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Naturzerstörung bedroht MenschheitArtenschutz für den Homo sapiens

Der Biodiversitätsrat der Vereinten Nationen warnt in einem neuen Bericht: Der Verlust von fruchtbaren Böden schadet 3,2 Milliarden Menschen.

Hier wird die Natur plattgemacht: Rodungen für Sojaanbau in Paraguay Foto: dpa

Die weltweite Zerstörung von Ökosystemen lässt nicht nur Tier- und Pflanzenarten verschwinden. Sie gefährdet auch die Lebensgrundlage von mindestens 3,2 Milliarden Menschen, verschärft den Klimawandel und führt zu Massenflucht und Konflikten. Außerdem kostet die Verschlechterung der Böden insgesamt jährlich etwa 8 Billionen Dollar – ein Zehntel der globalen Wirtschaftsleistung. Das sind die zentralen Ergebnisse der sechsten Sitzung des UN-Rats für Biodiversität (IPBES), die am Montag im kolumbianischen Medellín veröffentlicht wurden.

Der Bericht von 100 Experten aus 45 Staaten ist der Endpunkt einer Konferenz von Wissenschaftlern und Regierungsdelegationen, die bereits mit anderen spektakulären Gutachten aufwartete. Ende vergangener Woche hatte das Gremium vier umfangreiche Studien zur Lage der Artenvielfalt und Ökosysteme in Amerika, Asien, Afrika und Eurasien veröffentlicht und Alarm über den Verlust von Arten und die Bedrohung von ganzen Ökosystemen geschlagen.

Der aktuelle Bericht befasst sich mit „Landdegradation und Wiederherstellung“. Seine Botschaft ist nicht weniger dramatisch. „Mit negativen Auswirkungen auf mindestens 3,2 Milliarden Menschen treibt die Verschlechterung der Erdoberfläche durch menschliches Tun den Planeten zu einem erneuten Massensterben der Arten“, sagte Robert Scholes, einer der Hauptautoren des IPBES-Berichts.

Eine wachsende Weltbevölkerung, Waldvernichtung, rücksichtslose Landwirtschaft und steigender Konsum von Gütern belasteten die Umwelt immer mehr, so der Bericht, für den 3.000 wissenschaftliche Beiträge ausgewertet wurden. Er sagt bis 2050 die Verdoppelung beim Einsatz von Pestiziden und Dünger voraus. Bei der Konferenz wurde der Text mit Vertretern von 129 Regierungen abgestimmt. Er ist damit die umfangreichste und von der Politik abgesegnete Inspektion der planetarischen Ökosysteme.

87 Prozent aller Feuchtgebiete trockengelegt

Deren Zustand ist nicht gut: 87 Prozent aller Feuchtgebiete hat der Mensch bislang trockengelegt. Inzwischen ist nur noch ein Viertel der Landmasse der Erde nicht von Menschen geformt, bis 2050 werden es bei Fortdauer der jetzigen Trends nur noch 10 Prozent sein, warnen die Wissenschaftler. Und das sind vor allem Wüsten, Polgebiete oder Hochgebirge.

Auch für die Fauna sind die Ergebnisse ernüchternd: Von 1970 bis 2012 sind die Bestände wilder Wirbeltiere an Land um 38 Prozent geschrumpft, bei Süßwasserarten sogar um 81 Prozent. Die Böden können immer weniger Kohlenstoff speichern, um den Klimawandel zu bremsen. In den letzten 200 Jahren ist die Fähigkeit zu dieser Speicherung so zurückgegangen, als hätte man Wald von der Größe ganz Australiens vernichtet, schreiben die Autoren.

Jedes Jahr gibt es 12 Millionen Hektar Boden weniger

Achim Steiner

„Wir verlieren jedes Jahr etwa 12 Millionen Hektar fruchtbaren Bodens wegen schlechterer Qualität“, sagte der Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, Achim Steiner – eine Fläche so groß wie Bayern und Niedersachsen zusammen. Dabei würde es sich lohnen, den Trend umzukehren, so die ­IPBES-Experten.

„Im Schnitt sind die Vorteile der Bodenerhaltung zehnmal höher als die Kosten“, heißt es. Fruchtbare Böden bringen nicht nur gute Ernten, sie speichern Kohlenstoff gegen den Klimawandel und sorgen für sauberes Wasser. Der Verlust der Natur in Verbindung mit dem Klimawandel zwinge bis 2050 „50 bis 700 Millionen Menschen zur Migration“. Auch steige das Risiko von Seuchen, weil Menschen und Wildtiere häufiger in Kontakt kommen.

„Verschlechterung der Böden, Verlust der Artenvielfalt und Klimawandel sind drei Gesichter einer zentralen Herausforderung“, sagte IPBES-Chef Robert Watson. „Wir können es uns nicht leisten, sie isoliert anzugehen. Sie erfordern höchste Priorität und müssen zusammen gelöst werden.“

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11 Kommentare

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  • Ich glaube nicht, das der Mensch in seiner Gesamtheit in der Lage ist die globalen Probleme zu lösen. Die Interessen eines jeden Menschen fangen an, bei sich als Einzelnen gehen über seine Familie ins Lokale und dann über das Nationale ins Globale und diese Interessen sind nicht unter einen "Hut" zu bringen. Als einzelner möchte ich vielleicht viel Fleisch essen, ein dickes Auto fahren und und.. Dadurch entstehen globale Probleme. Lokal möchte ich keine Fernstraße , keine Stromtrasse und kein Kernkraftwerk in der Nähe haben. Daher schalten wir erst mal die Kernkraftwerke ab und irgendwann später mal die Kohlekraftwerke und wahrscheinlich nie die anderen Kraftwerke die mit anderen fossilen Brennstoffen laufen. Daraus entstehen von uns aus betrachtet eher globale als lokale Probleme aber wir möchten es ja vor der "Haustüre" schön haben. Auf nationaler Ebene möchten wir keine Flüchtlinge in unser schönes Land, also lassen wir sie im Mittelmeer ertrinken. Auch die NGO´s argumentieren lokal, maximal national, mit globalen Themen lassen sich keine Spenden akquirieren. Setzen sich NGO´s durch, kann das zu lokalen oder nationalen Verbesserungen führen, global verschlechtert sich die Situation sehr oft. Beispiel Kernenergie, klar ist Kernenergie gefährlich aber eben nur lokal, global hat sie Vorteile gegenüber der fossilen Energie. Übrigens, seit dem Untergang des Kommunismus haben wir weltweit nur noch den Kapitalismus, wir müssen damit leben, es gibt nichts anderes... bzw. alles andere hat sich nicht bewährt.

    • @Bernhard Hellweg:

      "alles andere hat sich nicht bewährt" -- oder hat nie die Chance bekommen, sich zu bewähren. Ich wäre ja schon gespannt gewesen, was zum Beispiel aus der Spanischen Republik geworden wäre, dem erfolgreichsten grossflächigen anarchistischen Gesellschaftsmodell der neueren Geschichte. Aber die kapitalistischen Kräfte, in Ost wie in West, haben dieses Experiment ja eiligst beendet.

       

      Übrigens: Sog. Kommunismus ist in den meisten Fällen auch nicht mehr als Staatskapitalismus (aktuell z.B. China). An den von Marx gemachten Vorschlägen orientieren sich solche Systeme höchstens entfernt.

      • @Rowena Ravenclaw:

        die spanische Republik wäre wohl in das Sovjetimperium eingemeindet worden. Stalin hätte die schon auf Linie gebracht.

      • 8G
        81331 (Profil gelöscht)
        @Rowena Ravenclaw:

        ...Sie vergessen, Kapitalismus war von Anfang an, und das für gefühlte 99 % der Menschheit, nur große Kacke.

  • Der Kapitalismus bedroht die Existenz der Menschheit!

     

    Die heutige Hauptquelle der Naturzerstörung ist die kapitalistisch-imperialistische Gesellschaftsformation! Der Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung von Menschen, Rohstoffen und Bodenschätzen, Luft und Wasser, Tier -Natur- und Pflanzenwelt. Im Kapitalismus ist die Naturzerstörung grenzenlos. Es gibt im Kapitalismus weltweit keine Begrenzung der Ausbeutung. Diese Wahrheit wird auch weiterhin von den bürgerlichen Ideologen und der gesellschaftspolitischen Administration in allen bürgerlichen Parteien, Medien. Parlamenten und Regierungen im Dienst der Kapitalisten, insbesondere der Macht und realen Herrschaft der Finanz- und Monopolbourgeoisie, so auch in Deutschland und Europa, geleugnet.

     

    Auch die große Mehrzahl der Taz.-Leser*innen steht in ihren Kommentaren fest an der Seite der deutschen und westeuropäischen Bourgeoisie und damit für die grenzenlose Umwelt- und Naturzerstörung. Letztlich für die Vernichtung der menschlichen Existenzgrundlagen durch den Kapitalismus. Kaum eine/einer möchte ernsthaft die kapitalistische Gesellschaftsordnung beseitigen. Die große Mehrzahl möchte sich darin einrichten und beschränkt ihre Kritik am Kapitalismus auf vorgebliche rechtssozialdemokratische, kapitalgebeugte und pseudo-christliche Reformen und/bzw. Lippenbekenntnisse.

     

    »Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.«

     

    Karl Marx bezieht sich hier in einer Note auf den Funktionär der englischen Gewerkschaftsbewegung T. J. Dunning, der in seinem Buch »Trades' Unions and strikes: their philosophy and intention« (London 1860) diese Textpassage aus »The Quarterly Review« angeführt hatte (MEW, Bd. 23, S. 788, in MEGA² II/6, S. 680/681). {...}

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Reinhold Schramm aka Strg-c Strg-v... Im Osten nix Neues?

  • In unser Region werden schon mal locker 100000 euro für die Renaturierung im Zuge von Kompensationsverfahren pro ha ausgegeben.

    Warum erst zerstören ,um dann mit hohem Aufwand auszugleichen.

    Ein Wahnsinnswachstumsmodell.

    • @Jandebuur:

      Ganz einfach, wenn Sie mein (=Öffentlichkeit) Wald abholzen, um dort ihre Fabrik aufzubauen, dann müssen Sie das natürlich auch kompensieren und nen Wald woanders finanzieren.

      Wer denn sonst & Wie denn sonst?

       

      Was soll daran „wahnsinnig“ sein an diesem simplen Model.

      • 8G
        81331 (Profil gelöscht)
        @Rudolf Fissner:

        ...sog. Ausgleichsflächen betragen, wenn überhaupt, nur 1 % der zerstörten Flächen, mehr nicht.

        Flächefraß ist eines der Hauptprobleme im 21. Jahrhundert.

        • 8G
          80576 (Profil gelöscht)
          @81331 (Profil gelöscht):

          Es geht bei der Schaffung der Ausgleichsflächen nicht vorrangig um Quantität, sondern vor allem um Qualität. Wenn 1ha konventionell bewirtschaftetes Ackerland Bauland wird, und dafür weitere 0.25ha Ackerland renaturiert und nicht mehr bewirtschaftet werden, kann das durchaus ein lokaler Gewinn für Flora und Fauna sein.

      • @Rudolf Fissner:

        Das ist ein Negativwachstum an Fläche oder glauben sie das 1zu1 ausgeglichen wird?

        Also mal den einen oder anderen Wald stehenlassen indem weniger gebaut wird und mit dem Geld etwas sinnvolles machen.