: Telekom-Hochschule schließt letzten Standort
Jahrzehntelang bildete die Telekom Nachwuchs an ihrer privaten Hochschule in Leipzig aus. Doch nun will sie der Konzern abstoßen
Aus Leipzig Helke Ellersiek
Im Innenhof der Hochschule für Telekommunikation Leipzig (HfTL) stehen aufgereiht auf eingefasstem Schotter 27 Matrikelsteine. Seit vielen Jahren hat jeder Jahrgang der letztverbliebenen deutschen Telekomhochschule eine kleine Skulptur selbst entworfen, gestaltet und bei dem Bergfest zur Mitte des Studiums präsentiert. Ein ursprünglich magentafarbenes T erinnert an den aktuellen Träger, das gelbe Posthorn daran, dass es die Deutsche Post war, die vor 65 Jahren in Leipzig eine „Ingenieurschule“ gründete. Andere Steine spielen auf die Studiengänge an, auf die man sich hier spezialisiert hat: Telekommunikation, Nachrichtentechnik, Wirtschaftsinformatik.
Mit dem Jahrgang 2014 endet die Tradition plötzlich. Die Schotterreihe gibt noch Platz für fünf, sechs Matrikelsteine. Doch die Reihe wird unfertig bleiben. Denn die traditionsreiche Hochschule nimmt ab dem kommenden Wintersemester keine Studierenden mehr auf. Die letzte private Hochschule der Telekom wird im Jahr 2020 nicht mehr existieren.
Im Januar hat der Deutsche Wissenschaftsrat der HfTL die Akkreditierung entzogen. „Qualität zu schlecht“, schrieb die Leipziger Volkszeitung, „Leipziger Hochschule zu schlecht“, titelte die Bild. Der in Köln ansässige Wissenschaftsrat ist für die Qualitätssicherung von Hochschulen und Universitäten zuständig. Auf seine Empfehlung hin erhalten auch private Hochschulen die staatliche Anerkennung durch die Wissenschaftsministerien – oder bekommen sie entzogen, wie in diesem Fall. „Die Prüfung hat ergeben, dass die Hochschule für Telekommunikation Leipzig den wissenschaftlichen Maßstäben einer Hochschule nicht entspricht“, urteilte das Gremium in seinem Bericht.
Der Akkreditierungsentzug steht am Ende eines jahrelangen Prozesses, in dem der Konzern nicht wusste, wohin er mit der teuren Fachhochschule wollte, sie massiv überstrapaziert und sich permanent vom Hauptkonzernsitz in Bonn in Hochschulorganisation und -politik eingemischt hat. So sieht das auch der Wissenschaftsrat. Wesentliche Entscheidungen würden außerhalb der Hochschule getroffen, ohne dass es Regeln gäbe, wie die HfTL einbezogen werden könnte, urteilt er in seinem Bericht. Als zentrales Beispiel führt er die vom Konzern festgelegten Studierendenkontingente an, „die in der Vergangenheit und andauernd zu einer deutlichen Überlastung der HfTL geführt hat, ohne dass diese sich dem adäquat widersetzen konnte“.
Zweites Beispiel: Überlastung. Rund 1.600 Studierende sind derzeit an der HfTL im Leipziger Stadtteil Connewitz immatrikuliert, mehr als je zuvor in der Firmengeschichte – in früheren Jahrzehnten waren es immer um die 500 Studierenden gewesen. Jetzt studieren mehr Menschen an der Hochschule, als der Gebäudebrandschutz erlaubt. „Im Ergebnis ist die Hochschule mit Lehraufgaben deutlich überlastet“, urteilt der Wissenschaftsrat.
Es ist ein Fehler von vielen, die auch Verantwortliche bei der Telekom überraschend schnell einräumen. Es habe schon lange verschiedene Überlegungen gegeben, wie der Konzern mit der Hochschule verfahre, inklusive der Schließung, sagt Martin Böhme, seit knapp zwei Jahren für die strategische Ausrichtung der Hochschule zuständig. Er ruft aus dem Bonner Hauptsitz an, wo viele Hochschulverantwortliche sitzen. Böhme verrät die Stimmung beim langjährigen Träger: „Es gibt Gründe für die Überzeugung, dass eine Hochschule in einen DAX-Konzern nicht reingehört.“
In keinem Punkt widerspricht Böhme der Kritik des Wissenschaftsrats: nicht in der Überlastung der Lehre, nicht in der fehlenden Eigenständigkeit, nicht in der Vernachlässigung der Forschung. Und nichts davon ist ganz neu.
Die Standorte
Bis in die 1990er Jahre bildete die Telekom ihren Nachwuchs an drei konzerneigenen Hochschulen aus: in Leipzig, Dieburg und Berlin-Tempelhof. Die Privatisierung der Telekom überlebte jedoch nur der Leipziger Standort. Die Hochschule in Dieburg, an der viele heutige Manager der Telekom studiert haben, hat der Konzern an das Land Hessen übergeben. Die Berliner Einrichtung wurde 1996 in die HTW Berlin integriert, mit ihr alle Laboreinrichtungen und Professoren.
Die HfTL
Die Telekom hatte die Leipziger Ingenieursschule 1995 von der Deutschen Post übernommen und bildete von da an jährlich rund 500 Studierende aus. Mit der Gründung einer GmbH als Trägergesellschaft vor fünf Jahren riskierte die Hochschule ihre zuvor unbefristet gültige Akkreditierung als staatlich anerkannte Fachhochschule. Anfang 2018 entzog das sächsische Wissenschaftsministerium der HfTL die Akkreditierung.
