren

Kritiker erinnert dieses Postengeschiebe tatsächlich an die Zeiten der türkischen Herrschaft in Bosnien und Herzegowina. „500 Jahre haben die Türken zu unserem Unglück geherrscht“, sagt der Germanist Meho Aličehajić. Ihn ärgert, wie andere Mitglieder der Zivilgesellschaft auch, die demonstrative Unterwürfigkeit Izetbegović’gegenüber dem „neuen Sultan“. Izetbegovićhatte im Vorfeld des Besuchs sogar erklärt, er vertraue Bosnien und Herzegowina als „Imanet“, als Gabe, als Geschenk, Erdoğan an.

Das stößt auch bei den anderen Volksgruppen, den Serben und Kroaten, auf Kritik. Izetbegovićhatte es nicht einmal für nötig befunden, die beiden anderen Mitglieder des Staatspräsidiums um Erlaubnis für die Einladung Erdoğans zu fragen. „Zu uns können einfach Politiker aus aller Welt kommen und sich gegen die Existenz Bosnien und Herzegowinas aussprechen“, beklagte sich das Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften, der 89-jährige Philosoph Muhamed Felipović.

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