Revolution verpflichtet

Demonstrieren macht wieder Spaß: Am 1. Mai ziehen Tausende durch die Straßen. Einige feiern auch nur. Fünf Moment-aufnahmen

Foto: Auf geht‘s: Kurz vor Beginn der 18-Uhr-Demo Foto: Karsten Thielker

Bilanz Die verschiedenen Feiern zur Walpurgisnacht sind laut Polizei ohne größere Störungen verlaufen. Mehrere tausend Menschen hätten die Nacht zum 1. Mai in verschiedenen Parks verbracht. Auch der linke Demozug durch den Wedding sei „nahezu störungsfrei“ verlaufen, hieß es. Bericht 22

Mit Zylinder beim DGB

Ganz in Schwarz, elegant gegürtet und mit glänzend poliertem Zylinder ist Maximilian Schröder einer der bestgekleideten Teilnehmer der DGB-Demo in Berlin am 1. Mai. Der Vorsitzende der Landesgruppe des Zentralverbands deutscher Schornsteinfeger (ZDS) formuliert seine Forderungen zum Tag der Arbeit knapp und klar: „Gerechte Löhne und fami­lienfreundliche Arbeitszeiten“. Man sei auch aus Solidarität mit den anderen Gewerkschaften dabei, ergänzt eine Kollegin Schröders im gleichen schwarzen Look.

Die SchornsteinfegerInnen stechen heraus aus der Menge roter Fahnen und orangefarbener T-Shirts – Beschäftigte der BSR sind eine große Gruppe im Demo-Block der Dienstleistergewerkschaft Verdi. „Weniger Überstunden, gerechtere Bezahlung“, dafür sei er heute hier, sagt Steven, BSR-Mitarbeiter seit 2005: „Und dass nicht alle gewerkschaftlichen Errungenschaften nach und nach wieder rückgängig gemacht werden!“

Obwohl auch die SPD mit einer großen Teilnehmergruppe vertreten ist, scheinen die GewerkschafterInnen auf der Demo sich von der Politik der SozialdemokratInnen nicht allzu viel zu versprechen.

Ganz vorn im Demozug marschieren einen knappen Kilometer nach dem Demo-Start hinter dem DGB-Landesvorsitzenden Christian Hoßbach noch einige PolitikerInnen der Linken – Arbeitssenatorin Elke Breitenbach, Kultursenator Klaus Lederer, die Fraktionsvorsitzenden Udo Wolf und Carola Bluhm.

Von den SPDlerInnen, die sich zu Demobeginn an der Spitze des Zuges haben fotografieren lassen – der Regierende Michael Müller, Innensenator Andreas Geisel und Gesundheitssenatorin Dilek Kolat – ist nichts mehr zu sehen.

Alke Wierth

Myfest mit Anspruch

Mittags sind die Berlinerinnen und Berliner noch nicht ganz wach. Am Oranienplatz in Kreuzberg sind alle Straßenschilder mit „Ballermann 36“ überklebt. Auf der HipHop-Bühne gegenüber des mit Absperrzäunen gut gesicherten und offensichtlich geschlossenen teuren Hotels Orania versucht es die HipHop-Crew „Auftakt Berlin“ mit verbaler Animation.

Klappt aber nicht so toll. Erst als die Jungs ihren Song „Das ist mein Berlin, ich zeig dir die Regel“ anstimmen, kommt Bewegung in die Massen vor der Bühne. Und das mit dem ­Biertrinken, ­Cocktailschlürfen, Bratwurstessen und Kiffen geht auch schon ganz gut. Also alles wie immer beim Myfest, der mittlerweile 15. Auflage: Friede, Freude, Köfte.

Nicht ganz. Gegen 14 Uhr verstummt die Punkband Antiligent auf der Core Tex-Bühne am Ende der Oranienstraße, Richtung Görlitzer Bahnhof. Auf dem Gehweg hämmern in schwarze Anzüge gekleidete Gestalten mit Vogelmasken (Geier?) Kreuze in die Erde. Sie beerdigen die Kreuzberger Mischung – symbolisch.

Auf einem Schild steht die Frage „Was sind die Opfer der Gen­trifizierung?“ Es handelt sich um eine Aktion einer Handvoll von Anwohnerinnen und Anwohnern aus dem Kiez. „Wir treffen uns erst seit zwei Wochen“, sagt Chao­ta, „das hier ist unsere erste Aktion.“

Magoscha ergänzt: „Alle jammern immer nur, wie schlimm alles ist auf dem Wohnungsmarkt. Alle sind wie gelähmt. Keiner tut und sagt etwas, um ja nichts zu riskieren. Aber wir sind viele, wenn wir uns zusammenschließen – das zeigen wir mit dieser Aktion.“ Und das klappt mit einfachen wie auch mit spektakulären Mitteln. Ein bisschen Politik in einem Meer aus ausgelassener Partystimmung.

Am Oranienplatz schlafen derweil die Ersten ihren Feiertagsrausch aus. Und am Himmel dröhnt der Polizeihubschrauber. Andreas Hergeth

Alle wollen in den Görli

„Glasflasche? Deo?“ Zwei bullige Männer und eine Frau stellen sich in der Wiener Straße in Kreuzberg den Leuten in den Weg, die am Nachmittag in den Görlitzer Park wollen. Ein kleines Gedrängel entsteht, aber die Security bleibt ruhig. Jene ohne Tasche winken sie durch, schauen mehr oder weniger gründlich in Rucksäcke und fischen Bier- und Sektflaschen heraus. Deos könnten brennen, ein kleines Sortiment bunter Spraydosen steht bereits neben dem Eingang. Wer gut riechen will, muss draußen bleiben.