Die Stiftungsidee
Derzeit verhandeln Telekom, Ministerium und die staatliche Hochschule HTWK Leipzig über die Errichtung einer Stiftungsfakultät. Rund 5 Millionen Euro will der Konzern jährlich geben, halb so viel wie bisher für die HfTL. (he)
Seit 2013 ist der Träger der Hochschule nicht mehr die Deutsche Telekom (DTAG) selbst, sondern die HfTL Trägergesellschaft mbH, wiederum eine hundertprozentige Tochter der Telekom. Während der Wissenschaftsrat in der GmbH-Umwandlung eine – gescheiterte – Bemühung des Konzerns um mehr Eigenständigkeit sieht, war es wohl eher eine bilanzielle oder, wie Böhme sagt, eine Steuerungsentscheidung. Denn nun war die Hochschule kein Kostenpunkt mehr, sondern eine eigene Tochtergesellschaft in der Bilanz. Das heißt auch, dass die Hochschule möglichst kostendeckend arbeiten muss – weswegen der Konzern nicht nur immer mehr Dualstudierende an die Hochschule schickte, die heute den Großteil der Studierenden ausmachen, sondern auch entgegen vorherigen Beteuerungen vorübergehend Studiengebühren einführte – ein Aufreger, an den sich Studierende aus älteren Semestern noch erinnern.
So wie Ferdinand Malcher. Der 27-Jährige hat an der HfTL vor drei Jahren seinen Bachelor absolviert. Von Beginn hat war er hochschulpolitisch aktiv. Als die Telekom-Hochschule in eine GmbH umgewandelt wurde, warnte Malcher im Studentenrat aktiv vor der Entwicklung. Er schätzte zwar die private Stimmung: dass man die Professoren kannte, nicht so leicht unterging wie an einer überlaufenen staatlichen Hochschule. Rückblickend findet er aber, dass er rechtzeitig den Absprung geschafft hat. „Meinem kleinen Bruder habe ich davon abgeraten, auf die HfTL zu gehen“, sagt er. Für den Master ging Malcher an eine andere Fachhochschule.
Auch bei der Telekom bewertet man die damaligen Entscheidungen heute selbstkritisch. Eine „Fehlpriorisierung“ sei das gewesen, sagt Stratege Böhme. Professoren müssten auch forschen können, nicht nur lehren. Rückblickend hat die GmbH-Gründung wohl den Anfang vom Ende bedeutet, denn damit verfiel die unbegrenzt gültige Akkreditierung der Hochschule. Nur deshalb musste überhaupt ein neuer Akkreditierungsprozess angestoßen werden – der nun gescheitert ist und die HfTL die staatliche Anerkennung gekostet hat.
Die Frage, die sich heute stellt, ist: Hat die Telekom diesen Weg bewusst eingeschlagen, um die teure Hochschule möglichst elegant abzustoßen, wie viele Studierende glauben?
Die Verantwortlichen könne man nicht mehr fragen, viele seien gar nicht mehr bei der Telekom, sondern hätten längst andere Jobs angenommen. Böhme bestreitet aber den Vorwurf, den die Studierendenschaft mehrfach geäußert hatte: dass es dem Konzern in erster Linie darum gegangen sei, Kosten zu sparen. Schließlich kostet die Hochschule der Telekom jährlich 10 Millionen Euro.
„Wenn das reine Sparen auf dem Tisch gelegen hätte, dann hätte die Telekom den Laden zugemacht – aus. Das war überhaupt nicht die Überlegung.“ Die Telekom wolle sich ja weiter an der Hochschule engagieren – in Form einer Stiftungsfakultät an der benachbarten staatlichen Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) .
Seit Mitte Januar verhandelt das sächsische Wissenschaftsministerium mit beiden darüber. Tatsächlich wäre die Errichtung einer Stiftungsfakultät für alle Beteiligten reizvoll: Die HTWK hat Platzprobleme und liebäugelt schon lange mit dem Gelände der HfTL. Das Wissenschaftsministerium muss keinen Euro in die neue Stiftungsfakultät stecken, denn das Budget für die Fakultät stellt komplett die Telekom. Und die zahlt mit 5 Millionen Euro letztlich halb so viel wie bislang für ihre eigene Hochschule.
Eine Stiftungsfakultät habe gegenüber einer konzerneigenen Hochschule auch den Vorteil, dass der Stifter nicht mehr so tief eingreifen könne, argumentiert Telekom-Stratege Böhme. Auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Sächsischen Landtag erklärte die sächsische Staatsregierung, die Telekom würde „als Drittmittelgeber der Professuren im rechtlich zulässigen Rahmen an den Berufungs- und Besetzungsverfahren beteiligt“. Laut Grundgesetz darf ein Geldgeber darauf keinen Einfluss nehmen. Das gebietet Artikel 5, der die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert. In der Praxis werden Stifter aber bei Berufungsverfahren hinzugezogen, teilweise mit Stimmrecht. Wie viel Einfluss die Telekom künftig auf „ihre“ Fakultät nimmt, ist unklar.
Auch sonst gibt es viele offene Fragen. Bekannt ist nur, dass die Stiftungsfakultät 500 Studierende beherbergen soll, so viele, wie die HfTL in alten Zeiten hatte, und dass die Fakultät noch im ersten Halbjahr 2018 errichtet werden soll. Doch ob es an der privaten Fakultät der staatlichen HTWK endlich ein besseres Betreuungsverhältnis geben wird, ist ebenso unsicher wie die Frage, ob dort dann weniger konzerneigene Dualstudierende zugelassen würden.
Die Telekom hat dazu jedenfalls schon klare Vorstellungen. Geht es nach dem Konzern, dürfen im ersten Jahr nur Studierende anfangen, die auch bei der Telekom arbeiten. Zur Erinnerung: an einer staatlichen Hochschule.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen