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„Ich habe mir geschworen: Keinen Henry James mehr, selbst wenn sie mir einen Sack Gold vor die Tür stellen!“

Am Wochenende bekommt Michael Walter den Europäischen Übersetzerpreis. Ein Gespräch über Satzgirlanden, Bewusstseinsströme und die Frage, warum Neuübersetzungen nötig sind

Interview Sylvia Prahl

Als Erkennungszeichen wollte der Übersetzer Michael Walter auf einem Steckenpferd durch das Berliner Literaturhaus reiten, ähnlich wie Onkel Toby in „Tristram Shandy“, dem von Walter übersetzten Roman Laurence Sternes. Das Gespräch findet in einem kleinen Büro im Dachgeschoss statt, in dem alte Übersetzungen des „Tristram Shandy“ und verschiedene Ausgaben des Zentralorgans für alle Sterne-Exe­geten, des „Shandean, das Steckenpferd ersetzen. Am Sonntag bekommt der Münchner den Europäischen Übersetzerpreis Offenburg verliehen.

taz: Herr Walter, Übersetzer werden schlecht bezahlt. Vor 35 Jahren haben Sie begonnen, „Tristram Shandy“ zu übersetzen, überarbeiten den neunbändigen Roman zu fast jeder Neuauflage. Wie leisten Sie sich diesen Luxus?

Michael Walter: Die Bände sind damals einzeln erschienen, das waren immer so 80 Seiten. Da gab es dann 20 Mark pro Seite. Ich hab das zwischendrin mit Sachen, die schneller gingen, finanziert. Theaterübersetzungen. Ich habe mit O’Neill angefangen, da gab es gute Tantiemen, dann kam Neil Simon.

Wenn die Stücke aufgeführt werden, gibt es jedes Mal Geld.

Normalerweise bekommt man eine Pauschale für ein übersetztes Stück. Das waren, glaube ich, damals 2.000 Mark, und wenn das Stück nie aufgeführt wird, war es das dann. Wird es aber aufgeführt, wird der Vorschuss mit den Verkäufen verrechnet. Das Tollste war eben Neil Simon mit dem „Odd Couple“, das dann mit Uwe Ochsenknecht und Heiner Lauterbach durch die Lande gezogen ist und im Fernsehen kam, und es läuft noch immer, es gibt auch eine Frauenfassung davon, eine, in der es schon Handys gibt. Die hab ich alle gemacht und die bringen dann immer Geld.

Und bei Laurence Sterne?

Der Herausgeber Wolfgang Hörner vom Galiani-Verlag und ich haben ein Gentlemen’s Agreement getroffen, dass ich gut beteiligt werde. Und sonst ist es so, dass man einen festen Seitenpreis bekommt und schaut, dass man vom Übersetzerfonds oder vom Deutschen Literaturfonds, den hatte ich für Henry James, Geld bekommt. Sonst wäre das nicht gegangen.

Der Roman „Die Gesandten“ von Henry James ist eine Ihrer jüngsten Übersetzungen.

Ja, das war das Schwierigste, was ich je gemacht habe. Ich habe mir geschworen: Keinen Henry James mehr, selbst wenn sie mir einen Sack Gold vor die Tür stellen!

Denn es ist ja nicht nur verschachtelter Bewusstseinsstrom, sondern …

Ja, das überhaupt zu kapieren. Mein Herausgeber Daniel Göske vom Hanser Verlag kannte drei James-Spezialisten in Princeton. Und bei Stellen, an denen wir uns absolut nicht erklären konnten, was Henry James meinte, fragten wir nach und bekamen ausführliche Antworten. Prima! Nur: es waren drei verschiedene. Da sagten wir uns: Wenn selbst die sich uneinig sind, dann machen wir doch jetzt das, was uns am sinnvollsten erscheint. Diese toll komponierten Sätze sind endlose Girlanden. James ist manchmal unklar in seinen Äußerungen, auch die Hauptfigur weiß nicht, auf welchem Terrain sie sich bewegt. Das im Deutschen zum Klingen zu bringen war sehr mühsam. Manchmal hab ich am Tag nur einen Absatz geschafft. Allein der erste war die Hölle.

Wie sind Sie bei „Tristram Shandy“ vorgegangen?

Ich hatte die Zielvorstellung, dass es klingen sollte, als hätte es ein deutscher Autor des 18. Jahrhunderts geschrieben, ohne natürlich auf Sir und Madam zu verzichten. Ich habe viel 18. Jahrhundert gelesen und schön exzerpiert dabei, auf kleinen Karteikärtchen, sortiert nach Verben, Flüchen, Anreden, Fremdwörtern, die damals schon in Gebrauch waren. Das war aber ein Heidenspaß.

Ein sehr aktives Lesen.

Ja, und ich hab auf den Kärtchen immer ausgestrichen, welche Wörter ich schon hatte, denn ich wollte den Text natürlich nicht total historisieren. Aber ich wollte ein paar ungebräuchliche, schöne Wörter einfach mal wieder in die deutsche Sprache bringen. Sterne hatte Lust an Sprache, und das Buch schreit geradezu danach, dass man so was macht.

Es gibt auch Kritik an Ihrer Sterne-Übersetzung. Manche wünschen sich eine modernere Sprache für ein heutiges Publikum. Was halten Sie dem entgegen?

Die Vorwürfe sind ja, dass meine Sprache viel älter ist als die zur damaligen Zeit. Also Wörter wie itzt, überdem, sintemal. Da haben die Leute zu wenig geforscht. Ruft man in der digitalen Bibliothek die deutsche Literatur auf, sieht man, dass diese Wörter vorkommen bei (Walter ist vorbereitet, zückt einen Notizzettel) Brentano, Droste-Hülshoff, Eichendorff, Gellert, Goethe, Gotthelf, Herder, Hölderlin, Hoffmann, Keller, Kleist, Klopstock, Lenz, Lessing, Lichtenberg, Moritz, Schiller, Schlegel, Stifter, Storm, Wieland, Büchner. Sterne war selber ein großer Freund von Archaismen und ausgestorbenen Wörtern. Und der verstreut sie über den Text. Das hab ich nachgemacht. Nicht an genau der Stelle, das ging oft nicht, aber wo Platz war, da dachte ich, tust du so ein schönes altes Wort hin.

Das wirft die Frage auf, inwieweit der Übersetzer ins Werk eingreifen darf.

So wenig wie möglich. Das hängt auch vom Werk ab. Bei verspielten kleinen Dingen darf man das mal machen. Wenn ich überhaupt eine Methode habe bei Übersetzungen, dann ist es, dass ich auf Wirkungsäquivalenz aus bin. Das kann ich gut im Theater testen: Lachen die Leute jetzt eigentlich da, wo sie lachen sollen, oder ist Totenstille. Und wenn Totenstille ist, dann weiß ich: Mmh!

Und dann ändern Sie Ihren Text.

Ja, ich schicke es dann sofort an den Verlag, das nächste Theater, das das Stück macht, hat die geänderte Fassung. Oder man hört, der Satz spricht sich nicht. Man muss halt ein ziemlich gutes Gehör haben. Musikalisch zu sein ist kein Fehler.

Wie sind Sie zum Übersetzen gekommen?

Michael Walter, geboren 1951 in Wiesbaden, hat seit 1978 mehr als 60 Werke der englischsprachigen Literatur übersetzt. Darunter sind neben den Dramen von Eugene O’Neill, Neil Simon und Harold Pinter, den Schriften von Laurence Sterne Romane von Henry James, Virginia Woolf, Lewis Carroll, George Orwell, Julian Barnes, Herman Melville.

Das war Zufall. Ich wollte eigentlich Lehrer werden, habe Philosophie und Anglistik studiert. Freunde, die schon im Referendariat waren, versicherten mir glaubhaft, dass das kein Beruf für mich sei. Dann hab ich zwei Jahre lang Prospekte ausgetragen. Da rief mich mein Professor an, fragte, ob ich nicht einen Artikel über Sotheby’s übersetzen wollte, der in einem London-Band beim Insel Verlag herauskam. Dem Lektor Werner Berthel gefiel meine Übersetzung, und er bot mir an, „Kidnapped“ von Robert Louis Stevenson zu überarbeiten. Als ich damit anfing, stellte ich fest, dass es keinen Sinn ergibt, daran herumzuflicken, und ich beschloss, das eigenständig neu zu machen, dem Verlag nichts zu sagen. Das fand Werner Berthel toll und es ging weiter. Am Anfang hab ich viel Science-Fiction gemacht. Dann kam irgendwann Diogenes mit Orwells „Animal Farm“, und nach „1984“ konnte ich mir aussuchen, was ich machen wollte.

Ein schöner Luxus.

Ja, absolut. Ich hätte auch nie ein Buch gemacht, das mir irgendwie politisch oder sonst nicht gefällt, da hätte ich immer gesagt, nee, dann trag ich lieber wieder ein halbes Jahr lang Prospekte aus.

Daniel Göske geht in seinen Anmerkungen zu „Die Gesandten“ viel auf vorangegangene Übersetzungen ein, man hat den Eindruck, er möchte die Neuübersetzung recht­fertigen. Warum ist eine Neuübersetzung eines Klassikers nötig?

Der Ton ändert sich, von der Fehlerbeseitigung ganz abgesehen. Beim „Shandy“ konnte ich auf die Florida-Edition zurückgreifen, was quasi die historisch-kritische Ausgabe der Sterne-Werke ist. Da war alles drin, was ich brauchte. Die hatten sämtliche Anmerkungen, Versionen der verschiedenen Auflagen. Das war sehr hilfreich. Die ersten „Shandy“-Übersetzer konnten einfach vieles nicht wissen, hatten keine Recherchemöglichkeiten, keine Lexika mit Synonymen. Das Original bleibt bestehen, man hat verschiedene Annäherungen. Man wird das Original nie erreichen. Die eine Übersetzung kommt vielleicht von einer Seite näher ran, die nächste von der anderen. Es geht nichts verloren, heutzutage, wo wir digitalisiert sind, sowieso nicht. Wie oft wird Tschechow aufgeführt, wie viele Inszenierungen gibt es davon. Aber wenn eine Kollegin oder ein Kollege vor Jahren bereits die perfekte Lösung gefunden hat, dann bedanke ich mich und übernehme das.

Nun bekommen Sie den von der Stadt Offenburg aus­gelobten, mit 15.000 Euro dotierten Europäischen Übersetzerpreis für Ihr Lebenswerk verliehen.

Ich freue mich riesig. Über jeden Preis. Auf der einen Seite ist es die Ehre, die war am Anfang noch viel wichtiger. Jetzt ist es ganz wunderbar, eine ordentliche Summe zu bekommen, um in Ruhe arbeiten zu können. Das ist einfach geschenkte Arbeitszeit, die man da hat.

Sie werden sich jetzt also nicht zurückziehen?

Nein, als Nächstes ist eine Neuübersetzung von Joseph Conrads „Lord Jim“ in Planung.

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