Damit der Park nicht wieder so voll und vermüllt wird wie in den vergangenen Jahren, hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erstmals Einlasskontrollen eingeführt. Mehr als 12.500 Leute sollen nicht hinein. Und zunächst geht das auch gut: Sonnenbebrillte Menschen ziehen durch den Park, trinken Bier aus Plastikbechern. Anwohner schauen vorbei, Touristen fragen nach dem Weg. Afrikaner verkaufen Essen an Ständen. Vor der großen Bühne wird zu dröhnenden Elektrobeats getanzt. „Wir wollen Spaß haben und Leute kennenlernen“, sagt ein junger Iraker, der seit zwei Jahren in Berlin lebt.

Um 17 Uhr ist es dann so weit: Der Park wird geschlossen. An der Falckensteinstraße schieben Polizisten Absperrgitter vor den Eingang und verweisen fälschlicherweise auf das nächste Tor. Eine kleine Völkerwanderung rund um den Park setzt ein. Am Landwehrkanal überrennen die Menschen kurzzeitig die Ordner. Ein Bauzaun wird zur Seite gezogen. Immer wieder klettern Einzelne über die Mauer. Drinnen ist es an diesem Park­ende deutlich leerer als draußen. Es sind keine Linksradikalen, die hier Lust bekommen auf zivilen Ungehorsam, sondern ganz normales Partypublikum. Antje Lang-Lendorff

Hilfe für den Grunewald

Die Ankündigung war krawallig: „Mai-Randale in Grunewald“ hieß es auf einem Plakat „Polizei bestellt neue Wasserwerfer“. So richtig durchschaute die Polizei den ironischen Charakter nicht: Noch im Tunnel des S-Bahnhofs Grunewald stand ihre Sperre. Anreisende Demonstrationsteilnehmer wurden beäugt, und wenn sie linker als die anderen aussahen, auch eingehend kontrolliert. In der Luft kreiste der Hubschrauber.

Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Als pünktlich um 14 Uhr der erste Techno-Truck auf den Bahnhofsvorplatz rollte, tanzten schon die Ersten. Bis sich der Zug um 15 Uhr in Bewegung setzte, hatten die Polizisten weit mehr als 2.500 Menschen herausgelassen – angemeldet waren 400. Die Veranstalter sprachen von 5.000.

Bei Sonne, Eis für einen Euro und einer beachtlichen Häufung satirischer Plakate („Alles allen, Euers uns“ – „Eigentum belastet“) ging es durch den „Problembezirk“, in dem unvernünftig viel Reichtum angehäuft sei.

Vorbei an Protzvillen staunen verunsicherte Anwohner und winken den Demonstranten zu wie die Queen. Fotografen drängeln, um die besten Bilder von roten Fahnen in herrschaftlichen Eingangsportalen zu schießen. Einzig die von der Polizei befürchtete Randale blieb aus, sieht man von den zahlreichen Klingelstreichen, dem Kleben von Spuckis und einzelnen Schmierereien an Autos einmal ab.

Letzteres führte zu einem erzwungenen längeren Zwischenstopp. Steckte dahinter die Absicht, die Teilnehmer nicht rechtzeitig zur 18-Uhr-Demo in Kreuzberg kommen zu lassen? Gegen Ende war die Stimmung jedenfalls angespannter als zu Beginn.

Auf jeden Fall war die Demo mit dem Motto „Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“ ein Erfolg. Der Grunewald ist wieder auf die Karte antikapitalistischer, stadtpolitischer Proteste gesetzt worden. Erik Peter

Angespannte Lage

Um 18.25 Uhr hatte die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration in Kreuzberg ihre Unschuld verloren. Aus der Dresdner Straße kam ein Block von etwa 400 bis 500 Kurdinnen und Kurden und setzte sich an die Spitze des Demozugs. Pyros und Bengalische Feuer brannten, Fahnen der verbotenen YPD wurden geschwenkt.

Die Polizei war zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufmarschiert. Auch als sich der Demozug um 18 Uhr gesammelt hatte, war von den Einsatzkräften nichts zu sehen. Nur zwei Beamte in gelben Warnwesten standen vor dem Leittransparent mit der Aufschrift „Patriarchat abschaffen“. Auf den Westen stand „Verbindung zum Veranstalter“. Aber einen Veranstalter hat die Demovorbereitung ausdrücklich nicht genannt, und die 18-Uhr-Demo ist auch nicht angemeldet.

Überhaupt hatte der Demoauftakt einen klandestinen Charakter. Inmitten des Myfestes sammelten sich die TeilnehmerInnen unauffällig, um relativ unvermittelt mit Feuerwerk und Transparenten den Zug zu bilden. Der schlängelte sich dann unmittelbar in die Oranienstraße mitten durch die Festbesucher hindurch. Bis zum geplanten Abschluss am Schlesischen Tor blieb die Demo komplett unbehelligt von der Polizei, die noch vergangenes Jahr ab dem Görlitzer Bahnhof ein Spalier gebildet hatte. Nur an wenigen Punkten entlang der Route stand Polizei, so am Görlitzer Park. Bis auf sehr vereinzelte Flaschenwürfe gab es keine Konfrontationen.

Ein Überraschungsmoment gab es zum Ende aber doch, da die Demospitze offenbar noch nicht bereit war, den Abend an der Spree zu beenden und auf der Gegenfahrbahn erneut die Skalitzer Straße entlanglief, diesmal zurück in Richtung Myfest. Jedoch blockierte die Polizei den Zug auf Höhe der Wrangelstraße. Erik Peter